Leipzig um 1900 – Warum das Schiller-Denkmal zu neuem Leben erweckt wird

Derzeit wird in Leipzig ein Denkmal restauriert, das womöglich zur späten Blüte des Leipziger Sezessionsstils gehört. Was es dabei auf sich hat, wer der Bildhauer Johannes Hartmann war und wie das Schiller-Denkmal einzuordnen ist, versucht folgender Beitrag ein wenig zu beleuchten.

Von Daniel Thalheim

Die Stadtverwaltung von Leipzig weiß, was dem Schiller-Denkmal im vergangenen Jahr angetan wurde. Die 1914 von August Schmiemann nach Entwürfen von Johannes Hartmann geschaffene Skulptur aus Laaser Marmor wurde Opfer von Vandalismus. Schiller stand nun da, verschmiert und ohne Nase. Dank der Bereitstellung von Fördermitteln der Landesdirektion Sachsen, eingegangener Spenden und Mitteln der Stadt Leipzig kann das Jugendstil-Meisterwerk seit Anfang Juli 2018 restauriert werden. Die Gesamtkosten der Maßnahme betragen nach Auskunft des Leipziger Kulturamts rund 12.000 Euro. Die Maßnahme soll schon im Oktober desselben Jahres beendet sein.

Ergebnis einer bürgerlichen Stiftung – Das Schiller-Denkmal in Leipzig

1905 war das 100. Todesjahr des zweiten großen Dichterfürsten neben Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832). Friedrich Schiller (1759-1805) gilt als der zweite Hauptvertreter der Literatur des Sturm und Drang und der Weimarer Klassik. Anlässlich dieses Ereignisses wurden auch in Dresden und Leipzig Schiller-Denkmäler in Auftrag gegeben und errichtet. Zwar wurden bereits vor dem Ereignisjahr schon Schiller-Denkmäler, mal Solo und mal mit Goethe, auf den Sockel gehoben. Zum Einhundertsten scheint so eine skulpturale Huldigung doch schon etwas besonderes zu sein.

Das Schillerdenkmal in Leipzig, historische Postkartenaufnahme (Copyright frei)
Das Schillerdenkmal in Leipzig, historische Postkartenaufnahme (Copyright frei)

In Dresden befand sich schon zu diesem Zeitpunkt ein Denkmal aus zwei sitzenden Figuren von Ernst Friedrich August Rietschel (1804-1861). Doch der Wunsch, in Dresden-Neustadt ein Solo-Denkmal für Schiller zu errichten, war 1905 groß. Hat der Dichter aufgrund des Mäzenats des Schriftstellers und Herausgebers Christian Gottfried Körner (1756-1831) eine sorglose und glückliche Zeit in direkter Nachbarschaft, in Dresden-Loschwitz, verlebt. Ein Schillerhäuschen zeugt noch von seinem Aufenthalt von 1785 bis 1787.
Auch in Leipzig hielt Friedrich Schiller sich 1785 auf. Im Vorort und heutigen Stadtteil Gohlis schrieb er das Gedicht „An die Freude“, das der Komponist Ludwig van Beethoven (1770-1827) für seine 9. Sinfonie verwendete und so zur weltweiten Berühmtheit wurde. Der klassizistische Bildhauer Johann Friedrich Dannecker (1758-1841) schuf zwischen 1793 und 1805 mehrere Schiller-Büsten. Seine Arbeiten und die Totenmaske des Dichters dürften die Hauptquellen für die Skulpteure der Jahrhundertwendezeit gewesen sein, auch für die in Leipzig. In Jena steht eine Bronzekopie von einer seiner Arbeiten.
Nach der Ausschreibung des Denkmals 1905 gründete der Leipziger Germanist und Literaturforscher sowie Vorsitzender des Leipziger Schillervereins Georg Witkowski (1863-1939) 1906 einen Denkmalsausschuss. Für das Leipziger Denkmal stand ein Stiftungsgeld von 20.000 RMk (heute rd. 271.000 EUR) bereit. Ein, mit einer Ausstellung begleiteter, Wettbewerb, dem der Leipziger Sezessionskünstler Max Klinger vorstand, wurde 1912 durchgeführt. 33 Einreichungen gelangten in die Hände der Jury. Das Modell des Leipziger Bildhauers Johannes Hartmann (1869-1952) wurde aus den anderen Entwürfen prämiert. Ausgeführt wurde die Skulptur allerdings vom in Leipzig lebenden Münsteraner Bildhauer August Schmiemann jnr. (vermutl. 1846-1927). Bis zum 9. Mai 1914 konnte das Denkmal fertiggestellt und im Leipziger Lenné-Park aufgestellt werden. Georg Witkowski hielt die Weihe-Rede. Das Denkmal selbst sorgte aber wegen der nackten allegorischen Figuren für eine Kontroverse, die jedoch im Ersten Weltkrieg unterging. Die Skulptur wurde, wie das zeitgleich in Dresden entstandene Werk, aus Laaser Marmor geschaffen. Die Konkurrenz zu Johannes Hartmann bildete das Who-Is-Who der Leipziger Bildhauer.

