Kunstsammlungen Chemnitz – Florence Thurmes folgt Frédéric Bußmann

Daniel Thalheim

Im Sommer 2023 verkündeten die Kunstsammlungen in Chemnitz den Weggang ihres Generaldirektors Frédéric Bußmann. Er nimmt seither in der Staatlichen Kunsthalle in Karlsruhe den direktoralen Posten ein. Seine Nachfolgerin in Chemnitz ist seit vergangenen Herbst Florence Thurmes. Sie war von 2016 bis 2023 Leiterin der Abteilung Programm der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Die Luxemburgerin studierte in Frankreich Kunstwissenschaften, promovierte und war als Kuratorin in verschiedenen Sammlungen tätig.

Ihr Anliegen in Chemnitz ist laut einem Vorstellungsschreiben vom 11. Januar 2024, den Verbundgedanken der Kunstsammlungen Chemnitz zu stärken, gleichzeitig auch die Profile der einzelnen Museen des Chemnitzer Kunstsammlungsverbundes zu schärfen. „Gemeinsam mit dem Team möchte ich … Themen herausarbeiten, zu denen die einzelnen Häuser gemeinsame Veranstaltungen oder Projekte entwickeln können“, heißt es weiter. Der regionale Bezug will ihr zufolge künftig stärker im Fokus in der Arbeit der Kunstsammlungen stehen. Schlaglichter werden künftig auf regionale Künstlerbiografien wie bspw. Hans Carl von Carlowitz, Karl Schmidt-Rottluff und Henry Van Der Velde geworfen. Das Brennglas wird sicher auch auf die Zeit zwischen 1945 und 1990 gehalten, denn mit der künftigen Ausstellung Vier Frauen. Vier Lebensläufe stehen Fotografinnen im Mittelpunkt, die in der Zeit der DDR gewirkt haben. Auch eine bereits seit dem 13. Januar 2024 stattfindende Ausstellung zum Designer Antoni Tápies bildet den Auftakt zum Ausstellungsjahr 2024. Großen Zulauf werden sicher die Ausstellungen über die Sammlung von Jürgen Brinkmann zum expressionistischen Künstler Friedrich Heckel und die Expressionistin Hanna Bekker vom Rath erfahren.

Antoni Tàpies zum 100. Geburtstag
13. Januar 2024 – 7. April 2024


Vier Frauen. Vier Lebensläufe

11. Februar 2024 – 9. Juni 2024

Einen Gruß vom Artefakte Hauptblog

Artefakte wirft auch Blicke auf Ausstellungen über die sächsische bzw. mitteldeutsche Region hinaus. In Norwegen, Schweden und Frankreich ist 2024 eine sehr interessante Ausstellung zu sehen.

Avantgardistische Vielfalt – Kunstsammlung Chemnitz spürt der Klassischen Moderne nach

Daniel Thalheim

Die Entwicklung der Klassichen Moderne ist geprägt von unterschiedlichen individuellen künstlerischen Positionen. Diese Wesenheit, die uns heute so selbstverständlich erscheint, bricht mit der Tradition der Akademiemalerei im ausgehenden 19. Jahrhundert mit den Impressionisten und Fauves auf. Um 1900 wirkten Bilder von Pablo Picasso ebenso schockierend auf die Zaungäste in den Kunstgalerien wie zwanzig bis dreißig Jahre zuvor die ersten impressionistischen Bilder, die in der Öffentlichkeit gezeigt wurden. In den folgenden Jahrzehnten sollte dieser moderne Individualismus die Kunstwelt von der Kunsterziehung bis hin zur Kunsthochschule vollends auf den Kopf stellen. In Chemnitz spürt eine Ausstellung einer anderen Frage nach; wer waren die Spieler der als Klassische Moderne verstandenen Entwicklung? Mit einer eindrucksvollen Auswahl von rund einhundert künstlerischen Arbeiten fragt die Schau: „Welche Moderne? In- und Outsider der Avantgarde“.

Zwischen den Kriegen entstand die moderne Avantgarde

Was um 1900 noch frei von einer Elitenentwicklung abseits der klassisch geprägten Kunstakademien entstand, manifestiert sich in den Goldenen Zwanziger- und Dreißigerjahren als neue künstlerische Oberschicht. Die Künstler der modernen Strömungen wie Kubismus, Sachlichkeit und Surrealismus standen Positionen der naiven Malerei gegenüber. Mitunter beeinflussten sich Künstler_Innen aus verschiedenen Strömungen gegenseitig. Wie dieses Beziehungsgeflecht, die Netzwerkbildung und Einflüsse ausgesehen und gewirkt haben könnte, erspüren die Chemnitzer Kunstsammlungen seit Mitte Oktober in ihrer aktuellen Bilderschau. Bis Mitte Januar 2024 haben Kunstinteressierte nun Zeit, einen Blick auf die spannende Periode der Kunstgeschichte zu schauen in der so vieles möglich war.

Die Weltausstellung von 1937 als Brennpunkt der Moderne

Im Saal der Revue de la Renaissance spielte im Schatten der von den Nazi- und Stalin-Ideologien beherrschten Weltausstellung von 1937 in Paris eine interessante Ausstellung eine wichtige Rolle. Die Schau Le Maitres populaires de la rèalité erschien so gar nicht wie eine Materialschlacht aus martialisch wirkenden Posen, überhöhten Gesten, überspannten Muskelspielen, prüder Nacktheit, gedehnten Sehen und grimmigen Gesichtern. Vielmehr bekamen die Besucher zarte Farben, weiche Formen und fantasievoll gemalte Geschichten in Öl auf Leinwand präsentiert. Maler wie Henri Rosseau, Camille Bombois, Louis Vivin, Séraphine Louis und André Bauchant bilden eine heterogen wirkende Gruppe innerhalb der Klassischen Moderne, die wir heute als „Naive Maler“ kennen. Der französische Kritiker André Farcy trug die unterschiedlichen künstlerischen Positionen zusammen und machte auf diese Weise die Öffentlichkeit mit Malweisen bekannt, die überhaupt nicht akademisch erscheint und auch nicht sein will. Die naiven Maler erspielten sich ihre künstlerischen Freiräume indem sie sich autodidaktisch an die Malerei herantasteten. Zwar bildeten die einzelnen Künstler keine homogene Gruppe, standen jedoch in Austausch und Beziehungen zueinander. Unabhängig voneinander wuchs zwischen Kubismus, Expressionismus und Sachlichkeit das zarte Pflänzchen der malerischen Selbstwertschätzung heran, die den Individualismus in der Kunst um eine weitere Facette bereichert. Namen wie Otto Dix, Marc Chagal, René Magritte, Christian Schad, Max Ernst und Max Beckmann stehen gleichberechtigt neben Kurt Günther, Felix Nussbaum, Richard Seewald und Adelbert Trillhaase.

