Was uns Symbole sagen – Philipp Ludwig Orlowski stellt in der Leipziger Charter Galerie aus

Daniel Thalheim

Am Freitag ist Eröffnung. Weil die Pandemie mit seinen Gefahren um sich greift und ein neuer Lock Down drohen könnte, zieht sich die Kunstwelt noch lange nicht zurück. Auflagen funktionieren auch hier. So wird die Vernissage zu „Planeta Bur“ am 13. November 2020 in geordneten Bahnen verlaufen. Nur sechs Personen dürfen sich in den Ausstellungsräumen der Charter-Galerie in der Merseburger Straße befinden. Natürlich mit Alltagsmaske geschützt. Der Leipziger Maler stellt neue Werke aus, die als „retrofuturistisch“ bezeichnet werden. Denn Philipp Orlowski spielt mit einer Formen- und Farbensprache, die uns an die Symbolisten und Surrealisten der Klassischen Moderne erinnert.

„In der Pandemie ist es gerade sehr schwierig für mich als Bildender Künstler… “, sagt der seit 2011 selbstständig arbeitende Kunstmaler, „…, da kein Galerist neue Ausstellungen plant und bereits geplante Ausstellungen abgesagt werden oder man nicht wirklich mit Publikum rechnen kann, falls eine Vernissage stattfindet. Es soll ja auch nicht zu großen Ansammlungen kommen, aber da niemand weiß, wie voll und damit gefährlich es wird, kommt dann manchmal auch keiner. Das wäre nicht nötig, da die Aussteller die Möglichkeiten an die Hygienebestimmungen anpassen. Auch als Musiker mit meinen Bands Centaur und Koh-I-Noor kann ich nicht regelmäßig proben geschweige denn auftreten.“

Dabei steht Orlowskis Schaffen in einer roten Linie aus Tradition und Moderne, die seit über 100 Jahren in Leipzig vertreten ist. Max Klingers künstlerischer Einfluss reicht bis in die Gegenwart hinein. Nicht nur er galt um 1900 als wichtiger Symbolist seiner Zeit. Neben Ferdinand Hodler und Otto Greiner gehörte der Leipziger Sezessionist zu den umstrittenen Vertretern seiner Zunft. Sie erfanden Bildthemen neu, stellten herkömmliche und klassische Ansichten auf den Kopf, verfolgten ästhetisch andere Linien als die traditionalistisch tätigen Maler und Grafiker, die noch in den Akademien noch ganz andere Ziele verfolgten als die Moderne zu laufen anfing. 

Klingers Linie wurde nahezu unbemerkt nach 1945 in den Mal- und Fotografieklassen an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig weitergesponnen. Wer kennt nicht die Bilderrätsel von Wolfgang Mattheuer und Neo Rauch? Wer kennt nicht die Grafikfolgen von Hans Mayer-Foreyt? Sie waren und sind Bildneuerfinder und -neudenker. Anders als die damaligen und modern arbeitenden Zeitgenossen von Klinger, Greiner & Co. erfahren heutige Künstler weitaus mehr Akzeptanz.

Es verwundert also nicht, dass Philipp Ludwig Orlowskis Malerei sich ebenfalls im Symbolismus verorten lässt. Wer in seinen, v.a. aktuellen, Arbeiten den Geschichten folgt, erzählt er uns Zwischenmenschliches und Außermenschliches. Orlowski gibt uns Betrachtern das Gefühl, in seine Traumwelten eintauchen zu können, nimmt uns auf eine psychedelische Reise in unser Unterbewusstsein. Landschaften lösen sich auf, ebenso die Figuren. Kontraste aus grellen und abgeschwächten Farbakkorden schaffen Zwischentöne, die über die reelle Wahrnehmung einer uns umgebenden Wirklichkeit hinausgehen und uns in eine Orlowskische Welt fast schon mit hypnotischer Wirkung ziehen. 

P.L. Orlowski in seinem Atelier, Foto: P.L. Orlowski 2020.

Der 1984 im thüringischen Städtchen Neuhaus am Rennweg geborene Maler stellt sich mit seinem Werk neben dem von Max Ernst und seinen Grattagen, Collagen, aus Farbverläufen geschaffenen Monsterlandschaften, Wäldern und Nachtmahren. Betrachten wir die neuesten Arbeiten „Gigant“ und „Luftschiff“, schickt uns der an der Hochschule für Grafik und Buchkunst studierte Künstler direkt in eine Parallelwelt, wo Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig existieren. Nicht nur in diesen beiden Gemälden wird klar, was sich auf Quantenebene manifestiert, wird in unserer Welt Realität. So erscheint uns das Porträt von „Saul Bellow“ (2018) als Traumgesicht eines Mannes, der zwischen den Welten schwebt. Welten, die gleichzeitig stattfinden und Teile unseres Gemeinschaftsbewusstseins sein könnten. Dass wir in seinem malerischen Werk uns in der Ewigkeit befinden demonstriert uns eine beständige Lichtquelle, die von überall her zu kommen scheint. Etwas beklemmendes wohnt den bildnerischen Erzählungen inne, aber auch etwas lustiges. Denn Orlowski spielt auch mit seinen bedeutungsschwangeren Titeln.

Ist alles doch nur ein kreativer Witz?  Betrachten wir uns das Abbild von der US-amerikanischen Schauspielerin und Sängerin Barbara Streisand in „Bello Impossibile“ (2020), offenbar ein aus der weiten Ferne zwischen Raum und Zeit entstandenes Filmplakat, mit humoresken Anspielungen auf einen, möglicherweise „Bello“ genannten, „unmöglichen Hund“, einem angedeuteten Katzenporträt und dem vielsagenden Bildtitel mit seinem Hinweis auf einen „unmöglich Guten“ bzw. „Schönen“.

Hintergründig mischt auch die italienische Rocksängerin Gianna Nannini mit. Schrieb sie in den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts den Hit „Bello e Impossibile“, der „Schön und unmöglich“ bedeutet; handelt es sich in dem Lied um eine Geschichte um Verlangen und Sehnsucht nach körperliche Nähe. Orlowskis Bild „Bello Impossibile“ häuft Kontraste regelrecht zu einem neuen Sehen auf. Sex ist wirklich nicht das naheliegende, woran man in diesem Bild denken würde. Vielleicht ist auch aus der Perspektive der künstlerischen Herangehensweise erzählt, wo etwas Schönes unmöglich erschienen und dennoch verwirklicht worden ist.

Unbestimmte Bildräume und Lichtführungen waren in den frühen Werken von Philipp Orlowski bereits als Wesenszüge erkennbar. Im aktuellen Werk zeichnet er konsequent den Fantasieraum zu einem scharfen philosophischen Muster aus Gegensätzen.

In seinen jüngeren Bildern stellt er seine Bildfiguren in Raumkontraste, wie wir an dem farbenfrohen Golferpaar in einer schmutzigen Tagebauszenerie sehen können. Nicht nur sein erfinderischer Einfallsreichtum, mit vielfältigen Bildideen zu jonglieren, bereitet uns beim Enträtseln, Betrachten und Beschäftigen eine merkliche Freude. Orlowski weiß mit dem Medium Malerei handwerkssicher umzugehen; seine im Frühwerk beherrschenden Porträts, Figuren- und Handstudien zeigen uns bereits einen Künstler mit hoher Beobachtungsgabe und mit einem Wissen, Gesehenes möglichst realitätsnah auf die Leinwand zu bringen. Hinzu kommt seine Kenntnis im Umgang mit Farbskalen und -kreisen. Abgeschwächte Akkorde deuten auf Unbehagen und Zweifel, die beim Betrachter als Gefühle entstehen können. 

Bewegen wir uns aus der Interpretation heraus, Orlowskis Arbeiten behandelten das Unterbewusste und Jenseitige, gibt uns der Künstler bildnerisch umgesetzte Hilfen, sich für das Schöne zu entscheiden. Für den Sonnenuntergang statt für die triste Plattenbausiedlung. Für das Picknick in Perücken- und Gehrockkostümierung statt für ein abstraktes Domino-Spiel, für die Natur und Kunst statt für triste Alltagsabläufe. So gesehen wären Orlowskis Bilder Plädoyers für die persönliche Freiheit und Entfaltung des Einzelnen. Kunst kann sich eben doch selbst erklären.

Beitragsbild: Philipp Orlowski, „Planeta Bur“ Öl auf Leinwand, 2019, 60 x 70 cm, Copyright: P.L. Orlowski 2020 VG Bild Kunst 2020.

Planeta Bur

von Philipp Orlowski

CHARTER-Projektgalerie

Merseburger Str. 37

04177 Leipzig

geöffnet während der
Ausstellungszeit
Dienstag bis Samstag

14-18 Uhr
sowie nach Vereinbarung

Leipzig um 1900: Die Blüte Griechenlands – Max Klingers monumentales Wandgemälde für die Universität Leipzig

Daniel Thalheim

Anlässlich zum Gedenken an Max Klingers (18.02.1857 – 05.07.1920) Tod wird in diesem Jahr viel geschrieben und publiziert. 2020 stehen die Ausstellungen rund um Elsa Asenijeff (03.01.1867 – 05.04.1941) im Fokus der Jubiläen. Sowohl das Museum der bildenden Künste, das Stadtgeschichtliche Museum als auch das Kunstkraftwerk und die Galerie Potemka zeigten in diesem Jahr eindrucksvolle Schauen rund um Max Klinger, seinem Leben und Werk – und um die Schriftstellerin Asenijeff, seine „Partnerin in Crime“ und langjährige Gefährtin. Derzeit wird die große Klingerschau in der Bonner Bundeskunsthalle fortgesetzt. Wird auch dort der aktuelle Ausstellungskatalog zu Klingers Werk ausliegen?

