Wagners langer Schatten – Stephan Balkenhols Skulptur in Leipzig

Staphan Balkenhol/Max Klinger, "Richard Wagner", 2013, Goerdelerring (Copyright: Daniel Thalheim)

Von Daniel Thalheim

Zuerst war ich interessiert, neugierig und dann entflammt. Nachdem ich 2011 hörte, dass Stephan Balkenhol die Wagnerskulptur auf den Max-Klinger-Sockel stellen wollte, war ich skeptisch. Passt Gegenwartskunst auf einen vor hundert Jahren behauenen Stein, der ein paar Jahrzehnte im Clara-Zetkin-Park vor sich hingammelte? Nachdem ich nach der Enthüllung des Denkmals auf das Gesamtkunstwerk schaute, war ich überzeugt: es passt!

Von Klinger zu Balkenhol

Da kannte ich aber noch nicht Balkenhols Intention. Doch zurück in die Geschichte geblickt. Im Juni 2011 entschied in Leipzig eine Jury darüber, dass der 1957 in Fritzlar geborene Künstler Stephan Balkenhol das Wagnerdenkmal gestalten darf, welches schon von dem Leipziger Künstler Max Klinger (1857-1920) zur Vollendung geplant war. Schaffte er aber nicht. Nur der Marmorsockel, an dem sich nicht nur Kunstgeschichtsstudenten wegen seiner Ikonographie die Zähne ausbeißen, wurde von ihm fertig gestellt und landete im Clara-Zetkin-Park auf einer Wiese nahe dem Palmengarten in der Nähe des Richard-Wagner-Hains. Dort bekam der behauene Block die Patina, die erst Mythen entstehen lässt. Kein Mythos ist die Wagner-Büste am Schwanenteich hinter der Leipziger Oper. Es zeigt das Porträt des Komponisten, das auf einen Entwurf von Klinger zurückgeht. 1904 stellte er eine aus Marmor geschaffene Büste her, die 1904 bei der Weltausstellung in St. Louis gezeigt wurde. Der Originalgips befindet sich mit zwei Abgüssen im Klinger-Nachlass im Leipziger Museum der bildenden Künste. Einer der beiden Abgüsse war bereits für einen Bronzeguss präpariert. Ein Umstand, der zum Anlass genommen wurde knapp 80 Jahre nach seiner Herstellung, eine Büste herstellen zu lassen. Sie wurde von dem Leipziger Bronzegießereibetrieb „Bronze Noack“ 1982 hergestellt und auf einem Sandsteinsockel montiert 1983 enthüllt. Da stecken hundert Prozent Wagner drin.
Brauchte es nun einen zweiten Wagner? Die Geschichte reicht weiter zurück als wir denken. Max Klinger setzte sich zu Lebzeiten für ein monumentales Wagnerdenkmal ein wie er es auch für das Wiener Secessionsgebäude mit der Beethovenskulptur verwirklichte. Die Nationalsozialisten bemühten sich umsonst, am eigens für ihre hochfliegenden Pläne geschaffenen Richard-Wagner-Hain am Elsterkanal-Ufer ein Wagner-Monument zu errichten. Im Sozialismus war Wagner zunächst umstritten, wurde dann rehabilitiert. Aber nur im Hinterhof der Leipziger Oper bekam er seinen Platz. So offen wollte man den von den Nationalsozialisten verehrten, von Israelis verhassten und Musikgeschmäcker spaltenden Leipziger doch nicht zeigen. War er selbst auch bekennender Antisemit.
2011 stand fest, das Monument kommt – nur weniger monumental als vielleicht ursprünglich gedacht. Schon damals stellte Balkenhol seinen Entwurf vor, wo Wagner als junger Mann in Lebensgröße dargestellt wird, sich hinter ihm aber ein langer schwarzer Schatten des alten Wagners aufbaut. 2013 wurde der Entwurf genauso enthüllt – pünktlich zum Geburtstag des Komponisten am 22. Mai. Wir blicken auf eine bunt angemalte Bronzeskulptur, hinter ihr der vier Meter hohe Bronzeschatten. Unter ihm der Klingersche Marmorsockel.

Stellt sich Balkenhols Bronze der politischen Diskussion um Wagner? (Copyright: Daniel Thalheim)
Stellt sich Balkenhols Bronze der politischen Diskussion um Wagner? (Copyright: Daniel Thalheim)

Nur ein bunter Farbklecks am Ring?