Weil die sogenannten Naiven als exotisch gaten, wurden sie rasch auch als „Moderne Primitive“ an den Rand der Kunstwahrnehmungen gedrängt. Dass sie den Outsider-Status längst hinter sich gelassen haben, zeigt jene Kunstschau, die als Kooperationsarbeit mit den Chemnitzer Kunstsammlungen im Sprengel-Museum in Hannover bereits im Sommer 2023 gezeigt wurde.

Welche Moderne?

Kunstsammlungen am Theaterplatz
22. Okt 2023 – 14. Jan 2024

Welche Moderne? im Sprengel-Museum in Hannover

Malerei mit melancholischer Kraft – Spätexpressionismus und Sachlichkeit in der Kunsthalle Talstraße

Daniel Thalheim

Wenn wir über Expressionisten reden, blenden wir die Entwicklungen in der Malerei nach der Machtergreifung der Nazis aus. Die Kunsthalle Talstraße in Halle/Saale zeigt bis Ende Februar 2024 verschiedene Positionen, wie klar und kraftvoll expressionistische und sachliche Positionen in Mitteldeutschland vertreten und bis in die Zeit der DDR beibehalten wurden.

Die Ausstellung ist eine Hommage an die Kunstgeschichte der späten Klassischen Moderne. In der aktuellen Ausstellung Die Kraft der Melancholie – Alexander Camaro und Seelenverwandte zeigen die Ausstellungsmacher der Kunsthalle Talstraße seit dem 3. November 2023 bis zum 25. Februar 2024 Werke von Alexander Camaro (1901-1992), Hermann Bachmann, Kurt Bunge, Karl Hofer, Horst Strempel und vielen weiteren Malern, dass die Merkmale des Expressionismus‘ und der Neuen Sachlichkeit auch nach der Nazizeit von (mittel)deutschen Künstlern weitergetragen und ausgefüllt wurden. Im Spannungsfeld des künstlerischen Aufbruchs nach Nachkriegsjahre taucht v.a. der aus Schlesien stammende Alexander Camaro auf.

Camaros Schaffen wird als ein Sonderfall bezeichnet, weil er – zumindest im westlichen Teil Deutschlands – entgegen den aus den USA schwappenden Trend der ungegenständlichen Malerei bei seiner gegenständlichen Position blieb, die von dem Kunstkritiker Anthony Thwaites 1961 leicht toxisch als „interessante Ausnahme, ein disinguiertes Überbleibsel“ beschrieb.

Unverständlich aus heutiger Sicht. Denn was Thwaite verkannte, ist ein großes „Überbleibsel“, wenn nicht sogar ein Vermächtnis der Klassischen Moderne, die uns mit der aktuellen Schau in Halle/Salle vor die Augen geführt wird. Das Kunstmuseum Moritzburg in Halle/Saale erwarb bereits 1947 ein Gemälde aus Camaros Werkschaffen. In dieser Zeit gelangten auch weitere Arbeiten von Horst Strempel, Werner Heldt, Curt Lahs und Karl Hofer in die Sammlungen der Moritzburg und bilden seitdem innerhalb dieser Sammlung einen melancholischen Kern, wie der Kunstverein Talstraße in seiner Ausstellungsankündigung beschreibt.

Von der surrealistischen Badewanne zur Kunstprofessur

Alexander Camaro steht in der Traditionslinie des Expressionismus. Als Schüler des Expressionisten Otto Mueller (1874-1930) studierte er in Breslau das Handwerk der Malerei. Er begann auch Tanz zu studieren, setzte bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs sein tänzerisches Schaffen fort. Dann wurde er als Unterhaltungskünstler für die Frontabschnitte in der Nord- und Ostfront eingesetzt bis auch diese Möglichkeit dem Waffendienst fernzubleiben wegfiel. Mit seiner Waffendienstverpflichtung 1944 floh er von der Fahne und tauchte im Dorf Stecklenberg nahe Gernrode unter. Dort lernte er die Maler Curt Lahs (1893-1958) und Mac Zimmermann (1912-1995) kennen, und auch den Sammler Hermann Klumpp (1902-1987). Jener Sammler betreute damals in seiner Wohnung das Werk des Bauhaus-Künstlers Lyonel Feininger (1871-1956). Camaro wandte sich wieder der malerischen Arbeit zu.

In Berlin setzte Camaro nach dem Zweiten Weltkrieg seine malerische Arbeit fort und blieb der figürlichen Linie treu. Schnell entwickelte er sich zu einem beliebten Künstler in den Besatzungszonen West-Berlins. Ende der Vierzigerjahre gründete er gemeinsam mit anderen Künstlern die surrealistische Künstlergruppe Die Badewanne, betätigte sich u.a. auch als Pantomimekünstler. Mit seiner ersten Ausstellung in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone, in Halle/Saale, wurde Camaro auch in Mitteldeutschland als Maler sichtbar. Doch sein künstlerischer Schwerpunkt lag in Berlin der Nachkriegsjahre. Er trat 1950 dem wiedergegründeten Deutschen Künstlerbund bei, erhielt 1951 eine umfassende Ausstellung in Berlin und erhielt im selben Jahr den Berliner Kunstpreis der Akademie der Künste. 1952 wurde Camaro zum Kunstprofessor an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin berufen.

Seine schwermütige malerische Position unterbrach er eine mit ungegenständlicher und abstrakten Arbeiten bis er wieder zur figurativen, erzählerischen Malweise zurückkehrte. Sein Schaffen geriet im Laufe der Zeit aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit. Umso schöner ist es, seine Position zusammen mit gleichwertigen und hochqualitativen Arbeiten weiterer Künstler aus der Aufbruchsphase Nachkriegsdeutschlands in Halle/Saale zu erleben. Mit dieser Schau setzt der Kunstverein Talstraße seine Linie fort, sich tief in die Geschichte der Klassischen Moderne Mitteldeutschlands einzugraben und immer wieder – auch im Einklang mit der Moritzburg – künstlerische Schätze ans Licht zu holen.

3. 11. 2023 – 25. 2. 2024  | KUNSTHALLE

Die Kraft der Melancholie. Alexander Camaro und Seelenverwandte.

Eine Ausstellung mit Werken von Alexander Camaro, Werner Heldt, Karl Hofer, Hermann Bachmann, Horst Strempel und anderen.