Legenden und Mythen ranken sich um Klingers Dasein. So auch um sein riesiges Wandgemälde „Hellas oder die Blüte Griechenlands“, das sich in der von Arwed Roßbach (1844-1902) umgestalteten Aula der Universität Leipzig bis 1943 befand und als eines der größten Kriegs- und Nachkriegsverluste Leipzigs, neben dem klassizistischen Universitätscampus, der einstigen Jugendstilbebauung auf dem ehemaligen Sachsenplatz und dem Grafischen Viertel gilt. Das Wandgemälde wurde von der sächsischen Regierung anlässlich zur Fünfhundertjahrfeier der Universität 1909 gestiftet. Das Ergebnis war ein raumbeherrschendes Monumentalwerk, das die universelle Bildung zum Thema hatte; die griechische Kultur galt um 1900 noch als die maßgebende Mutter der westlichen Kultur – philosophisch wie auch künstlerisch-ästhetisch. Knapp 20,5 Meter lang maß es, es war ungefähr 6,5 Meter hoch. Der Kunstwissenschaftler Paul Schumann (12.08.1855 – 24.09.1927) gibt uns in seinem 1909 erschienenen Aufsatz über dieses Monumentalwerk die genauen Maße auf den Weg; 20,30 Meter in der Länge, 6,15 Meter in der Höhe. Der Kunsthistoriker Willy Pastor (22.09.1867 – 18.04.1933) schrieb vor einhundert Jahren in seiner 1919 erschienenen Monografie über den Meisterkünstler der Wiener und Leipziger Sezessionen, dass Klingers Großbildwerke „Christus im Olymp“, das „Parisurteil“ und die „Kreuzigung Christi“ vieles von dem vorweg nahmen, was er ab 1909 fertig gestellt in der Aula der Universität Leipzig zeigen konnte. Der Auftrag erfolgte freilich früher. Die Vorbereitungen, Skizzen, Planungen sowie die Verwirklichung  füllten drei Jahre aus. Diese Allegorie auf die griechische Bildungskultur im, seit 1409 existierenden, Hort der Bildung überhaupt; die Leipziger Universität, zeigt Figuren wie der Dichter Homer, den Makedonierkönig Alexander der Große, die Philosophen Aristoteles und Plato. Eine weibliche nackte Figur steht stellvertretend für die Göttin Aphrodite. Wir sehen auch vier Menschengruppen; eine sitzt dem blinden Homer zu Füßen und lauscht seinen Geschichten. Eine zweite wird aus den beiden weißbärtigen Gestalten, einer an den Baum lehnende Frauenfigur und einem daneben hockenden Knaben gebildet. Die dritte befindet sich im kühlen Schatten der Bäume. Die vierte stürmt aus der rechten Bildseite ins Sujet hinein. Alle sind mehr oder weniger nackt. Die beiden, als Philosophen beschriebenen, ehrwürdigen, weißbärtigen und hoch gewachsenen Gestalten in der Bildmitte schreiten aus dem Schatten in die Helligkeit, gefolgt von einer jungen Frau mit einer Knabenfrisur und Alexander dem Großen. Zur rechten von der männlichen Figur, die Plato zugeordnet wird, befindet sich ein blühender Oleanderbusch. Dahinter stehend an einem Baum lehnend taucht eine weibliche Figur, angebetet von einem nackten Jüngling.

Die Bildführung, also die Lesart führt uns von der dunklen zur lichtdurchfluteten Bildseite; aus dem schattigen Gehölz zu einem Blick zum offenen Horizont. Für Pastor ist die Bildaufteilung zu einem Drittel schattigem Dunkel und zwei Dritteln heller Weite die geeignete Lösung, um den Dimensionen aufgrund der Länge des Bildes Herr zu werden. Im Hintergrund wird ein Berg angestrahlt. Wenn wir unseren Blick auf die helle Bildseite schweifen, entdecken wir ein Gewässer. Hinter der Homer lauschenden Figurengruppen entdecken wir ein flachgedecktes Gebäude mit einem schattigen Hof, von einer Pergola überspannt, vermutlich mit Weinreben.

Alles nichts weiter als eine Nudistenparty in Großjena?

Dass im ausgehenden Deutschen Kaiserreich die Nudistenkultur seine erste Hochkonjunktur erfuhr, ist weitestgehend aus der wissenschaftlichen Fachliteratur bekannt. Auch dass Klinger sich mit neuen gesellschaftlichen Trends, wie dem Kraftsport auseinandersetzte, dürfte mit der aktuell stattfindenden Klinger-Ausstellung im Museum der bildenden Künste Leipzig auch bekannt sein. Nacktheit als griechisches Ideal des menschlichen Körpers ist durchaus nicht nur bildprogrammatisch bei Klinger zu verstehen. Dass er v.a. der weiblichen Figur in seinen Zeichnungen, Grafiken und Gemälden ein Denkmal setzte, ist ebenfalls bekannt. Er war, zumindest zeichnerisch und grafisch, auch ein hervorragender Porträtist. Wenn vor über hundert Jahren u.a. Paul Schumann und Willy Pastor meinen, Klinger habe in seinen Gemälden lediglich überspitzte und überhöhte Gesichter abgebildet, muss man heute auch gegenhalten, sich wissenschaftlich mit dem Freundeskreis Klingers auseinandersetzen. So entdecken wir in „Hellas oder die Blüte Griechenlands“ das Bildnis Elsa Asenijeffs in Gestalt der im Abseits von den anderen Gruppen am Baum lehnenden Frauenfigur. Die Asenijeff-Forscherin Rita Jorek schreibt in ihrem Aufsatz im aktuellen Ausstellungskatalog zur „Asenijeff“-Ausstellung im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig, dass Asenijeff auch in einer 1912 fertiggestellten Gartenlandschaft „Drei Frauen im Weinberg“ gezeigt wird. Klinger und sie bewohnten seit 1905 ein Häuschen in Großjena, wo sie fernab der Leipziger High Society leben konnten. Vor allem wollte Klinger dort in Ruhe arbeiten. Aus der Korrespondenz mit ihr geht hervor, dass er nach der Auftragsannahme 1906 ein Jahr später aufgrund des Drucks zusammenbrach. Er fertigte die Studien und Vorarbeiten für „Hellas“ vorwiegend in Großjena an. Es kann durchaus sein, dass Klinger auf diesem Grundstück auch seine Aktstudien vornahm, diese und Landschaftsstudien in seine Arbeit einflossen. Es ist auch bekannt, dass Klinger seit längerer Zeit Aktstudien in den Sommermonaten auf Grundstücken im engen Freundeskreis im Leipziger Land unternahm, mit Modell-Entourage und womöglich auch mit Elsa Asenijeff im Schlepptau Arbeit und Vergnügen vereinte.

Ein anderes Porträt, dass in „Hellas“ auftaucht, ist das vom Leipziger Maler und Grafiker Otto Greiner (16.12.1869-24.09.1916). Er taucht in der Homer-Gruppe am rechten Ende dem Geschichtenerzähler zu Füßen sitzenden Reihe aus Nackten auf und blickt die Reihe entlang, hoch zur nackten Aphrodite. In einer Vorstudie Klingers aus Pastellkreide, Papier und Karton von 1906 blickt er zu der jungen Frau neben ihm. Greiner ist, wie Max Klinger auch, ebenfalls als Spätsezessionist und Symbolist bekannt für seine lebensechten Aktdarstellungen, arbeitete ähnlich modern mit klassizistischen Anleihen an Sujets wie der „Triumph der Venus“, „Prometheus“, „Der Tanz“ und „Herkules bei Omphale“.  Auch seine Figuren scheinen von lebenden Modellen geschaffen worden zu sein, arbeitete Greiner auch wesentlich klarer und präziser als Klinger. 

In der Reihe der Zuhörer sitzen einige andere Personen, deren Identität noch nicht festgestellt ist. Dies gilt auch für Klingers letztes, im August 1918 fertiggestelltes und 100.000 RM teures, Großwandbild im Stadtverordnetenhaus von Chemnitz mit dem Titel „Arbeit = Wohlstand = Schönheit“. Angela Merkel würde knapp fünfzehn Jahre nach ihrem Slogan „Sozial ist das, was Arbeit schafft“ zu Klingers Werk „Arbeit schafft Schönheit“ sagen. Materieller Wohlstand ist hingegen kein Kriterium mehr, um Arbeit zu definieren. Dass sie schön macht, ist auch anzuzweifeln. Dieses Werk würde angesichts leicht bekleideter Mädchen vor Hafenkulisse in „Sozialen Medien“ wie Instagram so manchem Schnappschuss den Rang ablaufen, wo die Schönen und Reichen gern auch unter sich bleiben und der arbeitenden Bevölkerung zeigen wie‘s wirklich geht. Dass beide Werke nicht im aktuellen Ausstellungskatalog des Museums der bildenden Künste zur kürzlich beendeten, und leider nicht verlängerten, Klingerausstellung einbezogen wurden, ist sicherlich dem Fokus der Ausstellung auf die musealen Sammlungen geschuldet. Ihre Nicht-Erwähnung dennoch unverzeihlich.

Beitragsbild: „Die Blüte Griechenlands“ in einer historischen Aufnahme. Bildrechte: Studiensammlungen der Universität Leipzig, Kustodie.

Leipzig um 1900 – Warum Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt sen. den Maler Max Klinger aufsuchte

Daniel Thalheim

Das Jahr 1894 stand mitten in der Blüte. Schon damals galt die Messestadt als grün. Der Dresdner Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt verschlug es im Sommer nach Leipzig, um einen Mann zu besuchen, der als „Malerfürst“ der Messestadt galt. Seine Suche nach dem Bildhauer, Grafiker und Maler gestaltete sich als mühsam. Der Kunsthistoriker fand Max Klingers Atelier im industriellen Herz von Plagwitz. In einer seiner Kammern hatte der Künstler sich einen Ruhepol inmitten von Industriewerkhallen geschaffen.

Gurlitts Fahrt durch Leipzig war eine langweilige Odyssee

Vor 125 fand in Leipzig eine Begegnung der „Giganten“ der damaligen Kunstszene statt. Cornelius Gurlitts (1850-1938) große Bedeutung als Kunsthistoriker bestand in der Inventarisierung der Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen und sein Gesamtwerk zum Barock. Der Begründer der sächsischen Denkmalpflege ist Großvater des gleichnamigen Münchner Kunstsammlers, dem 2012/2013 das Sammeln von Raubkunst vorgeworfen wurde, was sich größtenteils als falsch erwies udn der hochbetagte Sammler über diesen Wirbel um ihn und seine Bilder verstarb. 

Max Klinger war ein Allrounder, der verschiedene künstlerische Genres beherrschte; Grafik, Bildhauerei und Malerei. Er galt als Schwergewicht und Lichtgestalt des damaligen Kunstgeschehens – und als deutscher Auguste Rodin, dem Neuerer der französischen Bildhauerei. Mit dem französischen Bildhauer verband Klinger eine Freundschaft ebenso wie mit dem Leipziger Architekt Friedrich Felix Thalheim (1861-1922), in dessen Haus in Grimma Klinger während seiner Sommeraufenthalte ein- und ausging, dort auch Aktstudien anfertigte. Er war mit den Wiener Sezessionisten vernetzt, hob in Leipzig mehrere Kunstvereine aus der Taufe. Seine Werke waren beliebt und gern gesehen. Er führte in seinem bildhauerischen Schaffen verschiedene Materialien zusammen, erneuerte so unseren Blick auf die griechisch-römische Antike. Bunt waren die mythischen und wichtigen Gestalten auf den marmornen Sockeln. Farbig sind auch die Skulpturen Klingers. Seine Bedeutung erlangt er durch das Zusammenführen der unterschiedlichen Genres zu einer umfassenden Raumkunst. Kunst sollte alles durchdringen und überall gegenwärtig sein.

Auch Cornelius Gurlitt snr. war ein Netzwerker, stand in Kontakt mit u.a. dem Hamburger Kunsthistoriker und Museumsdirektor Alfred Lichtwark (1852-1914) und eben Max Klinger (1857-1920). 

1894 trieb es ihn zum Leipziger Sezessionisten und Symbolisten. Der Mitbegründer der ersten Leipziger Jahresausstellung und Gründervater des Leipziger Kunstvereins residierte in der Villa, die heute Anlaufpunkt für private Kunstsalons ist und in Erinnerung an den Meistermaler „Klinger-Villa“ heißt. 

