Leipzigs Orte erzählen Geschichten – Wie es dem Rittergut in Dölitz erging

Daniel Thalheim

Wer sich heutzutage südlich von Connewitz verliert, landet meist auf dem agra-Gelände. Der Besucher ahnt nicht, dass diese sozialistisch geprägte Landschaftsgestaltung noch vor einhundert Jahren ländlich, idyllisch und dörflich sich in die Auwaldlandschaft einschmiegte. Das Wasserschloss und Rittergut von Dölitz gehörte neben der verloren gegangenen Dorfkirche zu den Lichtpunkten dieser Gegend. Nur das noch bestehende Torhaus nebst ehemaligen Wirtschaftsgebäuden und die ehemalige Schlossmühle können wir noch sehen.

Anhand von Fotos und Akten sichtbar – das Rittergut der Familien Crostewitz und Winckler

Wer sich mit dem lauschigen Ort beschäftigen will, muss in die staubigen Akten einsteigen. Nur so wird die Geschichte zum Gelände des heutigen Torhauses Dölitz deutlich. Mitte des 13. Jahrhunderts wird das Rittergut urkundlich erstmals erwähnt. Die Familie von Crostewitz richtete sich Mitte des 15. Jahrhunderts ein Renaissanceschloss ein. Um 1451 war ein gewisser Andreas von Crostewitz Besitzer des Gutes. Der Besitz ging auf seinen Sohn Thomas von Crostewitz über, der von 1501 bis 1540 das Gut verwaltete. Bis 1636 blieb das Gut in der Familie bis es im selben Jahr an den Leipziger Händler Georg Winkler (1582-1654) verkauft wurde. 1652 wurde die Familie zum Adelsstand erhoben. Sie nannten sich fortan Winckler von Dölitz. Als sie Mitte des 18. Jahrhunderts den Adelstitel Freiherr von Schwendendorff erwarben, galt die Bezeichnung Winckler von Schwendendorff. Offenbar stand die Familie mit dem „Baron“ im Namen ein Grad gesellschaftlich höher als mit einem einfachen Rittertitel. Anhand der Aktenlage können wir erkennen, dass erst ab dem 18. Jahrhundert regelmäßig Buch geführt wurde. Dementsprechend dünn ist die Aktenlage für das 15. und 16. Jahrhundert. Wir wissen aber, dass die Familie von Crostewitz durch den Dreißigjährigen Krieg in die Pleite geritten war und die Güter an die Familie der Wincklers verkaufte.
Verwaltungstechnisch war das Rittergut Dölitz reich gegliedert. Neben der dazugehörigen Wassermühle und anderen Wirtschaftsgebäuden in Dölitz verwalteten die Wincklers in Meusdorf ein Vorwerk samt Schäferei, im 18. Jahrhundert kam dort zudem noch eine Ziegelei hinzu. Im 18. Jahrhundert wurde auch die zum Rittergut gehörige Wassermühle neu gebaut. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts unterstanden auch die Rittergüter in Stünz und in Dölitz einer einzigen Verwaltungseinheit. Zum Rittergut in Stünz gehörte eine Windmühle. Weil Stünz von Dölitz aus verwaltet wurde, gehen Forscher davon aus, dass aus diesem Grund die dortigen Rittergutsgebäude vernachlässigt und abgerissen wurden. Jedoch besaß Stünz eine eigene Patrimonialgerichtsbarkeit. Sie ging mit der Übertragung auf die Dölitzer Wincklers auch auf Dölitz über. 1856 wurde die Verwaltungsgerichtsbarkeit beider Güter auf die Stadt Leipzig übertragen. Die Wincklers erhielten durch Erbgänge noch die Stadt Groitzsch im 18. Jahrhundert, sowie die Rittergüter Sellerhausen und Schönau. Bis 1927 blieb alles im Besitz der Familie Winckler. Gerda Maria Anne Helena von Winckler war die letzte Besitzerin bevor 1927 die Stadt Leipzig eingetragene Besitzerin des Gutes samt den dazugehörigen Vorwerken in Meusdorf und Stünz wurde. Gerda Winckler war die letzte Erbin des Gutes. Die eingeheiratete Ehefrau von dem letzten legitimen Erben wurde noch vor dem Tod von dessen Vater Witwe. Kinder waren also Fehlanzeige. Mit dem Ableben ihres Schwiegervaters 1918 erbte sie alles. Doch was soll eine Frau allein auf diesem Hof? Neun Jahre hielt sie es dort aus und veräußerte das Rittergut für 1,25 Millionen Mark an die Stadt Leipzig.