Zur Ausstellungsseite des Kunstvereins Talstraße

Mitteldeutsche Zeitung mit einem kleinen Einblick in die Ausstellung

Fallen out of memories – Yim Young Ju shows urban landscapes with new exhibition at Galerie Potemka

Lu Potemka & Daniel Thalheim

In the exhibition „Memoryscape“ Yim Young Ju shows landscapes – the urban as well as the rural space. The starting point of the series is a „moon settlement“ in Incheon. Moon settlements are similar in appearance to German allotments, only without any vegetation to speak of. Basically, they are ghettos. The connotation with a rapid crime rate in the moon settlements, however, is not comparable with that of Germany: „I landed in Gwangju, in search of an artist supply store by chance in a moon settlement. There were hardly any people to be seen. I approached the first person I met and asked for an artist supply/frame maker (the man spoke no English, I spoke no Korean), I described what I was looking for with my hands and feet and, in doubt whether he had understood me correctly, was led to another place in the moon settlement. There I was introduced to another man, also with no knowledge of English, who again took me to another spot and so it went two more times. Neither of them could speak English and with each change of person and the way that went with it, I found it harder to find my way around. The matter began to get queasy. Finally I landed at the other edge of the moon settlement with a carpenter who could help me. These helpful men had understood what I was looking for and gave me their time, knowing that I would never find the carpenter alone. They were very courteous and polite people. I observed on this „excursion“ that many people in the Moon Settlement were doing crafts and repairs, and artists had their studios in and around the Moon Settlements, and unlike the (richer) neighborhood where my hotel was located, many elderly people also lived in the Moon Settlement.“

The Trauma of Satellite Cities

But back to Yim Young Ju. In the seventies, when he was a child, there were many workers living there, because South Korea was still a poor country. His parents both went to work in the city during the day. Yim Young Ju was left to his own devices and grew up with other children in the yards of the Moon Settlement. The places shown in the paintings are therefore personal, experienced and remembered places, „internalized places of human experience,“ as he himself describes it, where past and present coexist. In these residential areas exist absolute systems with their own rules, which he captures visually. He saw parallels to this in Lößnig, a Leipzig neighborhood that was his first stop in life in Leipzig. In the prefabricated buildings he found there, he draws a line to his life experiences in the Mondsiedlung, and this also made the urban landscape of Lößnig, as a German fringe society, attractive to him as pictorial content. Here, completely different levels of interpretation play their roles. In the forward-looking style of real existing socialism, housing estates in cities such as Leipzig, Berlin, Magdeburg, Karl-Marx-Stadt and Rostock were regarded as the highest urban planning and socio-social goal to be achieved in order to offer working people prosperity. If we already know these urban developments from the social-reform ideas of the late 18th and early 19th century. Within this historical framework, we know that these settlements provide and allow to develop their very own structures, up to the dystopia of exclusion, physical and psychological violence and escalation – the best example is given by the incidents in Rostock-Lichtenhagen, where Vietnamese guest workers were attacked and injured in their living quarters in a prefabricated housing estate in Rostock-Lichtenhagen by a mob radicalized by right-wing extremist ideas. The musicians of the British pop band Depeche Mode also describe their origins in a poverty-stricken satellite town near London as dreariness, as an experience of violence and filled with a coldness of feeling.
Yim Young Ju’s depictions of the landscape, however, are not about judgment. Marginalized societies exist in different milieus and institutions. Michel Foucault has assigned them the concept of „heterotropy,“ and the visualization of this is what the entire „Memoryscape“ cycle is about. Yim Young Ju selects according to the premise of whether a motif was part of his life or is part of his experience. He writes: „Heterotropy, to me, is different things that coexist in one place and can be interpreted ambiguously. We can’t (grasp) all these levels at the same time – but that’s what makes us human.“

Who is the artist?

Young Ju Yim was born in 1972 in Incheon, South Korea. He has lived and worked in Leipzig and Berlin since the early 2000s. He already studied B.F.A. Fine Art Education at IN HA University in Incheon from 1993 to 1998. From 2004 to 2009 he studied painting with Prof. Sighard Gille and Prof. Annette Schröter at the Academy of Visual Arts in Leipzig. Since then he has been working as an independent artist.
Yim Young Ju’s paintings reflect his personal worlds of experience in a very poetic way. The contexts he draws on often relate to social, philosophical and even religious issues. He takes on the role of an observer, i.e. instead of brutely shouting out the primal reasons of life, he remains genteel in his artistic presentation, without omitting anything, without concealing what he has experienced. His two-world experience plays a supporting role both in his pictorial language and in his choice of subjects.

Yim Young Ju
Memoryscape

Malerei 

Vernissage 6.10.2022

Ausstellung 7.10. – 17.12.2022

Galerie Potemka

Aurelienstr. 41

04177 Leipzig

Deutsches Fotomuseum – Ausstellung zeigt wie Italien vor 180 Jahren fotografisch entdeckt wurde

Daniel Thalheim

Seit knapp zweihundert Jahren existiert die Fotografie bereits schon. Was in der massenhaften Verbreitung von Schnappschüssen derzeit schmachvoll endet, begann in der Mitte des 19. Jahrhunderts hoffnungsvoll. Der Anspruch der ersten Fotografen ist das der heutigen auch; im klassischen Sinn Ästhetik und Realität zu einem würdigen Bild zu vereinen.

Die Fotografie als grafisches Mittel wurde als Erfindung am 19. August 1839 erstmals in Paris öffentlich bekannt gegeben. Aus diesem Anlass veranstaltet das Deutsche Fotomuseum in Markkleeberg bei Leipzig in diesem Jahr eine Ausstellungsreihe zum 180. Geburtstag der Fotografie. Zwei Sonderschauen gingen bereits über die Bühne. Die dritte Ausstellung zeigt Italienfotografien zwischen 1855 bis 1870 des deutsch-italienischen Fotografen Giorgio Sommer (1834-1914), des italienischen Vorreiters der Fotografie Giacomo Brogi (1822-1881), des italienischen Landschaftsfotografen Gioacchino Altobelli (1814-1878?) sowie zwölf weiteren Lichtbildnern aus der Zeit des Risorgimento, der Epoche der italienischen Einheitsbewegung, dem Zeitalter König Vittorio Emanuele II. und Giuseppe Garibaldis. 

Fotografia Bosetti, Kolosseum und Konstantinbogen, Rom, um1855 (Foto: Deutsches Fotomuseum, Presse 2022)

Was wurde damals dargestellt?

Die damaligen Fotografen orientierten sich an der klassischen Malerei. So hielten sie Alltagsszenen in den Städten und Gegenden fest, schufen aber auch anschauliche Porträtaufnahmen im Studio. An den italienischen Beispielen sehen wir, wie die Fotografen gewöhnliche Straßenszenen ein Bild vom Alltag der kleinen Leute vermitteln, sei es im Hafen von Genua wo dicht gedrängt die Segelschiffe liegen und Händler ihre Waren feil bieten. Wir sehen, wie dokumentarisch die Arbeiten die archäologischen Arbeiten am Forum Romanum und Pompeji zeigen. Die wichtigsten Bauwerke aus Antike und Renaissance sind zu sehen, lange bevor Touristenbusse und Menschenmassen den Blick zu verstellen begannen.