Der malende Superstar der Leipziger Kunstszene hat beim Kunstforscher das Interesse geweckt. Worum es dem Kunstwissenschaftler mit seiner Reise wirklich ging, hält er weitestgehend als Informationen zurück. Der Begründer der Barockforschung im deutschsprachigen Raum besaß lediglich ein hohes Interesse an den Leipziger Künstler und wollte ihn kennenlernen. Der eigentliche Grund seines Kommens war die 1893 erfolgte Berliner Ausstellung, wo Klinger, neben seiner „Piéta“ und „Blauen Stunde“, zahlreiche Aufsehen erregende Radierungen zeigte.

Überdimensionierte Straßenbahnen donnern im angebrochenen 3. Jahrtausend an seinem ehemaligen Domizil vorbei. 1894 fuhr die wesentlich betulichere Pferdetram nach Plagwitz. Gurlitt ließ sich von dem Schaffner den Weg zeigen. Den Weg zu Klingers Villa beschrieb der seit 1893 in Dresden lebende Kunsthistoriker und Architekt wegen der Pferdestraßenbahn und der geradlinigen Straßenführung als beschwerlich und langweilig. Kein Wunder, anders als Dresden mit seiner malerischen „Skyline“ bot Leipzig im ausgehenden 19. Jahrhundert nichts vergleichbares.

Er nahm in Leipzig verschiedene Orte wahr, die er auf dem Weg zu Klingers Villa bestaunte. Als er die Elsterauen überquerte, bezeichnete Gurlitt diese als Leipzigs schönste Zierde. Seine, in der Zeitschrift „Kunst für alle“ vorgenommene, Beschreibung der Elsteraue vergleicht den Anblick mit Situationen in Holland und in England. Mystischer und malerischer war für Gurlitt die Durchquerung der „Nonne“. Klingers Villa beschrieb der Kunsthistoriker als „sauber“ und „schmuck“. 

Bevor er das Grundstück betrat, wurde er von einem Bediensteten des Malers hingewiesen, dass Klinger selbst nicht im Haus sei, sondern in seinem Atelier. Dazu müsse Gurlitt bis zum Pferdebahndepot fahren und nur ein paar Minuten gehen. Leichter gesagt als getan. Gurlitt verlief sich. Die Pferdebahnlinie wurde zum Zeitpunkt seiner Ankunft in Leipzig umgebaut, so dass er weit vorm Depot umsteigen musste. Bald hatte er die Villengegend verlassen, um in die „Zinshausgegend“ zu kommen. Der Architekturkritiker kam in ihm durch. Die Leipziger Architekten würden an vielen Gebäuden ihren Stil suchen, hielt er fest. Die Leipziger Bauwut war für ihn eine ungehobelte Gestaltungswut. Gurlitt schlussfolgerte, dass „tolle“ Architekten die Unternehmer gebissen haben und so eine „unerhörte Formenselbstständigkeit in billigstem Putzbau“ schufen. Wenn das heutige Denkmalpfleger wüssten… 

Säh’n Se! Nu ham’ mer’n!

Klinger war nicht in Sicht. Gurlitts Reise verwandelte sich zu einer Odyssee quer durch den Leipziger Westen des späten 19. Jahrhunderts. Der Kunst- und Architekturhistoriker gab sich der Vorstellung hin, Klingers Atelier sei leicht zu finden. Dem war nicht so. Er konnte sich durchfragen, wo er wollte. Den Arbeitern vor Ort war er unbekannt. Der Polizeivorsteher der örtlichen Polizeiwache konnte nichts mit dem Namen anfangen und begab sich mit Gurlitt gemeinsam auf die Suche nach dem ominösen Maler, den Ort – gemäß der Informationen, die der Polizeimeister besaß – lauter fein gekleidete Herren aufsuchen würden, weil sie, wie Gurlitt, ihn nach seiner künstlerischen Bleibe fragten. Als der Polizist und der Kunsthistoriker auf der Straße sich über den Verbleib von Klingers Atelier unterhielten, wurde ein vorbei laufender Arbeiter stutzig und beschrieb den beiden den Weg in die nächstgelegene Eisengießerei. Der Polizist soll im Anblick auf Klingers Adressschild gesagt haben: „Säh’n Se! Nu ham’ mer’n!“ 

Gurlitt drang in die Herzkammer des Künstlers Schaffen vor, der neben Max Liebermann (1847-1935) und Louis Corinth (1858-1925), zu den besten seiner Zunft gehörte. In einem der Maschinenräume war bis zur Fertigstellung von Klingers – im Zweiten Weltkrieg zerstörten – Atelierhaus tatsächlich das Revier des Leipziger Sezessionisten. Riesige Gemälde beherrschten den Raum, der von einem großen Stück Leinen in zwei Abschnitte geteilt wurde: einen für die Bildhauerkunst, einen für die Malerei. Die Farbskulptur der „Salome“ starrte auf den Hereinkommenden, an den Wänden waren Skizzen gepinnt. Wahrscheinlich konzipierte an diesem Ort Klinger die Skulptur der „Kassandra“. Hier befanden sich die Werke „Der Triumph des Christentums über den Olymp“ und „Das Urteil des Paris’“ in ihren Schlussphasen. 

Häuslich richtete sich der Künstler ein. Ein Klavier, ein Sofa und eine Garderobe standen in der hohen Werkhalle. Einige der Werke, die Gurlitt in ihrer Entstehungszeit sah, befinden sich nun im Besitz Wiener Belvedere, als Leihgaben im Museum der Bildenden Künste in Leipzig. Im seit 2017 neu eingerichteten Klingersaal können die Besucher die Skulpturen- und Gemäldegruppen bewundern, wenn auch ihre Aufstellung nicht dem von Klinger favorisierten Raumkonzept entsprechen. 

Im Geiste von Auguste Rodin – Was im Klingerjahr 2020 auf die Leipziger zukommt

Von Daniel Thalheim

Ein Rechtsstreit öffnet den Blick für die Leipziger Kunst vor 1945

Ein Rechtsstreit um zwei Skulpturen aus der Zeit des deutschen Sezessionimus sorgte seit 2015 für Öffentlichkeit. Der Vorgang öffnet aber wieder den Blick auf ein Leipziger Kunsttreiben, das vor dem Ersten Weltkrieg stattfand. Der Sohn des früheren Direktors des Leipziger Zoologischen Gartens, Johannes Gebbing, wollte sie per Klage aus dem Besitz der Stadt Leipzig entreißen. Nun bleiben „Jason und die Stiere des Aietes“ von Walter Lenck sowie der „Athlet“  von Max Klinger im Besitz der Stadt und an ihren Standorten im Leipziger Zoo. Denn der Kläger hat seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision vor dem Bundesgerichtshof zurückgenommen. Mit diesem Rückzug ist das zweitinstanzliche Urteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 26. Oktober 2018 und das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Leipzig vom 18. Mai 2018, nach denen die Stadt Leipzig als Beklagte gegen die Herausgabeklage bereits obsiegt hatte, rechtskräftig. Der Weg ist so auch frei für eine Leistungsschau über einen Künstler und sein Umfeld geworden. 2020 jährt sich der Tod des Allrounders Max Klinger zum hundertsten Mal. Er verband, wie andere Sezessionisten in Europa um 1900, Architektur, Malerei und Grafik zu einem Gesamtkunstwerk. Das Museum der bildenden Künste geht anlässlich seines Todes in die Tiefen seines Gesamtschaffens und hebt einige Schätze, die ein umfassendes Bild des Leipziger Netzwerkers und Förderers zeichnen sollen als bisher getan. Was können Leipziger 2020 im MdbK erwarten?

Klingers Athlet – Sinnbild für künstlerische Ausgewogenheit

Zurück zum Zoo. Beide Kunstwerke, um die sich in der letzten Zeit Anwälte und Gerichte kümmerten, sind nicht nur denkmalgeschützt und wegen ihrer Präsenz allein wertvoll. Die Bronzen sind auch kunsthistorisch sehr interessant. Sie stehen wegen ihres Einfrierens von Kraft, Bewegung und Ausdruck ganz dem Geist des französischen Bildhauers Auguste Rodin nahe. Er gilt als ein Bildhauer, der „impressionistisch“ arbeitete, Skulpturen auch mal unvollendet ließ. 

Klingers "Athlet" existiert in zwei Versionen. Die des knieenden Athleten ist die zweite Fassung. (Foto: Screenshot by Artefakte 2019)
Klingers „Athlet“ existiert in zwei Versionen. Die des knieenden Athleten ist die zweite Fassung. (Foto: Screenshot by Artefakte 2019)

Das Unfertige und Unvollendete erhob Auguste Rodin zum künstlerischen Prinzip und findet v.a. in der Skulptur Max Klingers seine Entsprechung. Klingers, vielleicht entstandenes 1901 und 1932 durch den Zoo Leipzig erworbenes, Werk – eine Bronze-Studie eines Athleten – gilt in der Kunstwissenschaft als Fixierung einer Skizze. Noch viel stärker trifft dieses Urteil auf sein Erstlingswerk zu, das heute im Besitz des Museums der bildenden Künste ist und einen stehenden Athleten zeigt, der beide Hände im Nacken ineinanderfaltet und so eine „Bodybuilder-Pose“ einnimmt.

In der 2007 erschienenen Schrift „Max Klinger: auf der Suche nach dem neuen Menschen“ wird die These aufgestellt, Klingers Athletenbüsten um 1900 seien Darstellungen von Kraft und Schönheit. Bekannt ist, dass der Künstler mit athletischen Modellen arbeitete und sie auch die Kunstwerke begutachten ließ. In einem 1919 erschienenen Buch von Willy Pastor wird sogar davon gesprochen, Klinger habe lediglich ausgefeilte Erfahrungen als Bildner weiblicher Akte besessen, nicht des männlichen Körpers. So wären demzufolge alle seine Athletenskulpturen „Beispiele unvollendeten Könnens“. 

Die sich im MdbK befindende Zweitfassung des stehenden „Athleten“ ist ein Teil einer Figurengruppe mit einer dazu gestellten Frau, die bereits 1899 von Klinger konzipiert wurde und zum Mittelpunkt einen Zirkusdarsteller hat. Sie wurde 1901 fertiggestellt u.a. auch auf der Großen Sezessionsausstellung 1902 in Wien u.a. zusammen mit dem Beethoven und einer Mädchenbüste gezeigt.

Klinger – der Zweifler

Besaß Klinger eine unterschwellige Homophobie? Oder nahm Klinger lediglich einen um 1900 aufkommenden Trend der Bodybuilder-Wettbewerbe auf, wie es der englische Bildhauer Charles Lewes seinerzeit getan hatte? Die Literatur strotzt nur von Verweisen auf den Bodybuilder-Trend und der Reformidee des Nacktseins in der Natur. Somit löste sich der zart nach Frühling und Sommer duftende Geist des Impressionismus in einer Testosteron geschwängerten Wolke aus Angst vorm Männerkörper, bzw. Unbehagen ihn darzustellen in Mischung mit einer Mode, den von Muskelschwellungen gestählten Männerkörper stärker in den Fokus des Interesses zu rücken. In vielen Kunstwerken des Art Nouveau sehen wir karikaturenhaft geschnittene Muskelberge mit breitem Kinn und scharf gezogenen Gesichtszügen – als würden die dargestellten Männer in Angriff übergehen. Klinger arbeitete verhaltener, überspitzte nur selten und ließ in Leipzig ein wenig den hormongestählten Druck aus seinen Plastiken ab, zeigte in seinen Skulpturen auch die körperliche – und vielleicht auch geistige – Schwäche, die in dem ganzen Image des Körperkultes zugrunde liegt. So gesehen, wäre Klinger ein typischer Vertreter der Klassischen Moderne, der seine Zweifel und Unsicherheiten in seinem Werk zum Ausdruck brachte.