Schloss, Hofseite, Foto: Richard Herold, 1940. Copyright: SLUB Dresden, Deutsche Fotothek.

Was vom Schloss übrigblieb

Nur anhand von Fotos können wir uns am Anblick des einstigen Wasserschlosses ergötzen. Wahrscheinlich geht das einstige Renaissanceschloss auf eine im 13. Jahrhundert errichtete Wasserburg zurück. Nach dem Verkauf des durch Krieg und Verarmung heruntergekommenen Rittergutes an die Rats- und Händlerfamilie der Wincklers Mitte des 17. Jahrhunderts erfuhr der Komplex einen erneuten Umbau in eine drei Etagen umfassende Vierflügelanlage mit Innenhof. Bis zu seiner Beschädigung im Zweiten Weltkrieg war das hohe Dach des Hauptflügels samt Dachreiter mit barocker Haube weithin sichtbar. Durch den Luftdruck und die Splitter einer im Februar 1944 niedergegangenen Sprengbombe wurden die Gebäude beschädigt. Bis zu diesem Zeitpunkt nutzte die neue Besitzerin, die Stadt Leipzig, das Gut samt Schloss als reformpädagogische Freiluftunterrichtsstätte und während des Krieges als Kindergarten. Wie groß die Beschädigungen tatsächlich waren, lässt sich derzeit nicht verifizieren. Offenbar gab es nach dem Zweiten Weltkrieg durchaus Bemühungen das Schloss zu erhalten und die vielleicht überschaubaren Zerstörungen durch Wiederaufbauarbeiten rückgängig zu machen. Wahrscheinlich ist, dass aus politischen Gründen das Schloss in den 1950ern dem Abriss freigegeben wurde. Offenbar waren die „politischen Gründe“ ein vorgeschobener Grund, weil eine benachbarte Gärtnerei Baumaterial benötigte und das Schloss u.a. aus diesem Grund ein jähes Ende erfuhr.

Offenkundig wurde das Schloss nicht 1947 gesprengt und abgetragen. Dieses Foto eines unbekannten Fotografen stammt von 1953. Copyright: SLUB Dresden, Deutsche Fotothek.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden lediglich Torhaus und noch bestehende Wirtschaftsgebäude wie die Wassermühle weitestgehend erhalten. Erst nach der Wiedervereinigung 1990 kam Bewegung um eine Renovierung ins Spiel. Heute ist im Torhaus das Leipziger Zinnfigurenmuseum untergebracht. An der Fassade des Torhauses können wir durch stecken gebliebene Kanonenkugeln noch sehen, wie hart umkämpft das während der Völkerschlacht zu Leipzig 1813 als französische Truppenlager genutzte Rittergut war. Als in den 1950er und 1960er Jahren der agra-Park entstand erfuhr auch die Anlage des Rittergutes eine Veränderung. Das Schloss verschwand. Heute blicken wir auf eine reichhaltige Nutzung des einstigen Rittergutareals für Kurzausflüge, Gastronomie und Arboretum samt Lehrpfaden. Neben der kulturell genutzten und restaurierten Wassermühle, auf deren mit Fachwerkhäusern gesäumten Areal einen kleinen Weihnachtsmarkt in der Adventszeit beherbergt, finden hier v.a. im Rahmen des Wave Gotik Treffens regelmäßig Mittelaltermärkte mit elektrisch geladener Bühnenmusik statt. Auch während der jährlich stattfindenden Völkerschlachtsgedenkveranstaltungen wird das Gelände als Biwak und Aufmarschplatz genutzt. Das Areal des ehemalige Schlossgutes ist außerdem auch wegen des Goethesteigs und den historischen Verweisen auf einen Aufenthalt des Dichterfürsten Goethe um 1800 ein beliebtes Ausflugziel für Touristen und Familien. Leider steht zur Debatte, das Gebäude des ehemaligen Gutsverwalters abzureißen obwohl es sanierbar wäre und einer Umnutzung für an Kinder orientierte Kulturprojekte neue Räumlichkeiten geben könnte.