Von der Idee des Schillerhains im Lenné-Park und warum Leipzig vor hundert Jahren am Puls der Kunst war

Unter den 33 Einreichungen befanden sich viele Ideen, die scheinbar den Gedanken eines Andachthains für den Dichterfürsten aufgegriffen hatten. Wir wissen, dass neben dem prämierten Entwurf noch vier zweite Preise verteilt wurden. Programmvorschriften und Ideenkonkurrenz soll es nicht gegeben haben. So erblickten die Leipziger während der Wettbewerbsausstellung 1912 auf eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie der Abschnitt, wo das heutige Schiller-Denkmal steht, zu gestalten sei. Der konventionelle Typus des Schillerstandbilds auf einem Sockel als Ganzfigur trat dabei zurück.
Stattdessen blickten die Leipziger auf entworfene Schiller-Anlagen aus Brunnen, Tempeln und Säulen. Offenbar versuchten die untereinander konkurrierenden Künstler eine Art Gedenkstätte zu schaffen, wo der Betrachter gern verweilen will. Dass dies wohl dem späteren Klinger-Nachlassverwalter Johannes Hartmann gelungen ist, scheint auch an seinen Fürsprecher Max Klinger gelegen haben. Hartmann entwickelte ebenfalls das von Max Klinger entworfene und anfangs geschaffene Postament des Richard-Wagner-Denkmals weiter, das der 2013 verwirklichten Skulptur von Stephan Balkenhol als Basis dient. Schon damals war das Wagner-Denkmal als Kolossalskulptur in den Parkanlagen zwischen dem Neubau des „Alten Theaters“ und der Matthäi-Kirche auf einem Stufenaufbau geplant – so ist es auch heute. Auch dass das Leipziger Kulturamt für die Restaurierung des Schiller-Denkmals für private Gelder wirbt, zeugt noch vom Geist der bürgerlichen Idee, die Messestadt aktiv zu gestalten.
Dass das seit über 100 Jahren bestehende Schiller-Denkmal im Lenné-Park die Umgebungsnatur der Parkanlage für einen Schillerhain geschaffen hat dürfte das Ansinnen von Max Klinger und Johannes Hartmann gewesen sein. Nicht nur damals war der Ort ein Magnet für Leipziger und auch für Touristen. Heute gilt die Arbeit von Johannes Hartmann und August Schmiemann als wichtiges Werk der Leipziger Sezession, die in Bezug auf Innenraumgestaltungen und Bauplastiken noch starke Bezüge zum französischen Art Nouveau aufweist, aber auch – wenn es um das von Johannes Hartmann entworfene Möbeldesign dieser Zeit geht – Entwicklungen der englisch-schottischen Arts & Crafts-Bewegung im Sinne der Werkbundbewegung aufgreift und eine für Leipzig typische Ausprägung in die Moderne weiterführt. Leipzigs Künstler legten ihre Finger an den Puls der damaligen Zeit. Internationale Kunst der Klassischen Moderne war bei den Leipziger Jahresausstellungen vertreten. An der damaligen Kunstakademie kursierten japanische Farbholzschnitte und dürften so auch grafisch und malerisch einen großen Eindruck hinterlassen haben. Die Medailleurs- und Skulpteurskunst stand hoch im Kurs, die grafischen Disziplinen und die ex-libris-Kunst erlebten ihre Blüte. Doch seltsamerweise scheint die Kunst bis auf wenige Ausnahmen dieser Zeit aber auch bis 1945 in einer konservativen Starre verharrt gewesen zu sein.