Die Fotografien gehören zu den ersten Aufnahmen, die von diesen Motiven überhaupt angefertigt wurden. Sie knüpfen an die Tradition der Stechkunst für die Reisealben im 18. Jahrhundert an. Auf diesen frühen fotografischen Vedutenbildern, den wirklichkeitsgetreuen Darstellungen einer Landschaft oder eines Stadtbildes, treten wegen den anfänglich langen Belichtungszeiten bewegte Objekte kaum in Erscheinung, erst mit zunehmender Lichtempfindlichkeit der fotografischen Materialien bevölkern sich die anfangs noch menschenleeren Motive mit Personen, bis allmählich der Mensch als Staffage zum bildbeherrschenden Gegenstand wird. 

Die damaligen Zeitgenossen nannten die ersten Fotografien einen mit der Erinnerung ausgestatteten Spiegel, für heutige Betrachter sind sie der Blick aus dem Fenster einer Zeitmaschine.   

Wer waren Gioacchino Altobelli, Giorgio Sommer und Giacomo Brogi?

Gioacchino Altobelli eröffnete Ende der Fünfzigerjahre des 19. Jahrhunderts mit seinem Freund, dem Maler Pompeo Molins (1827 – 1893) spanischer Herkunft, ein Atelier im Palazzotto Fausti in Rom. Die Drucke von Altobelli & Molins verwendeten das sogenannte Nass-Kollodium-Verfahren. Unten rechts auf dem Karton war oft der rote Atelierstempel eingraviert.
Ende 1865 trennten sich die beiden Künstler. Altobelli zog in ein Atelier (Premiato Stabilimento Fotografico di Enrico Verzaschi) in der Passeggiata di Ripetta, 16. Beide besaßen jedoch noch ein gemeinsames Lager (Magazzino Via del Corso 135a 136 Roma). Eine neue Firma wurde gegründet „Photographic Establishment Altobelli & Co.“ was zur Annahme führt, dass Atobelli mit anderen Fotografen zusammengearbeitet hat, wahrscheinlich einschließlich Enrico Verzaschi (wirkte als Forograf ca. von 1860 bis 1870, Lebensdaten unbekannt).

Der italienische Fotograf Giacomo Brogi wirkte seit Mitte der Sechzigerjahre des 19. Jahrhunderts. Er ist v.a. für seine Porträts wie dem italienischen Openkomponisten Guiseppe Verdi bekannt. Sein erstes Studio gründete er 1864 im Corso Tintori in Florenz. Brogi reiste zunächst oft und viel durch Italien, begann aber zusehends seinen Radius auf den Nahen Osten und Nordafrika auszudehnen. In Neapel, Rom und Florenz unterhielt er unterschiedliche Geschäfte, wo von aus er seine Fotografien verkaufte bzw. Aufträge entgegen nahm.

Giorgio Sommer ist eigentlich ein Deutscher, der wie viele andere deutschen Künstler nach Italien reiste, um dort zu bleiben. Der aus Frankfurt/Main stammende Fotograf ließ sich 1856 in Rom nieder, um zwei Jahre später in Neapel ein eigenes Atelier zu eröffnen. Seine Alltagsszenen bieten spannende Einblicke in das Leben der Menschen vor über 150 Jahren. Er dokumentierte ebenfalls den Ausbruch des Vulkans Vesuv 1872 und produzierte Repliken antiker Statuetten aus Pompeji und Herculaneum, den im großen Ausbruch im Jahre 79 untergegangenen Urlaubsorten und Städten. U.a. hielt er auch die Gipsabgüsse der in Pompeji verstorbenen Menschen fotografisch fest.

Beitragsbild oben: Gioacchino Altobelli, Via Appia Nuova und Aquädukt des Claudius, Rom, um 1855 (Deutsches Fotomuseum, Presse 2022)

180 Jahre Fotografie – Die Entdeckung Italiens

Sonderausstellung im Deutschen Fotomuseum Markkleeberg 

vom 1. Februar bis zum 12. Juni 2022

Deutsches Fotomuseum, 04416 Markkleeberg, Raschwitzer Straße 11,

täglich außer Montag von 13 bis 18 Uhr geöffnet.

Kirchen erzählen Geschichte – Was von der St. Jacobi-Kirche in Chemnitz übrig blieb

Daniel Thalheim

Wer heute an der Chemnitzer Jacobi-Kirche vorbei geht, wird einer reichen und lange zurück gehenden Baugeschichte gewahr. Vielleicht ist diese Baugeschichte nicht für jedermann sofort ersichtlich, weil der Leipziger Architekt Hugo Altendorff im ausgehenden 19. Jahrhundert bauliche Überformungen vorgenommen hatte. Vielleicht auch, weil die Kirche in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs stark zerstört wurde. Dass die Jacobskirche im Kern auf hochmittelalterliche Anfänge zurück geht, kann man größtenteils auf Grabungsbefunde aus der Mitte des 20. Jahrhunderts nachvollziehen. Auch neuere Anbauten aus dem 13. Jahrhundert werden durch den Blick in die Akten ersichtlich. Im 14. und 15. Jahrhundert erfuhr die Kirche weitere bauliche Änderungen. Kriege und Brände fraßen an der Substanz der Jacobikirche weiter und führten so weitere Überformungen herbei. So wurde 1792 der spätgotische Hochaltar abgebrochen und durch ein klassizistischen Altar ersetzt. Von diesem verabschiedete sich die Kirchgemeinde knapp fünfzig Jahre später. Wiederum zwanzig Jahre später, um 1875 läutete der Leipziger Architekt Hugo Altendorff die umfassendste Neugestaltung des Äußeren ein; im reich mit Bauornamenten versehenen „neugotischen“ Stil nach Vorbild von Kathedralen der Ile de France. Auch einen neuen Hochaltar entwarf der Architekt. Bis auch dieser Umbauten und Kriegszerstörungen zum Opfer fiel, die Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg bis ins frühe 21. Jahrhundert in Etappen weitestgehend neu rekonstruiert wiederauferstand.

Die Umbauten von Hugo Altendorff werfen einen Blick in die historistische Umgestaltung von St. Jacobi

Hugo Altendorff gehörte zu den fleißigen Baumeistern, die ihr Werk schriftlich festhielten und ihre Umbauten erklärten, aber auf diese Weise auch die Umstände der Umbauphasen dokumentierten. Als Altendorff beauftragt wurde, die Jacobikirche in ihrem äußeren Erscheinungsbild jenem Stil anzupassen, den damalige Menschen und heutige Zeitgenossen gern als Gotik – einem im 19. Jahrhundert negativ konnotierten Begriff, der die mittelalterliche Baukunst, die im übrigen infolge den von Europäern durchgeführten Kreuzzüge, von der islamischen Baukunst in Syrien beeinflusst war und rein gar nichts mit der indo-germanischen Volksgruppe der „Goten“ zu tun hatte – bezeichnen, stellte er für Chemnitz nur wenige bemerkenswerte Bauwerke fest, würden wir von den zahlreichen Industrieanlagen absehen. Als einzige mittelalterliche Inkunabel galt für ihn die Jacobikirche. Sie stand seinen Informationen nach mit einem nahegelegenen und inzwischen abgerissenen Kloster in Verbindung. Auch ohne Ausgrabungsbefunde stellte der Leipziger Architekt fest, dass er aus den damals ihm sichtbaren Gebäudeteilen, wie z.B. am Chor, eine Entstehungszeit im frühen 13. und im späten 13. Jahrhundert ablesen könne.

