Luftiges Projekt – Leipzigs Matthäikirchhof bringt viel Grün in die Stadtmitte

Siegerentwurf für den Matthäikirchhof von Riehle Koeth GmbH & Co. KG und Levin Monsigny Landschaftsarchitekten. Visualisierung: Riehle Koeth GmbH & Co. KG

Daniel Thalheim

Gewonnen hat luftiges Grün und viel Raum für Erholung. Für ein Filetstück wie den Matthäikirchhof und die Stadt Leipzig eine Ehre auf so viele künftige Einnahmen verzichten zu können. An dieser Stelle bleibt Potenzial liegen. Die Entscheidung, auf Bürgerbeteiligung zu setzen ist zwar löblich aber eignet sich nicht, den historischen Platz wirklich zu würdigen.

Was wird kommen?

Leipzig ist grün genug, mag mancher denken. Bürgerbeteiligungen sind auch toll. Eignen sich beide Ansätze den lukrativen Stadtraum in Leipzigs Zentrum auszufüllen? Wohl kaum. Wenn es um Fußgängerstreifen in Wohngebieten in Nähe von Schule und KiTas geht, sind Schwellenangebote wie Bürgerbeteiligungen wichtig und richtig. Auch wenn es um die Gestaltung und Pflege von Grünanlagen geht, sind Bürgerbeteiligungen eine prima Angelegenheit. Nun erhält das letzte verlotterte Stück Stadtzentrum mit dem Willen eines kleinen Teils der Leipziger Bürgerschaft eine aufgelockerte Blockbebauung mit grünen Innenhöfen als befände man sich künftig in einem DDR-Wohngebiet am Rande der Stadt.

Der historische Platzcharakter wird im Siegerentwurf des Büros Riehle Koeth GmbH+Co. KG in Zusammenarbeit mit Levin Monsigny Landschaftsarchitekten nicht aufgegriffen. Der durch die historische Randbebauung entstandene historische und urbane Flair mit italienischen Anklängen ebenso nicht. Aus Sicht des feststehenden Entwurfs wird hingegen im statischen Beamtendeutsch als ein „lebendiges Quartier mit Bildungs- und Kultureinrichtungen, Flächen für kleinteiliges Gewerbe, Dienstleistungen, einem hohen Wohnanteil und ein Ort der gelebten Demokratie“ beschrieben. Hört sich wie ein Mischgebiet aus Gewerbe und Wohnen an, das an anderer Stelle in Leipzig besser ausgesehen hätte. Ein winziger Teil der Leipziger Stadtgesellschaft war über einen umfassenden Beteiligungsprozess in das mehrstufige Vorhaben eingebunden und hatte so die Legitimierung erhalten auf diese Weise an der Ausgestaltung des künftigen Matthäikirchhofs aktiv mitwirken, von dem in Zukunft wieder nur der Name an das einstige historische Potenzial erinnern wird.

Was hätte kommen müssen

Der Matthäikirchhof war im alten Leipzig der zweite große Marktplatz. Im 13. Jahrhundert mit dem Bau der Barfüßerkirche als Friedhof entstanden, wurde der Raum im 16. Jahrhundert mit der Auslagerung des Friedhofs vor den Stadttoren zum Umschlagplatz für Waren. Die historischen Klostergebäude wurden ebenfalls in dieser Zeit abgerissen, es entstanden bürgerliche Wohnbauten. In der DDR-Zeit wurde der einstige Platzcharakter gänzlich überbaut, die historisch gewachsene Idee eines urbanen Stadtplatzes geriet in Vergessenheit. Mit dem Siegerentwurf der Neugestaltung dieses Areals bleibt der Platz unter der DDR-Erinnerungskultur begraben.

Hier hätten die Verfahren bzw. die echten Stadtplaner in die Bürgerbeteiligung stärker eingreifen müssen. Stattdessen regieren hier grüne Vorstadtfantasien in einem Quartier, das als Erweiterung des Burgplatzes hätte verstanden werden können, nicht nur können sondern müssen; Banken, Arbeitsplätze, Fakultäten, Kaufhäuser und vielleicht im Aufgreifen der historischen Marktgeschehnisse auf dem Platz, auch Entwicklungspotenzial für Markttage, Stadtfeste, Oster- und Weihnachtsmärkte. Wie wir am Paulinum am Augustusplatz sehen können, hätte auch auf dem Matthäikirchhof durchaus Raum und Fantasie bieten können, die Matthäikirche in einem neuen Gewand wiederaufstehen zu lassen – als Gedenkzentrum mit einer Dauerausstellung des Stadtgeschichtlichen Museums zur Platz- und Klostergeschichte sowie einer integrierten Heimstatt fürs Stasi-Akten-Archiv. Im Kontext der alten Straßen- und Wegeführung wäre Raum für verwinkelte Gassen, Höfe und kleine Plätze mit Brunnen durchaus vorhanden gewesen, der Nachtschwärmern in den Bars und Cafés Entfaltungsmöglichkeiten geboten hätte. Den düsteren Waschbetonbau der Stasi-Behörde hätten die entwerfenden Architekten direkt auf die Müllhalde der Geschichte werfen können. Stattdessen setzt der Siegerentwurf auf Bewahrungskultur dieses bösen Teils der deutschen Geschichte, welches besonders in Leipzig personell heute noch seine Fäden spinnt. Was auch fehlt im Siegerentwurf, ist ein Fokus auf das rege jüdische Leben des Alten Leipzigs, welches seit 1933/38 eine tiefe Zäsur durch die unmenschliche Nazipolitik erlitten hat und selbst in der DDR-Ära keine Würdigung erhielt.

Der Weg für die weitere gesichts- und geschichtslose Überbauung des einst so lebhaft gestalteten Matthäikirchhofs wurde durch die Entwidmung des Denkmalschutzstatus durch das Landesamt für Denkmalpflege frei. Und so wird kommen, was kommen muss; Leipzigs Filetstück wird künftig vom Steuerzahler finanziert anstatt künftige Einnahmen für die Stadtkasse dauerhaft zu erhalten und erst so kulturelles Leben möglich zu machen. Am Bürgerbeteiligungsverfahren für die Neugestaltung des Matthäikirchhofs zeigt sich, dass Bürgerbeteiligung eine Wunschveranstaltung ist, die eben auch mal echte Ziele verstellt. Und mit Hinblick auf die italienischen Wurzeln dieses Platzes – Stichwort: Barfüßerkloster, hätte Leipzig am Beispiel des Matthäikirchhofs ein bisschen mehr italienischen Geist walten können. Das hieße Innovation in der Platzgestaltung, Architektur und den Bauaufgaben von Baukultur; soziales Miteinander, ein Forum für Geschichte, kulturelle Angebote wechselnden Charakters, Wirtschaft und Erholung. Ein Blick auf den Süden Europas bleibt leider mit der Vorarbeit des Büros Riehle Koeth GmbH+Co. KG in Zusammenarbeit mit Levin Monsigny Landschaftsarchitekten verstellt. Schade.

Autor: Daniel Thalheim

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