Beitragsbild im Titel: Schloss Dölitz, Foto: Johannes Mühler um 1930, Copyright: SLUB Deutsche Fotothek.

Über Dinge, die uns trennen und doch uns einen? – Malerei von Lisa Chandler

Lisa Chandler, "Stop, Stop, Stop", 70 x 100 cm, Acrylic on Canvas, 2017.
Lisa Chandler, „Stop, Stop, Stop“, 70 x 100 cm, Acrylic on Canvas, 2017.

Von Daniel Thalheim

In der ersten Dezemberwoche wird im Kunstraum des archiv massiv auf dem Alten Baumwollsspinnereigelände in Leipzig eine wichtige Austellung eröffnet.  Die neuseeländische Malerin Lisa Chandler stellt neue Arbeiten aus. Sie haben es in sich. Gerade im Hinblick auf die durch die Gelbwesten-Proteste in Paris hervorgerufenen Unruhen stehen die Gemälde mitten unter uns und geben eine Vorahnung dessen ab, was vielleicht auch in anderen europäischen Ländern passieren könnte.

Künstler sind Beobachter des Alltags. Um nicht im Urschleim des antiken Ägyptens zu wühlen, bereits mittelalterliche Illustratoren bannten die Absurditäten des Alltags auf die Pergamente. Pieter Bruegel d.Ä. führt uns heute immer noch das Leben von vor 500 Jahren vor. Die Impressionisten stellten sich in die Landschaft und auf die Straßen und skizzierten die sich verändernde Welt um sie herum. Sie alle lebten in sowohl schwierigen als auch in prosperierenden Zeiten. Umwälzungen fanden immer statt. In dieser Tradition steht auch Lisa Chandler. Ihre Arbeiten sind jedoch von einer Aktualität und Brisanz geprägt, was die Neuseeländerin zu einer Kommentatorin des politischen Lebens macht. Die Künstlerin bezieht nicht eindeutig Stellung zu den derzeitigen politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen, kommentiert diese aber mit einer bittersüßen Ironie.
De neuseeländische Malerin und Grafikerin legt mit ihren aktuellen Arbeiten den Finger auf die Wunde, wenn wir – nicht nur – unsere mittlerweile etablierte Selfie-Kultur mit all seinen Facetten erfahren. Botschaften zu uns dringen, die verwischt, zerkratzt und nicht mehr lesbar und deshalb keine Botschaften mehr sind. Zerschundene Körper, maskenhafte und anonyme Gesichter und ein Personal, das uns vertraut vorkommt aber doch so fremd. Demonstranten, die mit ihrem Protest allein stehen. Polizisten, die in ihren Uniformen bedrohlich erscheinen und den Habitus von Alien-Predatoren haben und ihren Sinn und Zweck den Rechtsstaat zu schützen verbrämen und wie dessen Feind die Bilder bevölkern.
Wie in uns ein Unbehagen zu verstärken, arbeitet Lisa Chandler mit unterschiedlichen künstlerischen Techniken und einer gedämpften Farbigkeit. Sie schichtet Farben, nimmt sie wieder weg. Einst klar formulierte Botschaften verschwinden so zu unklaren Zeichen. Was uns vertraut vorkommt, verblasst in den Grau- und Pastellstufen ihrer Malerei. Schon allein mit ihrer gedämpften Tonart nähert sich die Künstlerin einer romantischen Sprache, wie Philipp Otto Runge sie in seinen Gemälden und in seinen Farbkreistheorien über die dissonanten Akkorde formulierte und wie sie u.a. heute auch Neo Rauch umzusetzen weiß.
Doch in ihren Bildern ruft auch die Revolution. Spitzer formuliert, scheint die Reflexion über eine große weltweite Veränderung aus ihnen zu schwappen. Wie aus einem Nebel tauchen in ihren Bildern vor uns kontrastreiche Situationen auf, die im wahren Leben betrachtet schnell wieder im Rauch der Schnelllebigkeit verschwinden, wahrscheinlich im Internet.
Beim Betrachten müssen wir uns zwangsläufig fragen: Wer ist Freund oder Feind? Wer ist Opfer und wer ist Täter? Mit wem können wir uns identifizieren? Ist der leblose Körper so etwas wie ein Märtyrer, der von einer Gestalt mit einem Selfie-Stick für Facebook oder Instagram abgelichtet wird? Oder ist das wahre Opfer der Täter, der für ein paar Klicks seine fünf Minuten Ruhm sucht? Denn hinter den Situationen, die Lisa Chandler auf Leinwand bannt, steht die große Frage, wer in der Welt die Fäden in der Hand hält und wer sich lenken lässt. So gesehen dürften wir alle Marionetten eines entfesselten Wirtschaftssystems sein, das nur wenige lenken. Doch was schützt uns vor unserer Blindheit vor der großen Erkenntnis, scheint auch als große Frage in den Arbeiten der Neuseeländerin mitzuschwingen. Das scheinen nicht nur die Leipziger zu kennen, die das Scheitern eines politischen Systems und die daran knüpfende große politische und gesellschaftliche Umwälzung 1989 mit erlebt haben. Auch heute stehen – nicht nur – die Europäer vor großen Veränderungen. Die derzeitige Situation, dass Utopien mit Dystopien kämpfen, wird umso klarer, wenn wir auf die Ereignisse der großen politischen Gipfel schauen, wie in Hamburg 2017, die Krim-Krise, die Vernichtung des brasilianischen Urwalds, die Verseuchung der Natur durch Mikroplastik und Müll, die Konflikte in Nahost und die Verschärfung der sozialen Situationen vieler Menschen weltweit.