So sah die Westfront von St. Jacobi in Chemnitz vor den Umbauten von H. Altendorff 1878-79 aus. Quelle: CHristliches Kunstblatt 1879.

Das Langhaus und das später eingezogene Gewölbe datierte der Baumeister ebenfalls recht genau ins ausgehende Mittelalter, ins 14. Jahrhundert. Dass der Hallenumgangchor im frühen 15. Jahrhundert erbaut wurde, stellte der Baumeister in seiner 1879 im Christlichen Kunstblatt festgehaltenen Schrift ebenfalls fest. Aus welchen quellenkundlichen Befunden der Architekt sein Wissen bezog lässt er uns im Unklaren. Er wird wahrscheinlich, wie spätere Forscher auch, die Akten des Kirchengemeindenarchivs genutzt haben. Dennoch neigen heutige Forscher derartige Feststellungen wenig Bedeutung beizumessen und sich einzig und allein auf wissenschaftliche Methoden zu verlassen, die uns weder über Handwerksgeist und Handwerkskunst Auskunft geben – weil allzuschnell eben auch Handwerksquittungen und -belege kassatiert werden – noch über die gesellschaftlichen Zusammenhänge, die zur Errichtung und zu den Umbauten führten. Die Archive füllen sich dahingehend viel zu schnell. Gerade bei so einer langen Bau- und Umgestaltungszeit wie an einer Kirche wie der St- Jacobi in Chemnitz, an der wir einen Zeitraum von mindestens 800 Jahre festlegen müssen. Umso leichter war es offenkundig auch für Altendorff seine Interpretation von mittelalterlichem Kirchenbau und Kirchendesign auf St. Jacobi aus dem Französischen zu übertragen, obwohl historisch betrachtet auch seine Interpretation des hochmittelalterlichen und vom „Heiligen Land“ beeinflussten Baustils absolut falsch für den Baustil der als Sachsen bezeichneten Gegend ist. Doch der Wunsch der Auftraggeber war, die Kirche von Altendorff – inzwischen ein bekannter Vertreter der im ausgehenden 19. Jahrhundert in Mode kommenden „Gotik“ und ihrer Neuausformung als nationales Stilgepräge in Abgrenzung vom französisch geprägten Klassizismus und ihrer Ausformungen – neu gestalten zu lassen.
1876 erhielt er hierzu den Auftrag. Im selben Jahr erstellte er die ersten Entwürfe und Pläne. 1877 begannen die Umbauarbeiten. An diesem Punkt hinterließ Altendorff ein Zerstörungswerk. Er ließ alte Anbauten abbrechen und bezeichnete seine Neuinterpretation des mittelalterlichen Bauens als „Wiederherstellung“. Dazu zählen Dachreiter und Dachwerk über dem Chor, die durch Brände mehrfach beschädigt und neu errichtet werden mussten. Altendorffs Abbrucharbeiten beschränkten sich zunächst auf die Dachlandschaft der Kirche. Er gestaltete sie im Sinne der „Gotik“ um. 1878 folgten die Fassaden. Er ließ der schlichten Fassade in seinem Sinne Fialen, Kreuzblumen und Brüstungswerk hinzufügen, die wahrscheinlich nie in dieser Gestalt als Bauschmuck verwendet wurden. Er ließ daher auch die einst sich schlicht darbietende Westfassade mit Maßwerk reich ausfüllen, inklusive Lutherrose – einem Sinnbild, der freilich nichts mit dem Hochmittelalter zu tun hat und wenngleich auch nichts mit sogenannten spätgotischen Schmuckformen.

Das ist der Entwurf von H. Altendorff zur Westfassade von St. Jacobi in CHemnitz 1878, Foto: Christliches Kunstblatt 1879.

Auch die überlebensgroßen Standbilder der Apostel Jacobus, Petrus, Johannes und Paulus haben nicht viel mit der Gotik zu tun. Im Eifer eines vermeintlichen Restaurators, der wie ein Interpret eines vermeintlichen Stils ans Werk ging wie jene Dame, die ein Jesusporträt in ein gruseliges Monchichi verwandelt hatte, schmückte Altendorff auch das Innere der Kirche im vermeintlich gotischen Stil aus ohne sich je einer archäologisch-restauratorischen Befundung hingegeben zu haben, wie etwa einen Vergleich aus anderen nordwestsächsichen Raum wie in Pomßen und Klinga , bzw. auch der Gestaltung der Augustinerchorherrenkirche in Wechselburg zu Rate gezogen zu haben. Das betrifft auch die neu eingesetzten Buntglasfenster des Chores sowie der inzwischen wieder abgebrochene Hochaltar. 250.000 Reichsmark wurden eigens von der Stadt Chemnitz als Kredit zur Deckung für die Baukosten aufgenommen, weil die Kirchgemeinde diesen Betrag nicht zu stemmen vermochte. Altendorff hielt seine Umbauten für die beste Interpretation, die der Kirche Ehre gereichen würde – die Nachwelt sieht da sein wenig anders.

Von Altendorffs Umbauten ist kaum etwas noch vorhanden

Ein im März 1945 erfolgter Bombenangriff auf Chemnitz hinterließ seine tiefen Narben am Gotteshaus, so dass auch Altendorffs Umbauten nahezu vollständig vernichtet wurden. Lediglich an der Außenhaut, v.a. an der Westseite, sehen wir die Apostelfiguren aus der 1870er Jahren. Die Fassade selbst wurde schon vor 1914 vom Historismus Altendorffs befreit und einer strengen Vertikalität unterworfen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte ein Schritt für Schritt behutsames und denkmalpflegerisches Herantasten an das Kirchengebäude, wenn auch vieles auch als neu ersichtlich ist. Das geschah u.a. mit dem Einsetzen neuer Schlusssteine und am, mit einer Spritzbetontechnik, neu eingezogenen Gewölbe im Langhaus. Die wenigen erhaltenen originalen Schlusssteine wurden restauriert und wieder eingesetzt. Bei 2012 erfolgten Restaurierungsarbeiten im südwestlichen Seitenschiffjoch wurden Fragmente eines original erhaltenen Blendmaßwerks inklusive Bemalung entdeckt. Diese Fragmente verschwanden hinter dem 1557 erfolgten Einbau der doppelgeschossigen Empore. Die unvollständig erhaltene Kanzel aus der Renaissancezeit stammt aus der Leubener Kirche, die 1905 abgebrochen wurde. Der 1504 von Peter Breuer geschaffene Flügelaltar wurde ursprünglich für die Chemnitzer Johanniskirche geschaffen und um 1970 aus ausgelagerten und nur teilweise vorhandenen und um neue Partien ergänzten Einzelteilen neu zusammengesetzt und in der Jacobikirche aufgestellt. Auch der um 1600 geschaffene Taufstein stammt nicht aus der Jacobikirche, sondern wahrscheinlich aus einer abgebrochenen Dorfkirche aus dem Dresdner Raum. Das Geläut besteht aus einer noch aus der Mitte des 18. Jahrhundert hergestellten Glocke und drei neuen Glocken von 1966. Mit dieser Kirche hat über mehrere Jahrzehnte die sächsische Denkmalpflege ganze Arbeit geleistet.