Völkerschlacht in Leipzig: Ein Dichter auf Stippvisite

Theodor Körner, Ölgemälde von Dora Stock (1759 - 1832)
Theodor Körner, Ölgemälde von Dora Stock (1759 – 1832)

Daniel Thalheim

Haben wir gelacht! Im Deutschunterricht lasen wir einiges von dem Mann, den Generationen von Deutschen als Vaterlandsdichter verehrten. Eichenlaub umkränzter Kitsch, Pathos und Schwulst Theodor Körners waren die andere Seite der deutschen Romantik. Der junge Mann unterscheidet sich krass von den anderen Schriftstellern seiner Zeit.

Instrumentalisiert und zweckentfremdet

Theodor Körner (1791 – 1813) gilt heute vielmehr als Unikum und Relikt. Früher war das anders. Sein Leben als Lützower Jäger galt bis ins frühe 20. Jahrhundert Beispiel für ein echtes Mannsbild. Einer seiner umgedichteten Verse riss tausende Menschen während Joseph Goebbels Sportpalastrede von den Sitzflächen. Für Sport begeisterten sie sich nicht. Eher für Sprachgewalt. Körners Kampfgedichte wurden oft instrumentalisiert. Stand er aber einem liberalen Geist offen gegenüber. Nahm er Napoleons Hegemonie über Europa als Unterdrückung wahr. Von Rechtsradikalismus und Eroberungszügen in seinen Versen keine Spur. Seine Gedichte werden von einem freiheitlicher Faden durchzogen.

Auf der anderen Seite: an keiner Stelle wird in Körners Werk der zerrüttete oder zweifelnde Geist der Romantik spürbar, den wir von E.T.A. Hoffmann, Clemens Brentano, Novalis und Friedrich Hölderlin kennen.
Noch bevor Theodor Körner sich einen Namen als Freiheitsdichter machte, korrespondierte er mit dem Komponisten Ludwig van Beethoven über ein Libretto. Beethoven plante bereits 1812 eine Oper mit dem Titel „Ulysses‘ Heimkehr“. Aus der Oper wurde nichts. Dafür veröffentlichte der Jüngling, der in den besten Künstlerkreisen seiner Zeit agierte, weitere Stücke. Posthum kam noch mehr. Körners Werk passt trotz seiner kurzen Lebensspanne auf knapp eintausend Seiten. Fließbandarbeit.

Der vergessene Superstar

Ein Wochenblatt titelte im September 2013, dass Theodor Körner der Superstar verschiedener Zeiten gewesen war. Die Legende von den Lützower Jägern, auf dessen Uniformfarben und Applikationen die schwarz-rot-goldene Fahne der Bundesrepublik zurück geht, ließ Generationen nicht los. Im Vormärz war das so, erst recht bei den Reichseinigungskriegen und noch bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg schillerte der 1791 in Dresden geborene Sohn des Oberappellationsgerichtsrats Christian Gottfried Körner auf den Schreibtischen und in den Köpfen von Burschenschaftlern, NVA-Soldaten und Germanisten umher. Heute sind seine Dramen und Lieder nahezu in Vergessenheit geraten. Zu recht, würden wir heute sagen. Wenn auch seine Stücke am Wiener Burgtheater aufgeführt wurden, so bilden sie aus unserer Sicht nichts anderes ab als lustspielenden Kitsch.