Gerade auch die aktuelle Gelbwesten-Bewegung in Frankreich, die am ersten Advent 2018 in Paris wegen ihrer Gewalttätigkeit für Furore und aufgescheuchte Politiker sorgt, gibt Anlass zur Besorgnis. Die Zerstörung von Kultur- und Kunstgegenständen am und im Arc de`Triomphe deutet sich als Verneinung der Revolutionsideale von 1789 ff. an, wo auf europäischen Boden die ersten demokratischen Ordnungen der Moderne ihre, auch nicht ganz unblutig geführten, Anfänge nahmen. Die, bzw. „Hi-Jacking“ genannte, Unterwanderung der Gelbwesten-Protestbewegung, die auf soziale Missstände und Verwerfungen hinweisen und die wirtschaftsliberale  Politik des französischen Präsidenten Emmanuel Macron kritisieren will, wurde offenkundig von militanten Extremisten jeglicher Coloeur dazu benutzt, um instabile Verhältnisse herbei zu führen. Inwieweit diese Bewegung, wie auch unter vorgehaltener Hand geraunt wird, auch von islamistisch gesinnten Kräften dazu genutzt wurde, um, wie Ideologen des Islamischen Staates 2014/15 öffentlich ankündigten, die europäischen Staaten zu destabilisieren, kann zum jetzigen Zeitpunkt nur spekuliert werden.

Lisa Chandler, Einladungskarte für ihre Ausstellung "Die Trennlinien" im archiv massiv auf dem Alten Baumwollspinnereigelände Leipzig.
Lisa Chandler, Einladungskarte für ihre Ausstellung „Die Trennlinien“ im archiv massiv auf dem Alten Baumwollspinnereigelände Leipzig.