Klingers Grabstätte schmückt noch heute die lebensgroße Bronzeplastik eines knienden Athleten – ein Pendant des Standbildes im Leipziger Zoo. Für die Figur soll nach Angaben des MdbK der Berufsathlet Lionel Strongfort Modell gestanden haben, der zu jener Zeit als „moderner Herkules“ mit kraftakrobatischen Vorführungen weltweit in Varietés auftrat. Um den Jahreswechsel 1900/01 hatte er auch im Leipziger Krystallpalast Station gemacht, einer der größten Vergnügungsstätten in Deutschland.

Die Bronzefigur dieses knienden Athleten und weitere Athletendarstellungen ließen Klinger in eine neue Schaffensphase treten, in der er sich als Bildhauer, wie Auguste Rodin vor ihm auch, intensiv mit der lebensgroßen Aktfigur auseinandersetzte. Ein zentraler kulturhistorischer Aspekt der Lebensreformbewegung um 1900 war die Herausbildung eines neuen Verhältnisses zum Körper, das sich einschneidend auf künstlerisch-ästhetische Fragen auswirkte und diese mit der griechisch-antiken Mythologie verknüpfte.

Lenck, Stuck und Kolbe: Lauter Athletenleiber – Kraft durch Muskeln?

Wie Walter Lenck gehört Klinger aber auch zu den Künstlern, die die griechische Antike und Mythologie zur Geltung bringen wollten. Lenck, im Gegensatz zum Leipziger Symbolisten, übertrieb seine Ausdruckskraft so sehr, dass sich 1928 der Leipziger Grafiker Max Schwimmer zur Aussage hinreißen ließ, bei der Jason-Gruppe, eine 1927 für 20.000 RM erworbene und 1928 erfolgte Schenkung des Leipziger Händlers Otto Schultz an den Leipziger Zoo, handele es sich um monumentalen Kitsch. Ein Blick in die Dresdner Kunstausstellung 1903/04 und in die Berliner Künstlerbund-Ausstellung 1905 reicht aber schon, woher die intensive Beschäftigung mit dem menschlichen Körper unter den Nazis kam und die Überhöhung des Körpers zwischen 1933 und 1945 so populär war. Vor dem Ersten Weltkrieg war der Männerakt Sinnbild für Kraft und Leben geworden. Künstler wie Franz Metzner, Bruno Heroux, Georg Kolbe, Carlo Fontana, C.A. Niehaus, Franz Stuck und Sascha Schneider stellten das Maskuline in den Mittelpunkt ihres Schaffens, oftmals mit einem Auge in die Zukunft gerichtet. Vieles von dem, was diese Künstler vor dem Ersten Weltkrieg schufen, kam unter den Nazis zu einer neuen Blüte.

Was vom Klingerjahr 2020 im MdbK zu erwarten ist

Klingers plastisches Werk gilt, bis auf wenige Gesamtdarstellungen, in der Fachwelt als nahezu unerschlossen. Einige Werke sind über 20 Jahre alt, andere haben über zehn Jahre auf dem Buckel. Innerhalb dieses Zeitraums sind die Erkenntnisse über sein bildnerisches Schaffen mit Sicherheit gewachsen, wie künftig die große Klingerausstellung im MdbK zeigen wird. Doch nicht nur die Form war für den Künstler interessant. Zum plastischen Werk gehört auch Klingers Experimentieren mit der Farbplastik als Aufgreifen und Weiterentwickeln der griechische Antike. 

Ändern wird sich der Blick auf ihn und sein Gesamtkunstwerk mit der kommenden Ausstellung im Museum der bildenden Künste in Leipzig. Besucher der Klinger-Ausstellung dürfen erwarten, dass der alte Klinger-Saal der ehemaligen Apsis am Vorgängerbau am Augustusplatz vielleicht in digitaler Form rekonstruiert wird und so ein erfahrbarer Ruf aus der Vergangenheit des MdbK ist, als das Museum an der Stelle des heutigen Gewandhauses noch mit Gaslampen beleuchtet wurde, die verzinkten Dächer die Räume im Sommer stark aufheizten und im Winter stark abkühlten. An den 1902 begonnenen Planungen der grün-blau gehaltenen Klinger-Apsis wirkte der Maestro selbst mit und begutachtete die ersten Änderungen und Renovierungsarbeiten kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs bis zu seinem Tod. 

Eine Erweiterung der Apsis für die alleinige Aufnahme der Klinger-Werke war schon bei der Errichtung derselben spruchreif, wurde aber erst 1940/41 ernsthaft betrieben und wegen Kriegsunwichtigkeit eingestellt. Ein 1943 erfolgter Bombenangriff leitete den heißen Abriss des längst baufälligen Museumshauses ein. 

Inwieweit eine Rekonstruktion seines Ateliers sowohl im Vorgängerbauwerks des heutigen Westwerk als auch neben seiner ehemaligen Villa möglich ist, dürfte als Überraschung ebenfalls im Raum stehen. Mit Sicherheit bilden Klingers künstlerische Netzwerke in Leipzig, Berlin und Wien ebenso eine wichtige Rolle wie die Einordnung seines Schaffens in die Sezessionskunst um 1900 in Europa. Klinger als Wandmaler wird ebenso im Mittelpunkt stehen wie die Erschließung seines Werkes im Zug der aufkommenden Bodybuilder-Bewegung. Auch seine künstlerische Vorstellung von der Frau wird in der kommenden Jubiläumsausstellung „Klinger 2020“ behandelt. In welcher Form Klinger sich mit Musik beschäftigte, ihn mit Gustav Klimt und, die über ihre Schülerin Elisabeth Voigt als eine Initiatorin der Leipziger Schule agierende, Käthe Kollwitz nahe stehen ließ und wie ein von ihm bemaltes Treppenhaus im damaligen MdbK ausgesehen hätte, werden 2020 am MdbK ebenso zu behandelnde Stoffe sein. Auguste Rodin wird ebenso aus der Ferne dabei sein. Dass Max Klinger immer noch Bestandteil des künstlerischen Lebens ist, zeigt v.a. der symbolistische Duktus vieler künstlerischer Positionen in dieser Stadt.

Leonardo war nicht in Leipzig – Eine Ausstellung untersucht Spuren eines Renaissancekünstlers

 

Daniel Thalheim

Leonardo Da Vinci wird Leipzig selbst nicht gekannt haben. Natürlich kann er sich auch nicht in der Messestadt aufgehalten haben. Sein Einfluss reicht über die Zeitläufte hinaus und schlug sich in der Renaissanceforschung des Kunsthistorischen Instituts im 19. Jahrhundert bis heute nieder. Künstlerisch arbeiteten sich Persönlichkeiten wie James Marshall (1838-1903), Jochen Plogsties und Ben Willikens an ihm ab. Über eine Ausstellung, die nicht nur die Augen sondern auch die Gemüter öffnet. 

Was Leonardo mit Leipzig (nicht) zu tun hat

Im zweiten Obergeschoss des Leipziger Kunstmuseums findet seit dem 11. Juli eine Ausstellung statt, deren Titel etwas selbstverständliches verrät: Leonardo Da Vinci war tatsächlich nicht in Leipzig. Er war jedoch seit dem späten 19. Jahrhundert Gegenstand der Leonardo-Forschung, zumindest wenn es – weiter gefasst – um die Forschungen um die Florentinische Malerei des 16. Jahrhunderts geht, und noch weiter gefasst, stets Forschungsgegenstand am Institut für Kunstgeschichte war und ist. Durch den Kunsthistoriker Frank Zöllner ist Leonardo Da Vinci in Leipzig wieder seit 20 Jahren ein Mittelpunkt der Forschungsthemen rund um die Kunstgeschichte in der Frühmoderne – insofern spielt Leonardo doch wieder eine Rolle in der Messestadt. Ein anderer Schwerpunkt von Frank Zöllner ist die Kunstszene um Max Klinger. Nun die Ausstellung, wie sehr auch Leonardo in Leipzig Spuren hinterließ, ohne in der Messestadt anwesend gewesen zu sein. Sie dreht sich auch um den anderen Schwerpunkt, wie moderne Maler und zeitgenössische Künstler mit dem Erbe von Leonardo Da Vinci umgehen. 

Nicht nur wissenschaftlich wurde das Werk Leonardos in Leipzig rezipiert. Die Familie Speck von Sternburg begann schon früh, Faksimile-Drucke Leonardos aus dem 19. Jahrhundert zu sammeln. Vorm Hintergrund Leonardos Einfluss’ auf die Künstler der Frühmoderne und Moderne, werden in der Ausstellung auch Interpretationen bekannter Werke des Renaissance-Genies gezeigt. 

Die italienische Renaissance in Leipzig – neben den Niederländern schon immer Bestandteil in Leipzigs bürgerlich-adeligen Sammlungen

Besonders wertvoll sind die bildnerischen Werke von Andrea Solari (1460-1524) und Francesco Botticini ( – ). Solari war selbst Schüler Leonardos, war in seiner Werkstatt tätig und gilt als einer seiner wichtigsten Nachfolger. Das MdbK ist im Besitz eines der „Ecce Homo“-Bilder, die Solari im Laufe seines Lebens malte. Das Werk aus dem Besitz der Sammlung Speck von Sternburg ist wohl um 1507 bis 1509 entstanden und unterscheidet sich stark von den Varianten, die Solari zwischen 1505 und 1510 schuf und die sich sowohl in einer Privatsammlung in Bresca und im Museo Nazionale in Varsavia befinden. Auch das Museo Poldi Pezzoli di Milano besitzt eines dieser Werke. Ein weiteres Bild soll sich im Oxforder Ashmolean Museum befinden. In der Speck’schen Sammlung in Leipzig ist auch eine 1827 geschaffene Lithographie des „Leipziger Motivs“ enthalten. Wahrscheinlich ist die Lithographie entstanden, weil die Familie 1827 einen Werkkatalog herausgab, wo sämtliche Gemälde verzeichnet wurden. In der Entstehungszeit der Lithographie und des Werkverzeichnisses wirkte ein Hr. Frank, J. H. (sic.) in der Reichsstraße als Antiquar. Er soll neben Bildern auch mit Naturalien und ausgestopften Tieren gehandelt haben. Wahrscheinlich gelangte die Grafik aus seinem Fundus in die Speck’sche Sammlung. 

