Daniel Thalheim
Wer sich heutzutage südlich von Connewitz verliert, landet meist auf dem agra-Gelände. Der Besucher ahnt nicht, dass diese sozialistisch geprägte Landschaftsgestaltung noch vor einhundert Jahren ländlich, idyllisch und dörflich sich in die Auwaldlandschaft einschmiegte. Das Wasserschloss und Rittergut von Dölitz gehörte neben der verloren gegangenen Dorfkirche zu den Lichtpunkten dieser Gegend. Nur das noch bestehende Torhaus nebst ehemaligen Wirtschaftsgebäuden und die ehemalige Schlossmühle können wir noch sehen.
Anhand von Fotos und Akten sichtbar – das Rittergut der Familien Crostewitz und Winckler
Wer sich mit dem lauschigen Ort beschäftigen will, muss in die staubigen Akten einsteigen. Nur so wird die Geschichte zum Gelände des heutigen Torhauses Dölitz deutlich. Mitte des 13. Jahrhunderts wird das Rittergut urkundlich erstmals erwähnt. Die Familie von Crostewitz richtete sich Mitte des 15. Jahrhunderts ein Renaissanceschloss ein. Um 1451 war ein gewisser Andreas von Crostewitz Besitzer des Gutes. Der Besitz ging auf seinen Sohn Thomas von Crostewitz über, der von 1501 bis 1540 das Gut verwaltete. Bis 1636 blieb das Gut in der Familie bis es im selben Jahr an den Leipziger Händler Georg Winkler (1582-1654) verkauft wurde. 1652 wurde die Familie zum Adelsstand erhoben. Sie nannten sich fortan Winckler von Dölitz. Als sie Mitte des 18. Jahrhunderts den Adelstitel Freiherr von Schwendendorff erwarben, galt die Bezeichnung Winckler von Schwendendorff. Offenbar stand die Familie mit dem „Baron“ im Namen ein Grad gesellschaftlich höher als mit einem einfachen Rittertitel. Anhand der Aktenlage können wir erkennen, dass erst ab dem 18. Jahrhundert regelmäßig Buch geführt wurde. Dementsprechend dünn ist die Aktenlage für das 15. und 16. Jahrhundert. Wir wissen aber, dass die Familie von Crostewitz durch den Dreißigjährigen Krieg in die Pleite geritten war und die Güter an die Familie der Wincklers verkaufte.
Verwaltungstechnisch war das Rittergut Dölitz reich gegliedert. Neben der dazugehörigen Wassermühle und anderen Wirtschaftsgebäuden in Dölitz verwalteten die Wincklers in Meusdorf ein Vorwerk samt Schäferei, im 18. Jahrhundert kam dort zudem noch eine Ziegelei hinzu. Im 18. Jahrhundert wurde auch die zum Rittergut gehörige Wassermühle neu gebaut. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts unterstanden auch die Rittergüter in Stünz und in Dölitz einer einzigen Verwaltungseinheit. Zum Rittergut in Stünz gehörte eine Windmühle. Weil Stünz von Dölitz aus verwaltet wurde, gehen Forscher davon aus, dass aus diesem Grund die dortigen Rittergutsgebäude vernachlässigt und abgerissen wurden. Jedoch besaß Stünz eine eigene Patrimonialgerichtsbarkeit. Sie ging mit der Übertragung auf die Dölitzer Wincklers auch auf Dölitz über. 1856 wurde die Verwaltungsgerichtsbarkeit beider Güter auf die Stadt Leipzig übertragen. Die Wincklers erhielten durch Erbgänge noch die Stadt Groitzsch im 18. Jahrhundert, sowie die Rittergüter Sellerhausen und Schönau. Bis 1927 blieb alles im Besitz der Familie Winckler. Gerda Maria Anne Helena von Winckler war die letzte Besitzerin bevor 1927 die Stadt Leipzig eingetragene Besitzerin des Gutes samt den dazugehörigen Vorwerken in Meusdorf und Stünz wurde. Gerda Winckler war die letzte Erbin des Gutes. Die eingeheiratete Ehefrau von dem letzten legitimen Erben wurde noch vor dem Tod von dessen Vater Witwe. Kinder waren also Fehlanzeige. Mit dem Ableben ihres Schwiegervaters 1918 erbte sie alles. Doch was soll eine Frau allein auf diesem Hof? Neun Jahre hielt sie es dort aus und veräußerte das Rittergut für 1,25 Millionen Mark an die Stadt Leipzig.