Fakt ist aber, dass die Migrationsschübe von Muslimen – nicht nur die im islamischen Gepräge  lebenden und verfolgten Kopten, Christen und Jesiden – aus den islamischen Ländern zunehmen und die Radikalisierung auch in Europa stattfindet, wenn sie nicht schon ohnehin radikalisiert in Europa ankommen. Dass auch in Deutschland diese Migrationspolitik in massiver Kritik steht, zeigt die Zunahme von registrierten Straftaten von Einwanderern in den letzten Jahren und als Antwort darauf das Erstarken des nationalkonservativen Randes hierzulande. Das Großwerden der „Alternative für Deutschland“ (AfD) demonstriert, dass Kritik an der hiesigen Politik inzwischen einen Kanal gefunden hat und offensichtlich in den etablierten Parteien kein Gehör findet. Es ist durchaus – angesichts der radikalen Entwicklungen in der arabisch-sunnitischen aber auch -schiitischen Welt – anzunehmen, dass die Konflikte mit Muslimen in Europa zunehmen werden. Allein wie sehr Israel unter Druck steht, wie der wahabitische Islam den Terror unterstützt und entfacht, aber auch Iran sich nicht in Unschuld badet, muss – auch deutsche – Politiker_Innen angesichts der Entwicklungen in Deutschland aufhorchen und alarmieren lassen. Stattdessen werden innenpolitische Strohfeuer gegenüber die Krim- und Ukrainepolitik Russlands entfacht, die ebenfalls in Talkshows und Parteiveranstaltungen ideologisch verbrämt, also -anti-russisch, diskutiert werden. Die eigentlichen Probleme gibt es hierzulande; Klüfte zwischen Arm und Reich, der etablierte Niedriglohnsektor mit seinen Mindestlohn-Kompromissen, die damit verbundene Hartz-IV-Debatte und das Suchen nach den „faulen Arbeitslosen“ und „Bezügebettlern“, von Industrie, Wirtschaft und Internet abhängte Regionen, Pflegenotstand und der Qualitätsabschwung in der deutschen Haushaltspolitik. Nur das wenigste hat direkt oder indirekt etwas mit Migration zu tun. Es sind strukturelle Fehlleistungen, die ausnahmslos behördlich und politisch verursacht werden.

Lisa Chandler versteht es aber auch, in ihrer Malerei uns Auswege zu zeigen. Denn das innere „Exit“-Schild in uns bewahrt uns selbst und die Menschheit vor der Apokalypse der „walking dead“ – hoffentlich. Die Warnblinkanlage in uns müsste daher grell aufleuchten, und dass nicht nur wegen der außenpolitischen Verwerfungen sondern auch innenpolitisch im Hinblick auf die Migrations-, Wirtschafts- und Sozialpolitik.

 

Lisa Chandler

Trennlinien / Divided Lines

6.12.2018 bis 5.01.2019

Eröffnung am 5.12. um 18 bis 21 Uhr

 

 

Titelbild: Lisa Chandler (Copyright), „Stop, Stop, Stop“, 70  100 cm, Acrylic on Paper, 2017.

Leipzig um 1900 – Warum das Schiller-Denkmal zu neuem Leben erweckt wird

Derzeit wird in Leipzig ein Denkmal restauriert, das womöglich zur späten Blüte des Leipziger Sezessionsstils gehört. Was es dabei auf sich hat, wer der Bildhauer Johannes Hartmann war und wie das Schiller-Denkmal einzuordnen ist, versucht folgender Beitrag ein wenig zu beleuchten.

Von Daniel Thalheim

Die Stadtverwaltung von Leipzig weiß, was dem Schiller-Denkmal im vergangenen Jahr angetan wurde. Die 1914 von August Schmiemann nach Entwürfen von Johannes Hartmann geschaffene Skulptur aus Laaser Marmor wurde Opfer von Vandalismus. Schiller stand nun da, verschmiert und ohne Nase. Dank der Bereitstellung von Fördermitteln der Landesdirektion Sachsen, eingegangener Spenden und Mitteln der Stadt Leipzig kann das Jugendstil-Meisterwerk seit Anfang Juli 2018 restauriert werden. Die Gesamtkosten der Maßnahme betragen nach Auskunft des Leipziger Kulturamts rund 12.000 Euro. Die Maßnahme soll schon im Oktober desselben Jahres beendet sein.

Ergebnis einer bürgerlichen Stiftung – Das Schiller-Denkmal in Leipzig

1905 war das 100. Todesjahr des zweiten großen Dichterfürsten neben Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832). Friedrich Schiller (1759-1805) gilt als der zweite Hauptvertreter der Literatur des Sturm und Drang und der Weimarer Klassik. Anlässlich dieses Ereignisses wurden auch in Dresden und Leipzig Schiller-Denkmäler in Auftrag gegeben und errichtet. Zwar wurden bereits vor dem Ereignisjahr schon Schiller-Denkmäler, mal Solo und mal mit Goethe, auf den Sockel gehoben. Zum Einhundertsten scheint so eine skulpturale Huldigung doch schon etwas besonderes zu sein.