Die Sammlungstätigkeit einzelner Bürger und Adeliger führten dazu, dass Leipzigs erstes Kunstmuseum in der ehemaligen Bürgerschule entstand, die bis zum Zweiten Weltkrieg auf den zugeschütteten Gemäuern der Moritzbastei existierte. Das Museum der bildenden Künste, wie sie Mitte des 19. Jahrhunderts am Augustusplatz öffentlich zugänglich war, beherbergte bis zum Zweiten Weltkrieg vorrangig die von den Sammlern gestiftete Sammlungsschwerpunkte. Nach 1945 traten die dauerausgestellten Sammlungen zugunsten eines rotierenden Ausstellungsgeschehens zurück und werden bis heute nur in Teilen gezeigt. Wenngleich nach dem 15. September die Ausstellung „Leonardo war nie in Leipzig“ ins „Archiv“ wandert, bleiben die Exponate aus den alten Bestandssammlungen in der Dauerausstellung immer noch Fenster in die Vergangenheit als das MdbK noch jung war. Insofern gelangte über Umwege Leonardo doch noch nach Leipzig und hinterlässt in der Messestadt seinen Stempel.

Warum Leonardo doch in Leipzig war und ist, wird in der Ausstellungsbeschreibung des Museums verdeutlicht.

Die Ausstellung ist noch bis zum 15. September zu sehen.

Leipzig um 1900 – Warum das Schiller-Denkmal zu neuem Leben erweckt wird

Derzeit wird in Leipzig ein Denkmal restauriert, das womöglich zur späten Blüte des Leipziger Sezessionsstils gehört. Was es dabei auf sich hat, wer der Bildhauer Johannes Hartmann war und wie das Schiller-Denkmal einzuordnen ist, versucht folgender Beitrag ein wenig zu beleuchten.

Von Daniel Thalheim

Die Stadtverwaltung von Leipzig weiß, was dem Schiller-Denkmal im vergangenen Jahr angetan wurde. Die 1914 von August Schmiemann nach Entwürfen von Johannes Hartmann geschaffene Skulptur aus Laaser Marmor wurde Opfer von Vandalismus. Schiller stand nun da, verschmiert und ohne Nase. Dank der Bereitstellung von Fördermitteln der Landesdirektion Sachsen, eingegangener Spenden und Mitteln der Stadt Leipzig kann das Jugendstil-Meisterwerk seit Anfang Juli 2018 restauriert werden. Die Gesamtkosten der Maßnahme betragen nach Auskunft des Leipziger Kulturamts rund 12.000 Euro. Die Maßnahme soll schon im Oktober desselben Jahres beendet sein.

Ergebnis einer bürgerlichen Stiftung – Das Schiller-Denkmal in Leipzig

1905 war das 100. Todesjahr des zweiten großen Dichterfürsten neben Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832). Friedrich Schiller (1759-1805) gilt als der zweite Hauptvertreter der Literatur des Sturm und Drang und der Weimarer Klassik. Anlässlich dieses Ereignisses wurden auch in Dresden und Leipzig Schiller-Denkmäler in Auftrag gegeben und errichtet. Zwar wurden bereits vor dem Ereignisjahr schon Schiller-Denkmäler, mal Solo und mal mit Goethe, auf den Sockel gehoben. Zum Einhundertsten scheint so eine skulpturale Huldigung doch schon etwas besonderes zu sein.

Das Schillerdenkmal in Leipzig, historische Postkartenaufnahme (Copyright frei)
Das Schillerdenkmal in Leipzig, historische Postkartenaufnahme (Copyright frei)

In Dresden befand sich schon zu diesem Zeitpunkt ein Denkmal aus zwei sitzenden Figuren von Ernst Friedrich August Rietschel (1804-1861). Doch der Wunsch, in Dresden-Neustadt ein Solo-Denkmal für Schiller zu errichten, war 1905 groß. Hat der Dichter aufgrund des Mäzenats des Schriftstellers und Herausgebers Christian Gottfried Körner (1756-1831) eine sorglose und glückliche Zeit in direkter Nachbarschaft, in Dresden-Loschwitz, verlebt. Ein Schillerhäuschen zeugt noch von seinem Aufenthalt von 1785 bis 1787.
Auch in Leipzig hielt Friedrich Schiller sich 1785 auf. Im Vorort und heutigen Stadtteil Gohlis schrieb er das Gedicht „An die Freude“, das der Komponist Ludwig van Beethoven (1770-1827) für seine 9. Sinfonie verwendete und so zur weltweiten Berühmtheit wurde. Der klassizistische Bildhauer Johann Friedrich Dannecker (1758-1841) schuf zwischen 1793 und 1805 mehrere Schiller-Büsten. Seine Arbeiten und die Totenmaske des Dichters dürften die Hauptquellen für die Skulpteure der Jahrhundertwendezeit gewesen sein, auch für die in Leipzig. In Jena steht eine Bronzekopie von einer seiner Arbeiten.
Nach der Ausschreibung des Denkmals 1905 gründete der Leipziger Germanist und Literaturforscher sowie Vorsitzender des Leipziger Schillervereins Georg Witkowski (1863-1939) 1906 einen Denkmalsausschuss. Für das Leipziger Denkmal stand ein Stiftungsgeld von 20.000 RMk (heute rd. 271.000 EUR) bereit. Ein, mit einer Ausstellung begleiteter, Wettbewerb, dem der Leipziger Sezessionskünstler Max Klinger vorstand, wurde 1912 durchgeführt. 33 Einreichungen gelangten in die Hände der Jury. Das Modell des Leipziger Bildhauers Johannes Hartmann (1869-1952) wurde aus den anderen Entwürfen prämiert. Ausgeführt wurde die Skulptur allerdings vom in Leipzig lebenden Münsteraner Bildhauer August Schmiemann jnr. (vermutl. 1846-1927). Bis zum 9. Mai 1914 konnte das Denkmal fertiggestellt und im Leipziger Lenné-Park aufgestellt werden. Georg Witkowski hielt die Weihe-Rede. Das Denkmal selbst sorgte aber wegen der nackten allegorischen Figuren für eine Kontroverse, die jedoch im Ersten Weltkrieg unterging. Die Skulptur wurde, wie das zeitgleich in Dresden entstandene Werk, aus Laaser Marmor geschaffen. Die Konkurrenz zu Johannes Hartmann bildete das Who-Is-Who der Leipziger Bildhauer.

Von der Idee des Schillerhains im Lenné-Park und warum Leipzig vor hundert Jahren am Puls der Kunst war

Unter den 33 Einreichungen befanden sich viele Ideen, die scheinbar den Gedanken eines Andachthains für den Dichterfürsten aufgegriffen hatten. Wir wissen, dass neben dem prämierten Entwurf noch vier zweite Preise verteilt wurden. Programmvorschriften und Ideenkonkurrenz soll es nicht gegeben haben. So erblickten die Leipziger während der Wettbewerbsausstellung 1912 auf eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie der Abschnitt, wo das heutige Schiller-Denkmal steht, zu gestalten sei. Der konventionelle Typus des Schillerstandbilds auf einem Sockel als Ganzfigur trat dabei zurück.
Stattdessen blickten die Leipziger auf entworfene Schiller-Anlagen aus Brunnen, Tempeln und Säulen. Offenbar versuchten die untereinander konkurrierenden Künstler eine Art Gedenkstätte zu schaffen, wo der Betrachter gern verweilen will. Dass dies wohl dem späteren Klinger-Nachlassverwalter Johannes Hartmann gelungen ist, scheint auch an seinen Fürsprecher Max Klinger gelegen haben. Hartmann entwickelte ebenfalls das von Max Klinger entworfene und anfangs geschaffene Postament des Richard-Wagner-Denkmals weiter, das der 2013 verwirklichten Skulptur von Stephan Balkenhol als Basis dient. Schon damals war das Wagner-Denkmal als Kolossalskulptur in den Parkanlagen zwischen dem Neubau des „Alten Theaters“ und der Matthäi-Kirche auf einem Stufenaufbau geplant – so ist es auch heute. Auch dass das Leipziger Kulturamt für die Restaurierung des Schiller-Denkmals für private Gelder wirbt, zeugt noch vom Geist der bürgerlichen Idee, die Messestadt aktiv zu gestalten.
Dass das seit über 100 Jahren bestehende Schiller-Denkmal im Lenné-Park die Umgebungsnatur der Parkanlage für einen Schillerhain geschaffen hat dürfte das Ansinnen von Max Klinger und Johannes Hartmann gewesen sein. Nicht nur damals war der Ort ein Magnet für Leipziger und auch für Touristen. Heute gilt die Arbeit von Johannes Hartmann und August Schmiemann als wichtiges Werk der Leipziger Sezession, die in Bezug auf Innenraumgestaltungen und Bauplastiken noch starke Bezüge zum französischen Art Nouveau aufweist, aber auch – wenn es um das von Johannes Hartmann entworfene Möbeldesign dieser Zeit geht – Entwicklungen der englisch-schottischen Arts & Crafts-Bewegung im Sinne der Werkbundbewegung aufgreift und eine für Leipzig typische Ausprägung in die Moderne weiterführt. Leipzigs Künstler legten ihre Finger an den Puls der damaligen Zeit. Internationale Kunst der Klassischen Moderne war bei den Leipziger Jahresausstellungen vertreten. An der damaligen Kunstakademie kursierten japanische Farbholzschnitte und dürften so auch grafisch und malerisch einen großen Eindruck hinterlassen haben. Die Medailleurs- und Skulpteurskunst stand hoch im Kurs, die grafischen Disziplinen und die ex-libris-Kunst erlebten ihre Blüte. Doch seltsamerweise scheint die Kunst bis auf wenige Ausnahmen dieser Zeit aber auch bis 1945 in einer konservativen Starre verharrt gewesen zu sein.

Leipzig um 1900 – Der verschwundene Brunnen von Bernhard Frydag

Von Daniel Thalheim

1907 wurde ein Brunnen in den Besitz der Stadt Leipzig übertragen. Käufer war ein Ehepaar, das das Kunstwerk anlässlich ihres Silberhochzeitstages direkt vom Künstler erwarb. Delikat ist das Thema des Brunnens. Ausgesucht und erlesen war das Material. Der Künstler war kein Unbekannter. Der Brunnen ist aber heute nicht mehr auffindbar – zum großen Bedauern des Amts für Stadtgrün und Gewässer sowie des Kulturamts der Stadt Leipzig. 

Ein Vertreter der Neo-Romantik und des Jugendstils in Deutschland – Bernhard Frydag

Bernhard Frydag (1879-1916) blickte auf ein künstlerisch bewegtes Leben zurück. Geschrieben wurde jedoch über ihn wenig. Wenige Einträge finden sich in alten Periodika, im Internet, in Archiven und in dem einen oder anderen Lexikoneintrag. Er war Mitglied im Deutschen Künstlerbund, einer Vereinigung, die u.a. auf das Bestreben des Leipziger Malers und Grafikers Max Klinger (1857-1920) zurück geht. Eine Generation von Neuerern der deutschen Malerei und Plastik, wie Alfred Lichtwark (1852-1914), Max Liebermann (1847-1935), Lovis Corinth (1858-1925) und Max Slevogt (1868-1932) gehörten zu dieser überregionalen Sezession. Auch der Expressionist Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976) war Teil des ersten gewählten Vorstandes des Deutschen Künstlerbundes. Der Bildhauer und Medailleur Bernhard Frydag war hingegen eines von vielen Mitgliedern. Zu seinem Werk gehören vorwiegend dekorative Bauplastiken und Kleinbronzen. Sein Schäferbrunnen sticht, wie sein heute noch bestehendes Kriegerdenkmal am Mauritztor in Münster, aus diesem Werkschaffen hervor. Beide Objekte sind autarke Großplastiken. Sein Schäferbrunnen war auch eine von drei von ihm eingereichten Arbeiten im Park der Großen Berliner Kunstausstellung 1907. Dieses Kunstwerk, eine Figurengruppe aus einer Frau und einem Mann und einigen Schafen, wurde nach der oben erwähnten Berliner Ausstellung von der Stadtverwaltung Leipzigs angekauft und im damaligen König-Albert-Park aufgestellt. Der Brunnen aus Muschelkalk befand sich an der Stelle wo heute das Schachzentrum im Clara-Zetkin-Park steht.