Dem Schwulst erlegen

Im Nachgang verehrten ihn ganz andere Menschen. Eine „Vaterländische Oper“ – was soll das sein? So springt uns die Überschrift in Wendelin Weißheims Opernabdruck „Des Königs Aufruf“ ins Auge, wo die Leipziger Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters dem Freiheitsdichter eine Rolle neben Adolf von Lützow andichtete und so wohl auch zu seiner Legende beitrug. Die Mitbegründerin der bürgerlichen deutschen Frauenbewegung war der martialischen und schwülstigen Sprache Körners genauso erlegen wie jeder andere Deutsche in jener Zeit als die Oper 1863 wie andere viele Publikationen zum 50. Jubiläum der Völkerschlacht entstand.

Sozialistische Traditionspflege

2013 feiert der Freiheitsdichter gleichzeitig mit dem Völkerschlachtsjubiläum seinen 200. Todestag. In den heutigen Buchgeschäften findet sich nichts vergleichbares über ihn. Auch nichts kritisches. Veranstaltungen? Fehlanzeige! Körners Werk liegt vergessen in den Bibliotheken. Wer in wissenschaftliche Publikationen über den uniformierten Dichter schauen will, muss lange suchen. Der Suchende wird von Gesamtausgaben und Spezialveröffentlichungen erschlagen, die kurz nach Körners Tod einsetzen und wellenartig bis in die Nazi-Zeit auftauchen. Vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchsen die Publikationen um den Freigeist zu dem Berg an, der heute in den Buchregalen verstaubt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird’s still um den einst so beliebten Schriftsteller. Außer in der DDR-Armee „NVA“. Dort setzte ab 1970 die Traditionspflege mit dem Theodor-Körner-Preis der DDR ein. Für Kulturpflege im sozialistischen Kampf gegen den Klassenfeind. Die Schauspieler Erwin Geschonneck, Armin Mueller-Stahl, Helga Göring, Fred Delmare, der Autor Jan Flieger und der Maler Bernhard Heisig haben ihn erhalten. Der Preis hat nichts mit dem Theodor-Körner-Fonds zu tun, benannt nach dem gleichnamigen Bundespräsidenten Österreichs. Obwohl der Politiker ein Großneffe des Dichters war.

Unsingbare Lieder im traditionspflegerischen Schummerlicht

Körners „Freiheitslieder“ erscheinen heute nichts anderes als polemische Martial-Art gegen den französischen Feind. Seine Trinklieder eigentlich unsingbar. Seine Erzählungen wuchern sprachlich in alle Richtungen. Heute sehen wir in dem jungen Mann, der im Alter von 22 Jahren in einem unbedeutenden Scharmützel im August 1813 fiel, einen Heißsporn, dem die Sturm-und-Drang-Phase von Friedrich Schiller zu Kopf stieg. Vor hundert Jahren sah das Bild von dem schnauzbärtigen Lockenkopf in der schwarzen Uniform der „Lützower“ ganz anders aus. Das von Ernst Julius Hähnel geschaffene Körnerdenkmal in Dresden gibt beredtes Zeugnis ab, wie hoch der Sockel war auf den Körner und sein Werk gestellt wurde. Der Dichter in Militäruniform, wehendem Mantel, mit gezücktem Schwert und Papierrolle bewaffnet. Der Titel seines Gedichtbandes „Leier und Schwert“ verkörpert in der Skulptur seine Person.
In Leipzig erinnern eine Grundschule, eine Kaserne, eine Plakette, ein Platz und eine Straße an den Mann, der von der Leipziger Universität flog, weil er sich mit Adeligen schlagen wollte. Ein Körnergedenkstein am Dittrichring existiert noch, um an sein Kurzaufenthalt in der Messestadt zu erinnern. Ein Körnerhaus im Stadtteil Großzschocher können geschichtsinteressierte Leute noch immer betreten. Bundesweit findet Körner in zahlreichen Gedenkorten seinen Wiedergang. Um 1900 wurden in Vereinen und Burschenschaften noch Körnerfeiern abgehalten. Heute scheint sein Werk noch wenige zu begeistern. In Uniform und mit Lesebüchern bewaffnet werden im Körnerhaus in Großzschocher bei schummrigen Licht die Kampflieder vortragen. Dort, wo Körner einst eine Stippvisite abhielt. An diesem Ort wurde der Dichter gepflegt als er eine Kopfwunde erlitt.