Das Schillerdenkmal in Leipzig, historische Postkartenaufnahme (Copyright frei)
Das Schillerdenkmal in Leipzig, historische Postkartenaufnahme (Copyright frei)

In Dresden befand sich schon zu diesem Zeitpunkt ein Denkmal aus zwei sitzenden Figuren von Ernst Friedrich August Rietschel (1804-1861). Doch der Wunsch, in Dresden-Neustadt ein Solo-Denkmal für Schiller zu errichten, war 1905 groß. Hat der Dichter aufgrund des Mäzenats des Schriftstellers und Herausgebers Christian Gottfried Körner (1756-1831) eine sorglose und glückliche Zeit in direkter Nachbarschaft, in Dresden-Loschwitz, verlebt. Ein Schillerhäuschen zeugt noch von seinem Aufenthalt von 1785 bis 1787.
Auch in Leipzig hielt Friedrich Schiller sich 1785 auf. Im Vorort und heutigen Stadtteil Gohlis schrieb er das Gedicht „An die Freude“, das der Komponist Ludwig van Beethoven (1770-1827) für seine 9. Sinfonie verwendete und so zur weltweiten Berühmtheit wurde. Der klassizistische Bildhauer Johann Friedrich Dannecker (1758-1841) schuf zwischen 1793 und 1805 mehrere Schiller-Büsten. Seine Arbeiten und die Totenmaske des Dichters dürften die Hauptquellen für die Skulpteure der Jahrhundertwendezeit gewesen sein, auch für die in Leipzig. In Jena steht eine Bronzekopie von einer seiner Arbeiten.
Nach der Ausschreibung des Denkmals 1905 gründete der Leipziger Germanist und Literaturforscher sowie Vorsitzender des Leipziger Schillervereins Georg Witkowski (1863-1939) 1906 einen Denkmalsausschuss. Für das Leipziger Denkmal stand ein Stiftungsgeld von 20.000 RMk (heute rd. 271.000 EUR) bereit. Ein, mit einer Ausstellung begleiteter, Wettbewerb, dem der Leipziger Sezessionskünstler Max Klinger vorstand, wurde 1912 durchgeführt. 33 Einreichungen gelangten in die Hände der Jury. Das Modell des Leipziger Bildhauers Johannes Hartmann (1869-1952) wurde aus den anderen Entwürfen prämiert. Ausgeführt wurde die Skulptur allerdings vom in Leipzig lebenden Münsteraner Bildhauer August Schmiemann jnr. (vermutl. 1846-1927). Bis zum 9. Mai 1914 konnte das Denkmal fertiggestellt und im Leipziger Lenné-Park aufgestellt werden. Georg Witkowski hielt die Weihe-Rede. Das Denkmal selbst sorgte aber wegen der nackten allegorischen Figuren für eine Kontroverse, die jedoch im Ersten Weltkrieg unterging. Die Skulptur wurde, wie das zeitgleich in Dresden entstandene Werk, aus Laaser Marmor geschaffen. Die Konkurrenz zu Johannes Hartmann bildete das Who-Is-Who der Leipziger Bildhauer.

Von der Idee des Schillerhains im Lenné-Park und warum Leipzig vor hundert Jahren am Puls der Kunst war

