Neue Grundschule im Leipziger Osten – Eilenburger Bahnhof wandelt erneut sein Antlitz

Daniel Thalheim

Leipzig baut. Wer 2023 von der Prager Straße zur Dresdner Straße fuhr, wurde einer neuen Baustelle gewahr. Auf dem Gelände des ehemaligen Eilenburger Bahnhofs, heute Lene-Voigt-Park genannt, wurde ein ehemaliges Bahnhofsgebäude entkernt bis nur die Außenhaut des einstigen spätklassizistischen Gebäudes stehen blieben. Es wurde gewühlt, gebaggert, gesichert und nun wieder aufgefüllt. Leipziger sollten genauer hinschauen, was hier passiert. Hier entsteht was neues. Die Wilhelm-Busch-Grundschule soll hier ein Zuhause finden.
Dieses Gelände ist, wie andere Gegenden, Regionen und Landschaften, ein Prägestempel der Industrialisierung und der verschiedenen politischen Systeme in Deutschland. Im Kaiserreich als Personenbahnhof für den Nahverkehr genutzt, später unter den Nazis ein Umschlagplatz für Zwangsarbeiter_Innen und ein Polizei- sowie Ausländergefängnis und in der DDR eine Barackenbrache mit Kindergarten, IT-Firma und wildem Bewuchs, ist an dieser Schnittstelle zwischen den Stadtteilen Reudnitz und Thonberg ein Naherholungspark entstanden.
Seit 1997 folgt die letzte Etappe einer bis 2026 anhaltenden Revitalisierungsserie, die einem Marathon gleicht.

Leipzig, Eilenburger Bahnhof, Entwurf, Aufriss der Hauptfassade mit Bezeichnungen, Richard Steche, um 1875. Feder, Pinsel in Wasserfarbe/Papier. 34,2 x 100,7 cm. Bez.: „HAUPTANSICHT (abfahrt) EMPFANGSGEBAEUDE LEIPZIG“ und unten rechts „Eilenburger Bahnhof“ (Bleistift, sekundär). Quelle: Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication.

Was der Eilenburger Bahnhof einst war

Als in Leipzig die Industrie zu brummen anfing, vernetzte die Stadt sich mit den eisernen Adern der Eisenbahn. Der Eilenburger Bahnhof wurde 1874 als einer von fünf Bahnhöfen in der Messestadt errichtet. Von hier aus rollte der Personenverkehr ins Leipziger Umland und vor allem, wem wundert‘s, über Taucha nach Eilenburg. Zwei Jahre dauerte damals der Bau des Bahnhofgebäudes mit dazugehörigen Lokschuppen, Güterbahnhof und Gleisanlagen. Der Architekt, Kunsthistoriker und Denkmalpfleger Richard Steche (1837-1893) entwarf das lang gestreckte Bahnhofsgebäude im Sinne des Spätklassizismus. Der Backsteinbau maß 150 Meter in der Länge und in der Breite 15 Meter. Der Nah- und Güterverkehr auf diesem Bahnhof hielt bis in den Zweiten Weltkrieg an bis er von Fliegerbomben 1942 gänzlich zerstört wurde. Das Bahnhofsgebäude diente von 1939 an bis 1942 zu diesem Zeitpunkt als Polizeigefängnis, Städtische Arbeitsanstalt und Durchgangslager für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Bis heute fehlt an der Stelle des heutigen Lene-Voigt-Parks eine Erinnerungsstätte für die schreckliche Zeit der Nazi-Herrschaft. Das Thema Zwangsarbeit reichte tief in die städtische Gesellschaft Leipzigs hinein und wurde v.a. in der DDR-Zeit verschwiegen. Von Bahnhöfen wie diesen fanden unter den Augen der Leipziger Bevölkerung neben den Transporten von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern auch Transporte in die Konzentrations- und Vernichtungslager statt.

Eilenburger Bahnhof, Ansicht von 1905. Quelle: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig.

Was der Lene-Voigt-Park sein soll

In der DDR zuckelten offiziell bis 1973 von kleinen Diesel- und Dampflokomotiven gezogene Güterwaggons in den noch vorhandenen Teil des Bahnhofs an der Riebeckbrücke. Teilweise wurden noch bis in die frühen 1980er Jahre kleine Transporte gesichtet. Ab 1974 wurden große Teile für den Bau von Baracken freigegeben, in denen u.a. eine Kindertagesstätte und ein IT-Zentrum bis 1990 ihr Zuhause fanden. Ab den 1990ern verwilderte die Industriebrache bis 1997 in der Leipziger Ratsversammlung die Revitalisierung des zehn Hektar großen Abschnitts zum Lene-Voigt-Park beschlossen und Stück um Stück in die 2000er Jahre umgesetzt wurde und bis 2026 mit dem Bau der Wilhelm Busch Grundschule fortgesetzt wird. Heute dient der Freizeitpark als Ort für sportliche aktive Menschen, bzw. für Menschen, die an diesem Fleck sich erholen möchten.

Wo heute noch die Außenmauern eines ehemaligen und denkmalgeschützten Güterabfertigungsgebäudes aus gelbem Backstein stehen, wird eine fünfzügige Grundschule entstehen. Seit Sommer 2023 finden hier umfangreiche Bauarbeiten statt. Die Wilhelm-Busch-Grundschule soll für 616 Schülerinnen und Schüler Entfaltungsmöglichkeiten bieten, wozu u.a. eine wettkampftaugliche Sechsfeldsporthalle mit 199 Zuschauerplätzen und Sport- und Freiflächen dienen sollen. Zum Jahresbeginn 2026 können die die Grundschüler sowohl Schule als auch Sporthalle eifrig nutzen. Barrierefreiheit wird integraler Bestandteils des Neubaus sein. Die Außenmauern des einstigen denkmalgeschützte Backsteingebäude Güterabfertigungsgebäudes mit Küche, Speisesaal und Mehrzweckraum wird künftig wohl auch für außerschulische Zwecke genutzt werden. Die Dachflächen aller Neubauten werden begrünt. Auch eine neue Kindertagesstätte soll hier entstehen.
Rund 57 Millionen Euro soll der Neubau kosten, von denen etwa 14,5 Millionen Euro aus dem Förderprogramm „Schulinfrastruktur“ kommen. Mit den planenden und ausführenden GMP Architektenbüro hat die Stadt Leipzig sich erfahrene Leute ins Boot geholt, die mit ihren Planungsentwürfen und ausgeführten Bauwerken weltweit klassische Moderne im Gefüge städtebaulicher historischer Kontexte stehen sehen, wie u.a. die Stadthalle in Magdeburg, das Gebäude des China Klubs in Berlin, das Kulturzentrum in Alsdorf, das Springer Quartier in Hamburg, das Neue Hans-Sachs-Haus in Gelsenkirchen, das Parkhaus in der Hamburger Speicherstadt und das Steigenberger Hotel auf der Fleetinsel in Hamburg.

Wilhelm Busch Grundschule auf der Seite der Stadt Leipzig

GMP Architekten mit dem Schulneubau

Zum Thema Zwangsarbeit auf dem Eilenburger Bahnhof

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Autor: Daniel Thalheim

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