Frydag selbst wohnte in Berlin-Grunewald, wurde am 18. Juni 1879 in Münster geboren. Er war Schüler der Unterrichtsanstalt des Berliner Kunstgewerbe-Museums. Sein Schaffen ist ausgezeichnet von der Betonung der Vertikalen und der scharfen Linie. Auf der Münchner Jahresausstellung 1906 zeigte er die Kleinbronze „Verklungenes Lied“. Es zeigt einen Violinisten, der im Spiel innehält. Zu seinen Füßen versucht eine halbnackte Muse ihn zum Spielen zu bewegen, schafft es aber nicht. Die innere Bewegtheit der Figuren wird durch ihre Starre verstärkt. Die Erstarrung des Violinisten wird durch den steifen Gehrock potenziert. Die Skulptur versinnbildlicht auf diese Weise den Verlust der inneren künstlerischen Eingebung und der Kreativität. 

Was die Akten über den Leipziger Schäferbrunnen erzählen

Der Schäferbrunnen hat eine kurze Geschichte. Bevor er nach Leipzig kam wogte zunächst ein reger Briefwechsel zwischen den Ausstellungsorganisatoren der Großen Berliner Kunstausstellung und dem Rat der Stadt Leipzig hin und her. Ausgangspunkt war eine im Jahr 1900 erfolgte Stiftung von 20.000 Reichsmark zweier hoch angesehener Leipziger, einem Ehepaar, das zur Silbernen Hochzeit sich ein Denkmal setzen wollte. Dieses Geld wurde in einer eigens geschaffenen und an den Mitinhaber des Leipziger Bankhauses Meyer & Co., Stadtverordneten (1897-1906) und Stadtratsabgeordneten (1906-1925) Adolf Oscar Meyer (1849-1925) gebundenen Fonds hinterlegt. Der Stifter des Brunnens, der Leipziger Archäologe und Historiker sowie Direktor des Museums der Bildenden Künste, Theodor Schreiber (1848-1913), sah die Skulpturengruppe auf der Berliner Kunstausstellung, die im Sommer 1907 am Lehrter Bahnhof stattfand. Ihm und seiner Frau gefiel sie so sehr, dass sie den Stiftungsverwalter, den Stadtratsabgeordneten Oskar Meyer, beauftragten, den Kauf zu tätigen und den Transport nach Leipzig zu ermöglichen. 11.500 Reichsmark betrug der Kaufpreis. Doch um die Genehmigungen für den Kauf und die Standortwahl – der König-Albert-Park nahe dem heutigen Musikpavillon – zu erhalten, musste eine Vorlage geschrieben werden, die der damalige Oberbürgermeister Carl Bruno Tröndlin (1835-1908) im Juli 1907 verfassen ließ und unterschrieb. Die Vorlage gelangte in die Ratsversammlung, worüber einstimmig positiv beschieden wurde. Da die Berliner Kunstausstellung bereits im August 1907 endete, bat die Stadtverwaltung die Ausstellungsorganisatoren, die Figurengruppe am Ausstellungsort bis zur Abholung zu belassen. Auch über Zeitpunkt der Ankunft und Aufstellung musste in der Ratsversammlung beschieden werden. Darüberhinaus wurde der Künstler seitens des Oberbürgermeisters aufgefordert, keine Duplikate oder Repliken zu schaffen, die aus dem selben Material wie das Original bestehen und nicht größer als die Hälfte des Originalbrunnens sein sollen. Der Künstler bot zudem an, selbst für die Schaffung einer Wasserleitung zu sorgen und reichte zur Genehmigung Baupläne für zwei Sitzbänke aus dem selben Material wie der Brunnen und Sitzflächen aus weiß lackiertem Holz ein. Ende Oktober erreichte der Brunnen die Messestadt. Standort, Umfang und Bepflanzung des Brunnenareals waren bereits genehmigt. Bernhard Frydag überwachte persönlich die Bauarbeiten. Seit seiner Installierung erfreute der Brunnen sich als beliebtes Ausflugsziel und Fotomotiv. Der Zahn der Zeit nagte sofort nach der Aufstellung des Brunnens. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg musste der Brunnen restauriert werden. Die Wasserleitungen waren undicht, das Holz der Sitzbänke wurde spröde und platzte ab. Aber auch andere Probleme taten sich auf.

Schäferbrunnen um 1912, kolorierte Postkarte von 1912 (Copyright frei)
Schäferbrunnen um 1912, kolorierte Postkarte von 1912 (Copyright frei)

1913 wurde die Stadtverwaltung vom Magistrat im schlesischen Hirschberg angeschrieben. In einem Prospekt über Leipzigs Kultursehenswürdigkeiten war auch der Brunnen abgebildet. Dieser kam dem Magistrat verdächtig vor, weil die Stadt Hirschberg ebenfalls Besitzerin eines ähnlichen Brunnens war – allerdings kleiner und aus einem anderen Material beschaffen. Nach einem kurzen Briefwechsel schlief die Korrespondenz ergebnislos ein. Eine 2018 erfolgte Anfrage an die Stadtverwaltung von Jelenia Góra, wie Hirschberg heute heißt, blieb bislang unbeantwortet.

Der Leipziger Schäferbrunnen wurde während der Weimarer Zeit mehrfach wegen witterungs- und vandalismusbedingten Beschädigungen aktenkundig. 1929 brach die Dokumentation jäh ab. Eine im Internet kursierende Fotografie aus dem Jahr 1931 bezeugt noch das Vorhandensein des Brunnens, der in einem Artikel im Allgemeinen Künstlerlexikon bis April 2018 seit 1929 als „verschollen“ bezeichnet wurde. Verschollen war der Brunnen aber nicht. Es wurde entweder keine Akte mehr über ihn geführt, oder ein Teil der Akte ging in einer anderen Akte auf. Vielleicht hängt der Aktenschluss auch mit dem Ausgehen des restlichen Stiftungsgeldes zusammen, das übrig blieb. Über die Kosten der Renovierungen, Reparaturen und Instandhaltungen wurde penibel Buch geführt. Auch darüber, dass manche Posten zu teuer waren und deshalb nicht ausgeführt werden konnten. Der Brunnen muss sogar den Zweiten Weltkrieg überstanden haben, sagt in diesem Fall das Amt für Stadtgrün und Gewässer über den Verbleib des Brunnens. Mit der Umgestaltung der alten Parkanlagen zum heutigen Clara-Zetkin-Park verschwand offenbar die Figurengruppe für immer. Ihre Reste wurden wahrscheinlich abgetragen und entsorgt. Muschelkalk ist kein witterungsbeständiges Material. Womöglich hat der Brunnen das auslaufende Wasser aus den defekten Leitungen, den Wechsel von Frost und Hitze nicht überstanden und verwitterte über die Jahre immer stärker. Dass er in Leipzig an anderer Stelle wieder entstehen könnte, so wie es jüngst mit dem ebenfalls verloren gegangenen Froschbrunnen auf dem Rabensteinplatz unternommen wurde, steht in den Sternen. Dafür benötige es viel privates Engagement. 

Sinnlich und erotisch – das Schäfermotiv

In den 1570er Jahren schuf der italienische Maler Tizian das Gemälde „Nymphe und Schäfer“. Die Nymphe liegt in Tizians Gemälde auf einem Tierfell. Bis auf ihren Schleier, der auch nicht viel verbirgt, ist die Frau nackt. Was sie wohl weiß und dem Betrachter mitteilen will, den sie mit ihrem Auge direkt betrachtet? Ein junger Mann neigt sich zu ihr hin, hat die Flöte abgesetzt. Die Landschaft erscheint unruhig. Ein Baum, der perspektivisch der Nymphe zugeordnet ist, ist abgebrochen – tot. Schafe fehlen in diesem Bild. Tizians Thema will von Kunsthistorikern noch nicht abschließend geklärt sein. Tizian habe nach der Meinung des Kunsthistorischen Museums in Wien das Schäfer-Nymphenmotiv durch die psychologische Tiefe der Gestaltung ins Mythische gehoben. 

In der Antike kannte man vielerlei mythologischer Gestalten wie diese. Wald- und Baumnymphen, Wiesennymphen, Meernymphen u.v.a.m. In welcher Beziehung beide Figuren zueinander stehen, wird anhand einer Skulptur von Wilhelm Neumann-Torborg (1856-1917) deutlich. Sein 1890 entstandenes Werk zeigt eine Nymphe zusammen mit einem Faun. Unschuld und Verführung stehen als Motive im Raum. Sowohl in Neumann-Torborgs Werk als auch in Frydags Schäferbrunnen sehen wir einen Quellnymphe – eine Najade. Dieses antik-griechische Motiv scheint in der Spätromantik sehr beliebt gewesen zu sein. Der deutsche Maler Arnold Böcklin (1827-1901) schuf 1886 ein beeindruckendes Gemälde mit dem Titel „Das Spiel der Najaden“. Anselm Feuerbach (1829-1890) bildete schon 1870 eine „ruhende Nymphe“ ab, der Spätklassizist William Adolphe Bougeureau (1825-1905) schuf 1873 das vor Erotik knisternde Bild „Nymphe und Satyr“. Sein 1896 geschaffenes Gemälde „Die Welle“ könnte ebenso eine Wassernymphe zeigen. 

Doch welche Geschichte wird mit dem Paar aus Schäfer und Nymphe erzählt? Mehrere! In aller Wahrscheinlichkeit handelt es sich um Tizians und Frydags Bilder um Abwandlungen der seit der Antike bekannten Geschichte um die Nymphe Daphnis, die dem Waldgott Pan erliegt. Daphnis war allerdings ein Jüngling, ein Hirte aus Sizilien. Er ist der Sohn des Götterboten Hermes und einer Nymphe. Seine Mutter setzte ihn nach seiner Geburt in einem Lorbeerenhain aus, daher auch sein Name „Daphnis“. Auf Griechisch heißt er „Lorbeerkind“. Weil er gegenüber der Nymphe Nomia untreu war, wurde er mit Blindheit geschlagen. Pan verliebte sich in den Jüngling und brachte ihm das Flötenspiel bei. Der spätantike Autor Longos von Lesbos (3. Jahrhundert) schrieb hingegen die Geschichte „Chloe und Daphnis“ nieder, in der sich beide ineinander verlieben, lange und glücklich zusammen leben. Der Bildhauer Jean Pierre Cortot (1787-1843) schuf eine dem Thema entsprechende Marmorskulptur, die heute im Louvre in Paris steht. Die Familien von Chloe und Daphnis sind laut Longos Hirtenfamilien, die Schafe hüten. Gut möglich, dass Bernhard Frydag dieses Thema kannte und in seinem Brunnen verbildlichte. Die Interpretationskette ist also lang. Frydags Brunnenthema spielt sowohl mit den Aspekten Liebe, Beständigkeit und Glück, aber auch mit Erotik, Verführung und den Verlust der Unschuld. 