Unter den 33 Einreichungen befanden sich viele Ideen, die scheinbar den Gedanken eines Andachthains für den Dichterfürsten aufgegriffen hatten. Wir wissen, dass neben dem prämierten Entwurf noch vier zweite Preise verteilt wurden. Programmvorschriften und Ideenkonkurrenz soll es nicht gegeben haben. So erblickten die Leipziger während der Wettbewerbsausstellung 1912 auf eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie der Abschnitt, wo das heutige Schiller-Denkmal steht, zu gestalten sei. Der konventionelle Typus des Schillerstandbilds auf einem Sockel als Ganzfigur trat dabei zurück.
Stattdessen blickten die Leipziger auf entworfene Schiller-Anlagen aus Brunnen, Tempeln und Säulen. Offenbar versuchten die untereinander konkurrierenden Künstler eine Art Gedenkstätte zu schaffen, wo der Betrachter gern verweilen will. Dass dies wohl dem späteren Klinger-Nachlassverwalter Johannes Hartmann gelungen ist, scheint auch an seinen Fürsprecher Max Klinger gelegen haben. Hartmann entwickelte ebenfalls das von Max Klinger entworfene und anfangs geschaffene Postament des Richard-Wagner-Denkmals weiter, das der 2013 verwirklichten Skulptur von Stephan Balkenhol als Basis dient. Schon damals war das Wagner-Denkmal als Kolossalskulptur in den Parkanlagen zwischen dem Neubau des „Alten Theaters“ und der Matthäi-Kirche auf einem Stufenaufbau geplant – so ist es auch heute. Auch dass das Leipziger Kulturamt für die Restaurierung des Schiller-Denkmals für private Gelder wirbt, zeugt noch vom Geist der bürgerlichen Idee, die Messestadt aktiv zu gestalten.
Dass das seit über 100 Jahren bestehende Schiller-Denkmal im Lenné-Park die Umgebungsnatur der Parkanlage für einen Schillerhain geschaffen hat dürfte das Ansinnen von Max Klinger und Johannes Hartmann gewesen sein. Nicht nur damals war der Ort ein Magnet für Leipziger und auch für Touristen. Heute gilt die Arbeit von Johannes Hartmann und August Schmiemann als wichtiges Werk der Leipziger Sezession, die in Bezug auf Innenraumgestaltungen und Bauplastiken noch starke Bezüge zum französischen Art Nouveau aufweist, aber auch – wenn es um das von Johannes Hartmann entworfene Möbeldesign dieser Zeit geht – Entwicklungen der englisch-schottischen Arts & Crafts-Bewegung im Sinne der Werkbundbewegung aufgreift und eine für Leipzig typische Ausprägung in die Moderne weiterführt. Leipzigs Künstler legten ihre Finger an den Puls der damaligen Zeit. Internationale Kunst der Klassischen Moderne war bei den Leipziger Jahresausstellungen vertreten. An der damaligen Kunstakademie kursierten japanische Farbholzschnitte und dürften so auch grafisch und malerisch einen großen Eindruck hinterlassen haben. Die Medailleurs- und Skulpteurskunst stand hoch im Kurs, die grafischen Disziplinen und die ex-libris-Kunst erlebten ihre Blüte. Doch seltsamerweise scheint die Kunst bis auf wenige Ausnahmen dieser Zeit aber auch bis 1945 in einer konservativen Starre verharrt gewesen zu sein.

Im Auftrag Seiner Majestät – Christian Gottlob Frege zwischen Merkur und Fortuna

Seine Geschichte ist mit Leipzig eng verbunden. Christian Gottlob Frege war im 18. Jahrhundert so etwas wie eine Zentralbank und Kreditinstitut für die Messestadt und die sächsischen Kurfürsten. 1782 gründeten seine Nachkommen eine Bank im heute noch existierenden Frege-Haus. Bis zum 17. November gibt eine Ausstellung im Gebäude der Deutschen Bank einen Einblick in das Schaffen der Bankiersfamilie. Anlass ist der 300. Geburtstag des „alten“ Frege.

Ein Leipziger Unternehmer der Proto-Industrialisierung

Der Maler Anton Graff verewigte den Leipziger Unternehmer in einem Ölgemälde, das heute im Besitz des Stadtgeschichtlichen Museums ist. Frege ließ sich als Handelsherr darstellen. Er und seine Söhne heirateten in die Bürgerschaft Leipzigs ein, und stiegen bald zu den führenden Unternehmern der Pleißenmetroplole auf. „Christian Gottlob Frege ist das leuchtende Beispiel eines Unternehmers, … . Sein engagiertes Wirken hat Leipzig als Handelsstadt und Bankenzentrum nachhaltig geprägt“, sagt Leipzigs Wirtschaftsbürgermeister Uwe Albrecht (CDU). Anlass für die würdigenden Worte ist die kommende Ausstellung zum Pfarrerssohn, der 1715 in Lampertswalde zur Welt kam. Am 21. November jährt sich seine Geburt zum 300. Mal. Doch schon am 25. September eröffnen Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig und das Dezernat Wirtschaft und Arbeit die Ausstellung „Zwischen Merkur und Fortuna. Christian Gottlob Frege zum 300. Geburtstag“ in der historischen Kundenhalle der Deutschen Bank AG in Leipzig.