Osten mit Glitter – Steve Uhlig Galerie zeigt in Thonberg Bilder von Robin Zöffzig

Daniel Thalheim

Ende Oktober präsentiert die Leipziger Galerie von Steve Uhlig im Leipziger Stadtteil Thonberg eine neue Ausstellung. In der Volckmarstraße, wo zu DDR-Zeiten ein alteingesessener Kohlenhandel sein Zentrum hatte, ein Waschbärenzirkus sein Wohndomizil besaß und in den frühen Neunziger Jahren auch die kultige Kneipe „Tom‘s Hütte“ im Brennpunkt der Szenegänger stand, befinden sich die Räumlichkeiten der Galerie. Bis kurz vor Weihnachten können Besucher neue Arbeiten von Robin Zöffzig bestaunen. Der Galerist im L-IZ-Interview:

Herr Uhlig, … Galerien gibt es in Leipzig mittlerweile in Gohlis, im Leipziger Osten und in Plagwitz – warum dieser ungewöhnliche Standort in Thonberg?
Lange gab es meine Galerie ohne festen Galerieraum. Ausstellungsprojekte habe ich ortspezifisch durchgeführt und war auch viel auf Kunstmessen unterwegs. Bei null angefangen, war dann das Ziel, die Fixkosten im Zaum zu halten. Das hat auch eine Weile ganz gut funktioniert, aber ich hatte das Gefühl, dass eine Galerie erst so richtig seriös mit einem eigenen Raum ist. Vielleicht auch, weil es in Leipzig so viele tolle Galerien gibt. Die Latte hängt hoch.
Die Galerie ist nicht der typische White Cube. Vielmehr gibt sie es her, ein gemütliches Wohnzimmer zu sein.
Die Wahl des Ortes war pragmatischer Art. Zum damaligen Zeitpunkt war es in Leipzig schon so, dass es für mich kaum Flächen gab, die ich bereit war zu bezahlen. Oder die Lage war ungeeignet. Der jetzige Raum hat so gesehen auch keine Lauf-Lage, aber das war auch nicht mein Anspruch, da das Ziel ist, punktuell Ausstellungen zu machen. Die Leute kommen auf Einladung. Feste Öffnungszeiten sind außerdem nicht so mein Ding. Wer die Ausstellungen außerhalb der Eröffnungen sehen möchte, kann unkompliziert einen Termin machen.
So ist der Raum in der Volckmarstraße ein Spot für mehr oder weniger regelmäßige Shows, die Homebase meiner Aktivitäten sozusagen. Daneben kann man in Leipzig an einigen weiteren Standorten die Arbeiten meiner Künstler anschauen. Das sind dann Orte mit tatsächlich regelmäßigem Besucherverkehr. Da wäre zum Beispiel der Club International in der Meyerschen Villa. In diesem ganz wunderbaren Ambiente des mediterranen Palazzo fand kürzlich die Gruppenausstellung „Revived Spirits“ statt. Weiterhin hängt Kunst im sehr modernen Neubau des Notariats Zapf & Dr. Flache. Andere Ausstellungsorte sind die Helo Systems GmbH und das neue Studio 29 im Leipziger Zentrum. Seit Sommer 2021 gibt es auch einen Ausstellungsraum in Frankfurt a.M. wo meine Künstler ausgestellt werden. Ein Kooperationsprojekt mit einem alten Studienfreund.
Und im November ist Kunstmesse in Hamburg – endlich. Und schließlich die Robin-Zöffzig-Show Ende Oktober.

Robin Zöffzig ist in Ostdeutschland kein Unbekannter. Seit wann ist er in Ihrer Galerie gelistet?
Die ersten engeren Berührungspunkte zwischen Robin und mir waren im Jahr 2016, als er beim ArtWalk bzw. City Crash Festival dabei war. Damals war ich Veranstalter des ArtWalk und Antje Hamel vom Werk 2 hatte schon jahrelang das City Crash organisiert.
Die Idee, Kunst in außergewöhnlichen Räumen zu präsentieren, einen niedrigschwelligen Zugang für Besucher zu schaffen und Kreative zu fördern, sind Ansprüche, die die beiden Projekte vereinen. 2016 etablierten wir eine Zusammenarbeit, denn durch die gegenseitige Bereicherung, Inspiration und Unterstützung entwickelten wir neue Konzepte und hielten an Altbewährtem fest.
Robin war damals mit einigen Werken in der Ausstellung im Werk 2 vertreten. So begann eine lockere Zusammenarbeit, die damals von jeder Seite her unverbindlich war. Wir hatten einfach Bock, zu schauen, was passiert.
Wir blieben also in Kontakt, weil wir uns, zumindest, was ich von meiner Seite her sagen kann, sympathisch waren. Ich hatte und habe auch hin und wieder Sammler, die sich für Robins Arbeiten interessieren, ohne, dass er fester Bestandteil des Galerieprogramms war.

Wie lange haben Sie auf die Realisierung der Ausstellung gewartet?
Die nun kommende Ausstellung haben wir eigentlich schon lange auf dem Plan, ich glaube seit 2019/20. Naja, dann war klar, dass sowas erst mal aufgeschoben werden musste. Dann, als es so langsam wieder möglich war, wollten wir loslegen, aber ich hatte noch „aufgestaute Projekte“, die auf Umsetzung warteten. Also haben wir es immer wieder verschoben, weil Robin ebenfalls gut unterwegs ist und nicht immer Zeit bzw. Arbeiten zur Verfügung hatte. Daher hat sich die Terminfindung etwas hingezogen.
Nun haben wir in diesem Frühjahr und Sommer Nägel mit Köpfen gemacht, da wir mit einer kontinuierlicheren Planbarkeit gerechnet haben und dass wir die Ausstellung auch durchführen können.