Leipzig um 1900 – Jahresausstellung und Sezession

Von Daniel Thalheim

Das ausgehende 19. Jahrhundert und der Beginn des 20. Jahrhundert war geprägt von Brüchen und Verwerfungen innerhalb der Kunst und Architektur. Sezessionskunst kehrte in das Alltagsleben der Menschen ein. Was das heißt, zeigen heute noch immer die verschiedenen Ausprägungen der Art Nouveau in Mittel- und Westeuropa. Der Zeitraum zwischen ca. 1880 bis 1914/16 wird auch Fin-de-Siècle genannt und fällt auch mit der Entstehung der Bewegung der Les arts decoratifs in Paris zwischen 1882 und 1901 zusammen. Sie bedeutet einen Bruch mit Traditionen in Design, Architektur und Kunst. Was Architekt später als Verschmelzung dieser Disziplinen zu einem Begriff, das Bauen, verstand, wurde bereits in den letzten beiden Dezennien des 19. Jahrhundert definiert: die Verknüpfung von Herstellung, Handwerk, Industrie, Kultur, Design und Architektur. Auch in Leipzig hat es eine Sezession gegeben.

Der 1992 neu gegründete, heutige, Verein der Leipziger Jahresausstellung hat eine gleichnamige Vorgängerin. Der 1927 aufgelöste Verein verfolgte noch sezessionistische Ideen, die ihren Anfang bereits vor dem Ersten Weltkrieg besaßen. Es war im Mai 1913, als die erste Internationale Baufach-Ausstellung in Leipzig auf dem heutigen Alten Messegelände seine Toren öffnete. Im Fokus standen damals die Messehallen, wie das Monument des Eisens von Bruno Taut (1880 – 1938) und Franz Hoffmann (1884 – 1951), die Hallen für Raumkunst und Baustoffe, der Hof der nachgebauten Pleißenburg. Welche zur selben Zeit durch den Bau des Neuen Rathauses verschwand. Auch das Gebäude des Rumänischen Weinrestaurants, ein Musterdorf mit Schule und Kirche sowie die Betonkuppelhalle von Wilhelm Kreis (1873 – 1955) waren Blickpunkte 1913. Selbst das als „Monstrum“ wahrgenommene Völkerschlachtdenkmal muss unter dem Gesichtspunkt „sezessionistisch“ bzw. Jugendstil, neu bewertet werden. Spätere Ausläufer eines Architekturstils mit redundantem Bauschmuck und Bauformen finden wir überall an den Fassaden und in den Treppenhäusern Leipziger Wohnhäuser, die bis in die Zwanzigerjahre hinein gebaut wurden. Auch die zwischen 1922 und 1927 geplante und 1938/39 zerstörte Trauerfeierhalle auf dem Neuen Israelitischen Friedhof in Leipzig muss unter diesem Gesichtspunkt, in Berücksichtigung des in Sachsen weit verbreiteten Werkbund- und Reformarchitekturstils, betrachtet werden.

Gleichzeitig konnten im selben Jahr realisierte Bauprojekte, wie die – erst durch die Leipziger SPD-Fraktion initiierte – Gartenstadt Marienbrunn, das benachbarte Völkerschlachtdenkmal, die Brücke zwischen den Ausstellungshallen präsentiert werden. Etwas im Abseits organisierten die bildenden Künstler zum selben Zeitpunkt die „Leipziger Jahresausstellung“. Sie bot zusammen mit einem Pavillon für die Karikaturenausstellung damals einen Überblick über das künstlerische Schaffen zeitgenössischer Künstler der letzten 30 Jahre.

1913 trat die Leipziger Jahresausstellung nicht zum ersten Mal in Erscheinung. Bereits 1910 veranstaltete der Verein Bildender Künstler Leipzig im Städtischen Kaufhaus die als „Sezession“ genannte erste große Schau. Am 15. Januar 1912 gründete der Verein den Verein Leipziger Jahresausstellung e.V. Max Klinger (1857 – 1920), Wilhelm Schulze-Rose (1872 – 1950) und der Bildhauer, sowie der Nachlassbetreuer Max Klingers, Johannes Hartmann (1869 – 1952) hatten den Vorsitz inne. Im Städtischen Handelshof in der Grimmaischen Straße stellten im Jahr 1912 über 200 deutsche und europäische Künstler Malerei und Plastik aus.

Bekannte Künstler wie Ernst Barlach, Max Beckmann, Käthe Kollwitz, Claude Monet, Max Liebermann, Henri Matisse, Max Pechstein, Pablo Picasso und Auguste Renoir nahmen mit einem oder mehreren Werken an dieser Ausstellung internationalen Ranges teil. Nahezu sämtliche Künstler der Klassischen Moderne waren vertreten. 1921 kamen Namen wie Lyonel Feininger (1871-1956) und Kurt Schwitters (1887-1948) dazu.

Heute wollen die Ausstellungsmacher mit ihren jährlich im Westwerk veranstalteten Kunstschauen einen Überblick in die zeitgenössische Kunstentwicklung der Messestadt geben. Die Organisatoren möchten so unterschiedliche Leipziger Kunstpositionen bündeln und auch weniger bekannten Malern, Grafikern, Fotografen und Bildhauern die Chance geben, dass ihre Arbeiten einem großen Publikum nahe gebracht werden. Das heutige Bestreben der Ausstellungsmacher unterscheidet sich demnach kaum von der ursprünglichen Vereinsidee von 1910. Gastkünstler haben ebenfalls Gelegenheiten, hier Anschluss zu finden, sofern sie mit Leipzig Berührungspunkte in Formen von Wirkungsstätte, Wohn- oder Studienort finden.

Das große Kunstlexikon von Peter W. Hartmann erklärt unter „Sezession“ die Wortbedeutung, welche aus dem Lateinischen entlehnt ist. „Secessio“ bedeutet nichts anderes als „Abspaltung“ und „Trennung“. Der Lexikonartikel fasst zusammen, was im 19. und frühen 20. Jahrhundert unter Sezession verstanden wurde. In München, Berlin und in Wien wurden „Secessionen“ gegründet. 1910 hieß es in Leipzig: „Die Sezession hat es sich zur Aufgabe gemacht, alljährlich in Leipzig eine Jahresausstellung zu veranstalten. Durch diese Ausstellung bezweckt der Verein, für die Förderung der idealen und wirtschaftlichen Bestrebungen Leipziger Maler, Bildhauer und Grafiker einzutreten, andererseits auch für die Ausgestaltung unserer heimischen Kunst tätig zu sein und damit auch Leipzig im deutschen Kunstleben eine bedeutsame Stellung zu sichern. Die Ausstellung, die nicht nur Werke Leipziger Künstler enthält, sondern in der Künstler aller deutschen Kunststädte vertreten sind, zeigt, in welcher anerkennenswerten Weise das Unternehmen der Leipziger Sezession in der auswärtigen Künstlerschaft und nicht minder bei dem Leipziger Künstlerverein und dem Leipziger Künstlerbund Beachtung gefunden hat.“

1892 wurde in München die erste Sezession gegründet. Von dieser Vereinigung spalteten sich später weitere Ableger ab. 1897 wurde von Gustav Klimt (1862 – 1918), Koloman Moser (1869 – 1918) und Josef Maria Olbrich (1867 – 1908) die Wiener Sezession gegründet, die vornehmlich baugestalterische und architektonische Formensprachen zusammenzufassen versuchte, welche wir heute als Jugendstil oder Wiener Sezessionsstil kennen. 1897 wurde Max Klinger Mitglied der Wiener Sezession. Im selben Jahr wurde der Künstler Professor an der Akademie der graphischen Künste in Leipzig.

Über die Leipziger Sezession ist wenig bekannt. Doch deutlich ist heute, dass Max Klinger das künstlerische Zentrum in Leipzig war. Neben ihm waren der Grafiker Alfred Leistner (1887–1950) und vor allem der Maler Eduard Einschlag (1879 – 1945) Gründungsmitglieder. Der von den Nazis zusammen mit seiner Familie deportierte und vermutlich um 1939 im Warschauer Ghetto ermordete führende Künstler der Zwanziger und Dreißiger Jahre von Leipzig war einer der Ausstellungsleiter der „Leipziger Jahresausstellung“ vor einhundert Jahren.

Einschlag war nicht der einzige, in Leipzig ansässige, Künstler, der für die „Leipziger Jahresausstellung mitwirkte und sogar mit eigenen Arbeiten vertreten war. Weitere Jurymitglieder waren der Illustrator und Grafiker Louis Carl Bruno Heroux (1868-1944), der Maler und Radierer Alois Kolb (1875 – 1942) und der Zeichner Karl Ferdinand Lederer-Weida (1863-1946). Jugendstilkünstler und Schöpfer der beiden Figurengruppen „Mephisto und Faust“ und „Verzauberte Studenten“ am Eingang zum Auerbachs Keller in Leipzig und des fünf Meter breiten Ölgemälde „Osterspaziergang“, Mathieu Molitor (1873 – 1929), und der Illustrator und Grafiker Hugo Steiner-Prag (1880-1945) gehörten ebenfalls zum künstlerisch wichtigen Gepräge der Stadt. Ein Nachzittern dieser Klassischen Moderne Leipzigs findet sich im zeichnerischen und druckgrafischen Werk des Bauhaus-Künstlers Karl Herrmann Trinkaus (1904-1965) wieder, dessen Nachlass 2017 eine Wiederentdeckung erfährt und 2019 in eine Ausstellung im Museum der bildenden Künste münden soll.  Sein Schaffen ist insbesondere interessant, weil Fehleinschätzungen es in den Bereich der Fälschungen abdriften ließ. Die Neubewertung des Künstlers und sein Oeuvre dürften zu den spannenden Kapitel Leipzigs gehören, denn, wie auch Elisabeth Voigt (1883-1977), überwarf er sich mit der politischen Linie, die in der DDR der Kunstwelt aufgedrückt wurde. Seine Biografie scheint gebrochen und noch wenig durchleuchtet zu sein. Genauso spannend dürfte auch die Beschäftigung mit der Expressionistin Anna Babette Erkes-Conrady (1894-1986) ausfallen. Auch für sie plant das Museum der bildenden Künste 2019 eine Gesamtschau auf ihr Werk.

Die Leipziger Sezession besaß ein von Buchkunst und Malerei beeinflusstes Gepräge. Man kann sagen, dass das Leipziger Beispiel das Nachbeben einer Kunstentwicklung war, worin zeitgenössische Künstler sich vom vorherrschenden Akademiestil abzusetzen versuchten, aber schon bald von den vielen Künstlergruppen von Expressionisten, Dadaisten und Surrealisten in seiner Bedeutung gemindert wurde.