1739 gründete der Gewürzhändler in der Messestadt sein eigenes Handelsgeschäft und widmete sich auch dem Geldwechselgeschäft. So nahm er vor und nach dem Siebenjährigen Krieg die durch Kriegsnachwehen vernachlässigte kurfürstliche Münze in Leipzig in Pacht und war dadurch in der Lage, hohe Geldsummen des Kurfürsten rechtzeitig dem Zugriff der Preußen zu entziehen. Wegen seiner Geschicklichkeit und seinen Beziehungen zog der Dresdner Hof Frege u.a. für Geschäfte heran. Nach seinem Tod 1781 entstand die Privatbank „Frege & Co.“. Das am Leipziger Markt befindliche Frege-Haus war bis 1945 Sitz des Bankhauses. Im 19. Jahrhundert erfuhr es seinen Aufstieg zur führenden sächsischen Privatbank. „Das Staatsarchiv Leipzig verwahrt den einzigartigen Archivbestand des Bankhauses, sowie vielfältige genealogische Quellen zu dieser bedeutenden Familie“, informiert Archiv-Abteilungsleiter Volker Jäger.

Das Bankenwesen schon im 18. Jahrhundert kritisiert

Wer den „Faust“ von Johann Wolfgang Goethe richtig liest, stellt  seine frühe Kapitalismuskritik schnell fest. Der Geldwechsel und das damit im Entstehen verbundene Bankenwesen, welches in Italien im Spätmittelalter seine ersten Gehversuche unternahm, ist seiner Geschichte nach Teufelszeug. Mit der Bankenkritik und seinen sozialen Folgen hatte Goethe gar nicht so Unrecht. Bis ins Millenium hinein hatte die sogenannte Wirtschaftswelt immer wieder mit von Banken verursachte Krisen zurecht kommen müssen. Zuletzt, und bis heute anhaltend, 2008. 2001 gab es infolge der Anschläge auf das World Trade Center eine leichte Abwärtskurve. Sonst aber erwies sich das Börsengeschäft, wie schon im 18. Jahrhundert in der Schweiz, in den Siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts sowie in den Zwanziger und Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts als ein recht kurzlebiges und instabiles System.

Christian Gottlob Frege, gemalt von Anton Graff - um 1780 (Foto: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig)
Christian Gottlob Frege, gemalt von Anton Graff – um 1780 (Foto: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig)

Doch daraus lernte man nur bedingt etwas. In den Siebzigern und Achtzigern setzten sich die Krisen fort. In immer kürzeren Abständen wurde die so genannte Finanzwelt von Krisen gebeutelt. Um da sbegreifbar zu machen, muss man wirklich Volkswirtschaftslehre studiert haben. Letztlich steht die Mehrheit vorm Nichts, und wenige können retten, was zu retten ist. Der gesellschaftliche Trend, wohin es mit den Zunkunftssorgen und -ängsten der Menschen geht, wurde scheinbar immer mehr vom Erfolg des Geldwechsels abhängig gemacht.

Vor diesem Hintergrund die Geschichte der Freges zu betrachten, hat was für sich. Schon im 18. Jahrhundert entschieden Geldflüsse über das Werden und Vergehen eines Staates. Wie heute. Dass das damalige Geschäft auch verschiedene Gesichter und Deutungsmöglichkeiten hat, kann die Ausstellung des Staatsarchivs ans Licht holen. Doch vorrangig haben die Ausstellungsmacher die Familiengeschichte, und vielleicht auch ein wenig Nostalgie im Blick. Erstmals kommen Zeugnisse aus zwei Jahrhunderten Bank- und Familiengeschichte ans Licht, worunter Urkunden, Verträge, Briefe, Karten, Geschäftsbücher und Gemälde fallen. Dass die Freges internationales Parkett betraten, beweisen die für den Geldwechsel in der Messestadt erforderlichen Geschäftsbücher sowie Instruktionen der sächsischen Kurfürsten, Könige und europäischer Herrscher. Die Freges engagierten sich laut Staatsarchiv für Leipzig in besonderer Weise. Sei es 1745 bei der Bezahlung der Kontributionen an Frankreich oder 1807 bei der Finanzierung von Krediten.

Die Ausstellung will wichtige Etappen in der Firmengeschichte nachzeichnen. Im 18. Jahrhundert funktionierte die Vernetzungsarbeit noch über die Heirat. Auch diese Verquickungen will die Ausstellung aufzeigen. Ab Dezember ist die Schau in den Räumen des Sächsischen Staatsarchivs Leipzig zu sehen.