Was will der Künstler uns damit sagen? Gegenüber Deutschlandradio sagte Balkenhol am 21. Mai 2013, dass er mit seiner Bronzeplastik das Visionäre in Wagners Werk zeigen wollte, will aber zugleich seine Plastik auch als Paraphrase auf den damaligen Entwurf von Max Klinger verstanden wissen. So ähnlich hätte auch Max Klinger seine Idee verwirklicht. Balkenhol will nicht, dass Wagners antisemitische Weltanschauung deutlich wird. Er will den Schatten tatsächlich so sehen, der Wagner als Mensch und Visionär zeigt.
Warum nicht? Muss der interpretatorische Rahmen nicht dem Betrachter überlassen werden? Oder den Scharen an Kunsthistorikern, die sich an dem Kunstwerk ergötzen werden?
Balkenhols Werk hätte ein gesellschaftskritisches Denkmal sein können, das sich mit aktuellen Diskussionen um Wagners Schatten beschäftigt. Wagner der Antisemit, Wagner der Frauenhasser, Wagner der Veganer. Von Theodor W. Adorno bis Friedrich Nietzsche, von Franz Liszt bis Thomas Mann, von Johannes Brahms bis Tschaikowski gab es genügend kritisches zu Wagners Musik und seiner Persönlichkeit anzumerken.
Nietzsche verehrte zunächst Wagner als Neuerer der Kunst. Sein Verhältnis zum Komponisten änderte sich schnell als er sagte: „Denn der Parsifal ist ein Werk der Tücke, der Rachsucht, der heimlichen Giftmischerei gegen die Voraussetzungen des Lebens, ein schlechtes Werk. – Die Predigt der Keuschheit bleibt eine Aufreizung zur Widernatur: Ich verachte jedermann, der den Parsifal nicht als Attentat auf die Sinnlichkeit empfindet.“
Spannungsreich auch das Verhältnis des ungarischen Komponisten Franz Liszt zu Richard Wagner. Zuletzt sah Liszt in Wagners Werk doch etwas „Übermenschliches“.
Der Schriftsteller Thomas Mann konnte sich dem „Rauschhaften“ in Wagners Musik ebenso wenig entziehen, setzte sich aber kritisch mit dessen Persönlichkeit auseinander, die er untrennbar mit dessen Werk verflochten sah.
Tiefenpsychologe Josef Rattner sah in Wagners Antisemitismus einen verquasten Minderwertigkeitskomplex und auch als Kalkül, sich einer gewissen „Aristokratie“ zugehörig fühlen zu müssen. Dabei ließ Wagner sich von jüdischen Komponisten wie Felix Mendelssohn Bartholdy musikalisch inspirieren. Ein Widerspruch.
Im Hinblick auf Hermann Nitschs Orgien-Mysterien-Theater, das im Juni 2013 in Leipzig aufgeführt wird, darf ein anderer Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Wenn der österreichische Künstler Hermann Nitsch schon Tiere für seine Dionysien schlachten und ausweiden lässt, darf auch ein anderer antisemitischer Blick Wagners nicht vergessen werden. Für Wagner war Vegetariertum nicht nur eine Frage des Tierschutzes, sondern auch Ausdruck einer Moral. So wird es zumindest in dem Artikel „Understanding Nazi Animal Protection and the Holocaust“ erklärt. Schächtung und Vivisektion seien so laut Wagner „Ausdruck einer Jüdischen Medizin“.
Dahingehend macht Hermann Nitsch nichts falsch, kehrt Wagners Moralvorstellungen in seinem Mysterientheater geradezu um.
Wagners Schatten kann auch historisch interpretiert werden. Wie und von wem wurde seine Musik benutzt, ausgeschlachtet und missbraucht? Nationalsozialismus auch nach 70 Jahren seines Falls immer noch ein Thema in der Diskussion um Richard Wagners Werk. Nicht zuletzt durch die Nähe von Winifred Wagner zu den Nationalsozialisten und vor allem ihren Apologeten wie Adolf Hitler.
Es gibt auch andere Tendenzen. Daniel Barenboims Aufführung des „Tristan“-Vorspiels in Israel sorgte für eine Kontroverse, die aber laut einem Spiegel-Interview mit dem Dirigenten klein ausfiel. Er sagte, dass Wagners Musik nicht ideologisch ist, aber Wagner durchaus Antisemit war, seine Musik jedoch nicht. Wagner könne nichts für die Instrumentalisierung durch die Nationalsozialisten.

Diskutiert nur mit Wagners Musik und Klingers Farbästhetik der Antike - Balkenhols Bronze am Goerdelerring (Copyright: Daniel Thalheim)
Diskutiert nur mit Wagners Musik und Klingers Farbästhetik der Antike – Balkenhols Bronze am Goerdelerring (Copyright: Daniel Thalheim)

Das Verhältnis der Israelis zu Wagner ist entspannt, meinte auch Dr. Thomas Feist (MdB, CDU) am 23. Mai 2013 bei der durch die Leipziger Initiative „Leipzig macht Musik“ im Werk II durchgeführten Diskussionsrunde. Auch Journalist Peter Korfmacher (LVZ) sieht Wagner in einem ruhigen Licht. Dennoch könne man Wagner nicht von seinen politischen Äußerungen trennen. Der Mensch Wagner bleibt auch so untrennbar mit seinem Werk verbunden. Denn welches Vorbild gibt ein Komponist für die Kinder ab, wenn seine politischen Ansichten unvereinbar mit dem Grundgesetz sind, fragen beide. Wagner ist aktuell wie eh und je, wenn auch so mancher Lehrer seinen Schülern nur die halbe Wahrheit nahebringt.
Von dieser Debatte scheint Balkenhols Denkmal sich merkwürdigerweise nicht zu entziehen, wenn der Künstler auch gegenzusteuern versucht. Eigentlich enttäuschend, dass ein Gegenwartskünstler zu aktuellen Diskussionen keine Stellung bezieht. Während Künstler wie Jörg Immendorf, A. R. Penck, Gerhard Richter und Sigmar Polke stets ihr Werk im gesellschaftlichen Kontext sahen, scheint Balkenhols Arbeit lediglich auf dem Sockel der Ästhetik zu verharren. Ein Symptom unserer Zeit? Denn ohne die Diskussion bleibt Balkenhols Arbeit auf dem Klingersockel nur ein bunter Klecks am Goerdelerring.

Der Wagner-Denkmalsblog

Autor: Daniel Thalheim

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