Wie erging es Ihnen wirtschaftlich und persönlich während der Lock Downs?
Ausstellungen konnten, wie überall, nicht durchgeführt werden. Das war sehr schade, da einige Ausstellungen bereits geplant waren. Dennoch hatte ich auch so genügend zu tun, auch mit ein paar weiteren Projekten. Und schließlich hatten wir die Kids zuhause. Das verschiebt den Fokus ohnehin.

Konnten Sie finanzielle Unterstützung erfahren – welche Erfahrungen haben Sie mit den Lock-Down-Hilfen gemacht?
Habe ich nicht beantragt, daher auch keine Erfahrungen.

Wie „überlebt“ man als Galerist ein Lock Down Jahr?
In dieser Zeit habe ich darüber nachgedacht, wie einige Dinge im Projektmanagement der Galerie besser gestaltet werden können. So plane ich, viel mehr Sachen zu digitalisieren, um Prozesse schlanker und somit effizienter zu gestalten. Da bin ich immer noch dran.
Dass keine Ausstellungen stattfanden, heißt nicht, dass keine Kunst gekauft wird. Einige Sammler waren weiterhin sehr interessiert. Insgesamt denke ich, dass sich der Kunstmarkt in dieser Zeit auch etwas gewandelt hat. Er wandelt sich generell. Nicht erst seit Corona schauen Sammler auf Online-Kanälen; verfolgen, was Künstler und Galerien tun, beispielsweise bei Instagram. Erfahrene Sammler kaufen auch online, ohne das Kunstwerk live gesehen zu haben. Natürlich ist das, zumindest bei mir, immer noch eine Besonderheit.
Was ich sagen kann, ist, dass ein Online-Vorgang das klassische Live-Kunsterlebnis vermutlich kaum dauerhaft zu ersetzen vermag. Gerade in Zeiten der verstärkten digitalen Kommunikation benötigt Kunst reale Plätze, um mit dem interessierten Publikum und vielen weiteren Interessengruppen in Kontakt zu treten. Nur so kann ich als Galerist die Gewinnung neuer Sammler und Künstler, sowie deren persönliche Verbindung mit der Kunst und der Galerie initiieren und stärken. Nur so sind Aspekte wie Zuverlässigkeit, Vertrauen, persönliche Wertschätzung, das Eingehen auf individuelle Anforderungen und Dialogorientierung adäquat zu vermitteln.

Welche Projekte planen Sie speziell für 2022?
Für 2022 steht ein guter Meilenstein für die Galerie an. Wir sind erstmals auf der Art Karlsruhe vertreten.
Bereits für die Teilnahme in 2021 hatten wir ein innovatives Konzept erarbeitet, um Sammlern sowohl eine vertraute Atmosphäre zu schaffen, als auch eine sehr innovative Komponente zu installieren, um damit auch die gesamte Messe zu bereichern. Die Messe fiel aber eben aus.
Unser Stand im Februar 2022 wird Positionen zeigen, die sich hauptsächlich mit Post-Urban-Art beschäftigen und Künstler, die sich auf ihre ganz individuelle Art von ihrem ursprünglichen Medium gelöst und entwickelt haben.
Unsere Künstler haben gemeinsam, dass sie im urbanen Raum ihre ersten künstlerischen Wege gegangen sind. Darauf aufbauend, entwickelten sie sich in unterschiedliche Richtungen. Uns ist wichtig, diese Stile des Post-Urban-Art einem interessierten Publikum vorzustellen.
Auf einer Hälfte des Standes wird moderne Malerei der jungen Künstler Christoph Rode und Christian KERA Hinz gezeigt.
Christoph Rode arbeitet ausschließlich mit Öl auf Leinwand. Mit ihm verbindet die Galerie eine lange Zusammenarbeit. Rode entdeckte ich vor ca. sieben Jahren und entwickelte ihn seither stetig. Seine gegenständlichen Gemälde sind mittlerweile Bestandteil in zahlreichen Sammlungen.
Der Maler und Grafiker Christian KERA Hinz ist ebenfalls langjähriger Künstler der Galerie. Er ist weltweit für seine Kunst am Bau gefragt. Der talentierte Künstler erforscht und entwickelt neue (Druck-)Techniken.
Die zweite Standhälfte präsentiert eine One-Artist-Show des Künstlers „Rocco and his Brothers“. Wir konnten Rocco gewinnen, mit uns eine Besonderheit auf der Art Karlsruhe zu präsentieren. Was genau wir zeigen, ist aber noch geheim.
Des Weiteren stehen in 2022 weitere Shows in der Galerie in Leipzig und im Projektraum in Frankfurt a.M. an, aber auch an anderen spannenden Orten, wie bspw. der Meyerschen Villa in Leipzig. Und: ich habe ein paar Künstlerinnen und Künstler neu im Programm, die bald gezeigt werden.

Ausstellungsplakat, Copyright: R. Zöffzig / S. Uhlig Gallery 2021
Robin Zöffzig | FUNKY FLASH | solo show Vernissage
29. Okt 2021, 19-22 Uhr
Ausstellungsdaten
29. Okt – 21. Dez 2021
VeranstaltungsortUhlig Gallery
Volckmarstr. 5
04317 Leipzig


 

Leipzigs Orte erzählen Geschichten – Wie es dem Rittergut in Dölitz erging

Daniel Thalheim

Wer sich heutzutage südlich von Connewitz verliert, landet meist auf dem agra-Gelände. Der Besucher ahnt nicht, dass diese sozialistisch geprägte Landschaftsgestaltung noch vor einhundert Jahren ländlich, idyllisch und dörflich sich in die Auwaldlandschaft einschmiegte. Das Wasserschloss und Rittergut von Dölitz gehörte neben der verloren gegangenen Dorfkirche zu den Lichtpunkten dieser Gegend. Nur das noch bestehende Torhaus nebst ehemaligen Wirtschaftsgebäuden und die ehemalige Schlossmühle können wir noch sehen.

Anhand von Fotos und Akten sichtbar – das Rittergut der Familien Crostewitz und Winckler