Dennoch reichte der Einfluss der in der Leipziger Sezession organisierten Künstler weit in die Geschichte der Entwicklung der nach 1945 gegründeten Hochschule für Grafik und Buchkunst bis heute hinein, wobei populäre Begriffe wie Leipziger Schule und Neue Leipziger Schule in eben diesen Entwicklungsstrang einzuordnen sind. Das Selbstverständnis der Leipziger Künstler der DDR und Nachwendezeit ist mit dem Nachklang der Leipziger Sezession eng verbunden.

Wagners langer Schatten – Stephan Balkenhols Skulptur in Leipzig

Von Daniel Thalheim

Zuerst war ich interessiert, neugierig und dann entflammt. Nachdem ich 2011 hörte, dass Stephan Balkenhol die Wagnerskulptur auf den Max-Klinger-Sockel stellen wollte, war ich skeptisch. Passt Gegenwartskunst auf einen vor hundert Jahren behauenen Stein, der ein paar Jahrzehnte im Clara-Zetkin-Park vor sich hingammelte? Nachdem ich nach der Enthüllung des Denkmals auf das Gesamtkunstwerk schaute, war ich überzeugt: es passt!

Von Klinger zu Balkenhol

Da kannte ich aber noch nicht Balkenhols Intention. Doch zurück in die Geschichte geblickt. Im Juni 2011 entschied in Leipzig eine Jury darüber, dass der 1957 in Fritzlar geborene Künstler Stephan Balkenhol das Wagnerdenkmal gestalten darf, welches schon von dem Leipziger Künstler Max Klinger (1857-1920) zur Vollendung geplant war. Schaffte er aber nicht. Nur der Marmorsockel, an dem sich nicht nur Kunstgeschichtsstudenten wegen seiner Ikonographie die Zähne ausbeißen, wurde von ihm fertig gestellt und landete im Clara-Zetkin-Park auf einer Wiese nahe dem Palmengarten in der Nähe des Richard-Wagner-Hains. Dort bekam der behauene Block die Patina, die erst Mythen entstehen lässt. Kein Mythos ist die Wagner-Büste am Schwanenteich hinter der Leipziger Oper. Es zeigt das Porträt des Komponisten, das auf einen Entwurf von Klinger zurückgeht. 1904 stellte er eine aus Marmor geschaffene Büste her, die 1904 bei der Weltausstellung in St. Louis gezeigt wurde. Der Originalgips befindet sich mit zwei Abgüssen im Klinger-Nachlass im Leipziger Museum der bildenden Künste. Einer der beiden Abgüsse war bereits für einen Bronzeguss präpariert. Ein Umstand, der zum Anlass genommen wurde knapp 80 Jahre nach seiner Herstellung, eine Büste herstellen zu lassen. Sie wurde von dem Leipziger Bronzegießereibetrieb „Bronze Noack“ 1982 hergestellt und auf einem Sandsteinsockel montiert 1983 enthüllt. Da stecken hundert Prozent Wagner drin.
Brauchte es nun einen zweiten Wagner? Die Geschichte reicht weiter zurück als wir denken. Max Klinger setzte sich zu Lebzeiten für ein monumentales Wagnerdenkmal ein wie er es auch für das Wiener Secessionsgebäude mit der Beethovenskulptur verwirklichte. Die Nationalsozialisten bemühten sich umsonst, am eigens für ihre hochfliegenden Pläne geschaffenen Richard-Wagner-Hain am Elsterkanal-Ufer ein Wagner-Monument zu errichten. Im Sozialismus war Wagner zunächst umstritten, wurde dann rehabilitiert. Aber nur im Hinterhof der Leipziger Oper bekam er seinen Platz. So offen wollte man den von den Nationalsozialisten verehrten, von Israelis verhassten und Musikgeschmäcker spaltenden Leipziger doch nicht zeigen. War er selbst auch bekennender Antisemit.
2011 stand fest, das Monument kommt – nur weniger monumental als vielleicht ursprünglich gedacht. Schon damals stellte Balkenhol seinen Entwurf vor, wo Wagner als junger Mann in Lebensgröße dargestellt wird, sich hinter ihm aber ein langer schwarzer Schatten des alten Wagners aufbaut. 2013 wurde der Entwurf genauso enthüllt – pünktlich zum Geburtstag des Komponisten am 22. Mai. Wir blicken auf eine bunt angemalte Bronzeskulptur, hinter ihr der vier Meter hohe Bronzeschatten. Unter ihm der Klingersche Marmorsockel.

Stellt sich Balkenhols Bronze der politischen Diskussion um Wagner? (Copyright: Daniel Thalheim)
Stellt sich Balkenhols Bronze der politischen Diskussion um Wagner? (Copyright: Daniel Thalheim)

Nur ein bunter Farbklecks am Ring?

Was will der Künstler uns damit sagen? Gegenüber Deutschlandradio sagte Balkenhol am 21. Mai 2013, dass er mit seiner Bronzeplastik das Visionäre in Wagners Werk zeigen wollte, will aber zugleich seine Plastik auch als Paraphrase auf den damaligen Entwurf von Max Klinger verstanden wissen. So ähnlich hätte auch Max Klinger seine Idee verwirklicht. Balkenhol will nicht, dass Wagners antisemitische Weltanschauung deutlich wird. Er will den Schatten tatsächlich so sehen, der Wagner als Mensch und Visionär zeigt.
Warum nicht? Muss der interpretatorische Rahmen nicht dem Betrachter überlassen werden? Oder den Scharen an Kunsthistorikern, die sich an dem Kunstwerk ergötzen werden?
Balkenhols Werk hätte ein gesellschaftskritisches Denkmal sein können, das sich mit aktuellen Diskussionen um Wagners Schatten beschäftigt. Wagner der Antisemit, Wagner der Frauenhasser, Wagner der Veganer. Von Theodor W. Adorno bis Friedrich Nietzsche, von Franz Liszt bis Thomas Mann, von Johannes Brahms bis Tschaikowski gab es genügend kritisches zu Wagners Musik und seiner Persönlichkeit anzumerken.
Nietzsche verehrte zunächst Wagner als Neuerer der Kunst. Sein Verhältnis zum Komponisten änderte sich schnell als er sagte: „Denn der Parsifal ist ein Werk der Tücke, der Rachsucht, der heimlichen Giftmischerei gegen die Voraussetzungen des Lebens, ein schlechtes Werk. – Die Predigt der Keuschheit bleibt eine Aufreizung zur Widernatur: Ich verachte jedermann, der den Parsifal nicht als Attentat auf die Sinnlichkeit empfindet.“
Spannungsreich auch das Verhältnis des ungarischen Komponisten Franz Liszt zu Richard Wagner. Zuletzt sah Liszt in Wagners Werk doch etwas „Übermenschliches“.
Der Schriftsteller Thomas Mann konnte sich dem „Rauschhaften“ in Wagners Musik ebenso wenig entziehen, setzte sich aber kritisch mit dessen Persönlichkeit auseinander, die er untrennbar mit dessen Werk verflochten sah.
Tiefenpsychologe Josef Rattner sah in Wagners Antisemitismus einen verquasten Minderwertigkeitskomplex und auch als Kalkül, sich einer gewissen „Aristokratie“ zugehörig fühlen zu müssen. Dabei ließ Wagner sich von jüdischen Komponisten wie Felix Mendelssohn Bartholdy musikalisch inspirieren. Ein Widerspruch.
Im Hinblick auf Hermann Nitschs Orgien-Mysterien-Theater, das im Juni 2013 in Leipzig aufgeführt wird, darf ein anderer Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Wenn der österreichische Künstler Hermann Nitsch schon Tiere für seine Dionysien schlachten und ausweiden lässt, darf auch ein anderer antisemitischer Blick Wagners nicht vergessen werden. Für Wagner war Vegetariertum nicht nur eine Frage des Tierschutzes, sondern auch Ausdruck einer Moral. So wird es zumindest in dem Artikel „Understanding Nazi Animal Protection and the Holocaust“ erklärt. Schächtung und Vivisektion seien so laut Wagner „Ausdruck einer Jüdischen Medizin“.
Dahingehend macht Hermann Nitsch nichts falsch, kehrt Wagners Moralvorstellungen in seinem Mysterientheater geradezu um.
Wagners Schatten kann auch historisch interpretiert werden. Wie und von wem wurde seine Musik benutzt, ausgeschlachtet und missbraucht? Nationalsozialismus auch nach 70 Jahren seines Falls immer noch ein Thema in der Diskussion um Richard Wagners Werk. Nicht zuletzt durch die Nähe von Winifred Wagner zu den Nationalsozialisten und vor allem ihren Apologeten wie Adolf Hitler.
Es gibt auch andere Tendenzen. Daniel Barenboims Aufführung des „Tristan“-Vorspiels in Israel sorgte für eine Kontroverse, die aber laut einem Spiegel-Interview mit dem Dirigenten klein ausfiel. Er sagte, dass Wagners Musik nicht ideologisch ist, aber Wagner durchaus Antisemit war, seine Musik jedoch nicht. Wagner könne nichts für die Instrumentalisierung durch die Nationalsozialisten.

Diskutiert nur mit Wagners Musik und Klingers Farbästhetik der Antike - Balkenhols Bronze am Goerdelerring (Copyright: Daniel Thalheim)
Diskutiert nur mit Wagners Musik und Klingers Farbästhetik der Antike – Balkenhols Bronze am Goerdelerring (Copyright: Daniel Thalheim)

Das Verhältnis der Israelis zu Wagner ist entspannt, meinte auch Dr. Thomas Feist (MdB, CDU) am 23. Mai 2013 bei der durch die Leipziger Initiative „Leipzig macht Musik“ im Werk II durchgeführten Diskussionsrunde. Auch Journalist Peter Korfmacher (LVZ) sieht Wagner in einem ruhigen Licht. Dennoch könne man Wagner nicht von seinen politischen Äußerungen trennen. Der Mensch Wagner bleibt auch so untrennbar mit seinem Werk verbunden. Denn welches Vorbild gibt ein Komponist für die Kinder ab, wenn seine politischen Ansichten unvereinbar mit dem Grundgesetz sind, fragen beide. Wagner ist aktuell wie eh und je, wenn auch so mancher Lehrer seinen Schülern nur die halbe Wahrheit nahebringt.
Von dieser Debatte scheint Balkenhols Denkmal sich merkwürdigerweise nicht zu entziehen, wenn der Künstler auch gegenzusteuern versucht. Eigentlich enttäuschend, dass ein Gegenwartskünstler zu aktuellen Diskussionen keine Stellung bezieht. Während Künstler wie Jörg Immendorf, A. R. Penck, Gerhard Richter und Sigmar Polke stets ihr Werk im gesellschaftlichen Kontext sahen, scheint Balkenhols Arbeit lediglich auf dem Sockel der Ästhetik zu verharren. Ein Symptom unserer Zeit? Denn ohne die Diskussion bleibt Balkenhols Arbeit auf dem Klingersockel nur ein bunter Klecks am Goerdelerring.

Der Wagner-Denkmalsblog