Schloss, Hofseite, Foto: Richard Herold, 1940. Copyright: SLUB Dresden, Deutsche Fotothek.
Was vom Schloss übrigblieb
Nur anhand von Fotos können wir uns am Anblick des einstigen Wasserschlosses ergötzen. Wahrscheinlich geht das einstige Renaissanceschloss auf eine im 13. Jahrhundert errichtete Wasserburg zurück. Nach dem Verkauf des durch Krieg und Verarmung heruntergekommenen Rittergutes an die Rats- und Händlerfamilie der Wincklers Mitte des 17. Jahrhunderts erfuhr der Komplex einen erneuten Umbau in eine drei Etagen umfassende Vierflügelanlage mit Innenhof. Bis zu seiner Beschädigung im Zweiten Weltkrieg war das hohe Dach des Hauptflügels samt Dachreiter mit barocker Haube weithin sichtbar. Durch den Luftdruck und die Splitter einer im Februar 1944 niedergegangenen Sprengbombe wurden die Gebäude beschädigt. Bis zu diesem Zeitpunkt nutzte die neue Besitzerin, die Stadt Leipzig, das Gut samt Schloss als reformpädagogische Freiluftunterrichtsstätte und während des Krieges als Kindergarten. Wie groß die Beschädigungen tatsächlich waren, lässt sich derzeit nicht verifizieren. Offenbar gab es nach dem Zweiten Weltkrieg durchaus Bemühungen das Schloss zu erhalten und die vielleicht überschaubaren Zerstörungen durch Wiederaufbauarbeiten rückgängig zu machen. Wahrscheinlich ist, dass aus politischen Gründen das Schloss in den 1950ern dem Abriss freigegeben wurde. Offenbar waren die „politischen Gründe“ ein vorgeschobener Grund, weil eine benachbarte Gärtnerei Baumaterial benötigte und das Schloss u.a. aus diesem Grund ein jähes Ende erfuhr.
Offenkundig wurde das Schloss nicht 1947 gesprengt und abgetragen. Dieses Foto eines unbekannten Fotografen stammt von 1953. Copyright: SLUB Dresden, Deutsche Fotothek.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden lediglich Torhaus und noch bestehende Wirtschaftsgebäude wie die Wassermühle weitestgehend erhalten. Erst nach der Wiedervereinigung 1990 kam Bewegung um eine Renovierung ins Spiel. Heute ist im Torhaus das Leipziger Zinnfigurenmuseum untergebracht. An der Fassade des Torhauses können wir durch stecken gebliebene Kanonenkugeln noch sehen, wie hart umkämpft das während der Völkerschlacht zu Leipzig 1813 als französische Truppenlager genutzte Rittergut war. Als in den 1950er und 1960er Jahren der agra-Park entstand erfuhr auch die Anlage des Rittergutes eine Veränderung. Das Schloss verschwand. Heute blicken wir auf eine reichhaltige Nutzung des einstigen Rittergutareals für Kurzausflüge, Gastronomie und Arboretum samt Lehrpfaden. Neben der kulturell genutzten und restaurierten Wassermühle, auf deren mit Fachwerkhäusern gesäumten Areal einen kleinen Weihnachtsmarkt in der Adventszeit beherbergt, finden hier v.a. im Rahmen des Wave Gotik Treffens regelmäßig Mittelaltermärkte mit elektrisch geladener Bühnenmusik statt. Auch während der jährlich stattfindenden Völkerschlachtsgedenkveranstaltungen wird das Gelände als Biwak und Aufmarschplatz genutzt. Das Areal des ehemalige Schlossgutes ist außerdem auch wegen des Goethesteigs und den historischen Verweisen auf einen Aufenthalt des Dichterfürsten Goethe um 1800 ein beliebtes Ausflugziel für Touristen und Familien. Leider steht zur Debatte, das Gebäude des ehemaligen Gutsverwalters abzureißen obwohl es sanierbar wäre und einer Umnutzung für an Kinder orientierte Kulturprojekte neue Räumlichkeiten geben könnte.
Beitragsbild im Titel: Schloss Dölitz, Foto: Johannes Mühler um 1930, Copyright: SLUB Deutsche Fotothek.