Wer sich mit dem lauschigen Ort beschäftigen will, muss in die staubigen Akten einsteigen. Nur so wird die Geschichte zum Gelände des heutigen Torhauses Dölitz deutlich. Mitte des 13. Jahrhunderts wird das Rittergut urkundlich erstmals erwähnt. Die Familie von Crostewitz richtete sich Mitte des 15. Jahrhunderts ein Renaissanceschloss ein. Um 1451 war ein gewisser Andreas von Crostewitz Besitzer des Gutes. Der Besitz ging auf seinen Sohn Thomas von Crostewitz über, der von 1501 bis 1540 das Gut verwaltete. Bis 1636 blieb das Gut in der Familie bis es im selben Jahr an den Leipziger Händler Georg Winkler (1582-1654) verkauft wurde. 1652 wurde die Familie zum Adelsstand erhoben. Sie nannten sich fortan Winckler von Dölitz. Als sie Mitte des 18. Jahrhunderts den Adelstitel Freiherr von Schwendendorff erwarben, galt die Bezeichnung Winckler von Schwendendorff. Offenbar stand die Familie mit dem „Baron“ im Namen ein Grad gesellschaftlich höher als mit einem einfachen Rittertitel. Anhand der Aktenlage können wir erkennen, dass erst ab dem 18. Jahrhundert regelmäßig Buch geführt wurde. Dementsprechend dünn ist die Aktenlage für das 15. und 16. Jahrhundert. Wir wissen aber, dass die Familie von Crostewitz durch den Dreißigjährigen Krieg in die Pleite geritten war und die Güter an die Familie der Wincklers verkaufte.
Verwaltungstechnisch war das Rittergut Dölitz reich gegliedert. Neben der dazugehörigen Wassermühle und anderen Wirtschaftsgebäuden in Dölitz verwalteten die Wincklers in Meusdorf ein Vorwerk samt Schäferei, im 18. Jahrhundert kam dort zudem noch eine Ziegelei hinzu. Im 18. Jahrhundert wurde auch die zum Rittergut gehörige Wassermühle neu gebaut. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts unterstanden auch die Rittergüter in Stünz und in Dölitz einer einzigen Verwaltungseinheit. Zum Rittergut in Stünz gehörte eine Windmühle. Weil Stünz von Dölitz aus verwaltet wurde, gehen Forscher davon aus, dass aus diesem Grund die dortigen Rittergutsgebäude vernachlässigt und abgerissen wurden. Jedoch besaß Stünz eine eigene Patrimonialgerichtsbarkeit. Sie ging mit der Übertragung auf die Dölitzer Wincklers auch auf Dölitz über. 1856 wurde die Verwaltungsgerichtsbarkeit beider Güter auf die Stadt Leipzig übertragen. Die Wincklers erhielten durch Erbgänge noch die Stadt Groitzsch im 18. Jahrhundert, sowie die Rittergüter Sellerhausen und Schönau. Bis 1927 blieb alles im Besitz der Familie Winckler. Gerda Maria Anne Helena von Winckler war die letzte Besitzerin bevor 1927 die Stadt Leipzig eingetragene Besitzerin des Gutes samt den dazugehörigen Vorwerken in Meusdorf und Stünz wurde. Gerda Winckler war die letzte Erbin des Gutes. Die eingeheiratete Ehefrau von dem letzten legitimen Erben wurde noch vor dem Tod von dessen Vater Witwe. Kinder waren also Fehlanzeige. Mit dem Ableben ihres Schwiegervaters 1918 erbte sie alles. Doch was soll eine Frau allein auf diesem Hof? Neun Jahre hielt sie es dort aus und veräußerte das Rittergut für 1,25 Millionen Mark an die Stadt Leipzig.

Schloss, Hofseite, Foto: Richard Herold, 1940. Copyright: SLUB Dresden, Deutsche Fotothek.

Was vom Schloss übrigblieb

Nur anhand von Fotos können wir uns am Anblick des einstigen Wasserschlosses ergötzen. Wahrscheinlich geht das einstige Renaissanceschloss auf eine im 13. Jahrhundert errichtete Wasserburg zurück. Nach dem Verkauf des durch Krieg und Verarmung heruntergekommenen Rittergutes an die Rats- und Händlerfamilie der Wincklers Mitte des 17. Jahrhunderts erfuhr der Komplex einen erneuten Umbau in eine drei Etagen umfassende Vierflügelanlage mit Innenhof. Bis zu seiner Beschädigung im Zweiten Weltkrieg war das hohe Dach des Hauptflügels samt Dachreiter mit barocker Haube weithin sichtbar. Durch den Luftdruck und die Splitter einer im Februar 1944 niedergegangenen Sprengbombe wurden die Gebäude beschädigt. Bis zu diesem Zeitpunkt nutzte die neue Besitzerin, die Stadt Leipzig, das Gut samt Schloss als reformpädagogische Freiluftunterrichtsstätte und während des Krieges als Kindergarten. Wie groß die Beschädigungen tatsächlich waren, lässt sich derzeit nicht verifizieren. Offenbar gab es nach dem Zweiten Weltkrieg durchaus Bemühungen das Schloss zu erhalten und die vielleicht überschaubaren Zerstörungen durch Wiederaufbauarbeiten rückgängig zu machen. Wahrscheinlich ist, dass aus politischen Gründen das Schloss in den 1950ern dem Abriss freigegeben wurde. Offenbar waren die „politischen Gründe“ ein vorgeschobener Grund, weil eine benachbarte Gärtnerei Baumaterial benötigte und das Schloss u.a. aus diesem Grund ein jähes Ende erfuhr.

Offenkundig wurde das Schloss nicht 1947 gesprengt und abgetragen. Dieses Foto eines unbekannten Fotografen stammt von 1953. Copyright: SLUB Dresden, Deutsche Fotothek.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden lediglich Torhaus und noch bestehende Wirtschaftsgebäude wie die Wassermühle weitestgehend erhalten. Erst nach der Wiedervereinigung 1990 kam Bewegung um eine Renovierung ins Spiel. Heute ist im Torhaus das Leipziger Zinnfigurenmuseum untergebracht. An der Fassade des Torhauses können wir durch stecken gebliebene Kanonenkugeln noch sehen, wie hart umkämpft das während der Völkerschlacht zu Leipzig 1813 als französische Truppenlager genutzte Rittergut war. Als in den 1950er und 1960er Jahren der agra-Park entstand erfuhr auch die Anlage des Rittergutes eine Veränderung. Das Schloss verschwand. Heute blicken wir auf eine reichhaltige Nutzung des einstigen Rittergutareals für Kurzausflüge, Gastronomie und Arboretum samt Lehrpfaden. Neben der kulturell genutzten und restaurierten Wassermühle, auf deren mit Fachwerkhäusern gesäumten Areal einen kleinen Weihnachtsmarkt in der Adventszeit beherbergt, finden hier v.a. im Rahmen des Wave Gotik Treffens regelmäßig Mittelaltermärkte mit elektrisch geladener Bühnenmusik statt. Auch während der jährlich stattfindenden Völkerschlachtsgedenkveranstaltungen wird das Gelände als Biwak und Aufmarschplatz genutzt. Das Areal des ehemalige Schlossgutes ist außerdem auch wegen des Goethesteigs und den historischen Verweisen auf einen Aufenthalt des Dichterfürsten Goethe um 1800 ein beliebtes Ausflugziel für Touristen und Familien. Leider steht zur Debatte, das Gebäude des ehemaligen Gutsverwalters abzureißen obwohl es sanierbar wäre und einer Umnutzung für an Kinder orientierte Kulturprojekte neue Räumlichkeiten geben könnte.

Beitragsbild im Titel: Schloss Dölitz, Foto: Johannes Mühler um 1930, Copyright: SLUB Deutsche Fotothek.