Völkerschlacht in Leipzig: Ein Dichter auf Stippvisite

Theodor Körner, Ölgemälde von Dora Stock (1759 - 1832)
Theodor Körner, Ölgemälde von Dora Stock (1759 – 1832)

Daniel Thalheim

Haben wir gelacht! Im Deutschunterricht lasen wir einiges von dem Mann, den Generationen von Deutschen als Vaterlandsdichter verehrten. Eichenlaub umkränzter Kitsch, Pathos und Schwulst Theodor Körners waren die andere Seite der deutschen Romantik. Der junge Mann unterscheidet sich krass von den anderen Schriftstellern seiner Zeit.

Instrumentalisiert und zweckentfremdet

Theodor Körner (1791 – 1813) gilt heute vielmehr als Unikum und Relikt. Früher war das anders. Sein Leben als Lützower Jäger galt bis ins frühe 20. Jahrhundert Beispiel für ein echtes Mannsbild. Einer seiner umgedichteten Verse riss tausende Menschen während Joseph Goebbels Sportpalastrede von den Sitzflächen. Für Sport begeisterten sie sich nicht. Eher für Sprachgewalt. Körners Kampfgedichte wurden oft instrumentalisiert. Stand er aber einem liberalen Geist offen gegenüber. Nahm er Napoleons Hegemonie über Europa als Unterdrückung wahr. Von Rechtsradikalismus und Eroberungszügen in seinen Versen keine Spur. Seine Gedichte werden von einem freiheitlicher Faden durchzogen.

Auf der anderen Seite: an keiner Stelle wird in Körners Werk der zerrüttete oder zweifelnde Geist der Romantik spürbar, den wir von E.T.A. Hoffmann, Clemens Brentano, Novalis und Friedrich Hölderlin kennen.
Noch bevor Theodor Körner sich einen Namen als Freiheitsdichter machte, korrespondierte er mit dem Komponisten Ludwig van Beethoven über ein Libretto. Beethoven plante bereits 1812 eine Oper mit dem Titel „Ulysses‘ Heimkehr“. Aus der Oper wurde nichts. Dafür veröffentlichte der Jüngling, der in den besten Künstlerkreisen seiner Zeit agierte, weitere Stücke. Posthum kam noch mehr. Körners Werk passt trotz seiner kurzen Lebensspanne auf knapp eintausend Seiten. Fließbandarbeit.

Der vergessene Superstar

Ein Wochenblatt titelte im September 2013, dass Theodor Körner der Superstar verschiedener Zeiten gewesen war. Die Legende von den Lützower Jägern, auf dessen Uniformfarben und Applikationen die schwarz-rot-goldene Fahne der Bundesrepublik zurück geht, ließ Generationen nicht los. Im Vormärz war das so, erst recht bei den Reichseinigungskriegen und noch bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg schillerte der 1791 in Dresden geborene Sohn des Oberappellationsgerichtsrats Christian Gottfried Körner auf den Schreibtischen und in den Köpfen von Burschenschaftlern, NVA-Soldaten und Germanisten umher. Heute sind seine Dramen und Lieder nahezu in Vergessenheit geraten. Zu recht, würden wir heute sagen. Wenn auch seine Stücke am Wiener Burgtheater aufgeführt wurden, so bilden sie aus unserer Sicht nichts anderes ab als lustspielenden Kitsch.

Dem Schwulst erlegen

Im Nachgang verehrten ihn ganz andere Menschen. Eine „Vaterländische Oper“ – was soll das sein? So springt uns die Überschrift in Wendelin Weißheims Opernabdruck „Des Königs Aufruf“ ins Auge, wo die Leipziger Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters dem Freiheitsdichter eine Rolle neben Adolf von Lützow andichtete und so wohl auch zu seiner Legende beitrug. Die Mitbegründerin der bürgerlichen deutschen Frauenbewegung war der martialischen und schwülstigen Sprache Körners genauso erlegen wie jeder andere Deutsche in jener Zeit als die Oper 1863 wie andere viele Publikationen zum 50. Jubiläum der Völkerschlacht entstand.

Sozialistische Traditionspflege

2013 feiert der Freiheitsdichter gleichzeitig mit dem Völkerschlachtsjubiläum seinen 200. Todestag. In den heutigen Buchgeschäften findet sich nichts vergleichbares über ihn. Auch nichts kritisches. Veranstaltungen? Fehlanzeige! Körners Werk liegt vergessen in den Bibliotheken. Wer in wissenschaftliche Publikationen über den uniformierten Dichter schauen will, muss lange suchen. Der Suchende wird von Gesamtausgaben und Spezialveröffentlichungen erschlagen, die kurz nach Körners Tod einsetzen und wellenartig bis in die Nazi-Zeit auftauchen. Vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchsen die Publikationen um den Freigeist zu dem Berg an, der heute in den Buchregalen verstaubt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird’s still um den einst so beliebten Schriftsteller. Außer in der DDR-Armee „NVA“. Dort setzte ab 1970 die Traditionspflege mit dem Theodor-Körner-Preis der DDR ein. Für Kulturpflege im sozialistischen Kampf gegen den Klassenfeind. Die Schauspieler Erwin Geschonneck, Armin Mueller-Stahl, Helga Göring, Fred Delmare, der Autor Jan Flieger und der Maler Bernhard Heisig haben ihn erhalten. Der Preis hat nichts mit dem Theodor-Körner-Fonds zu tun, benannt nach dem gleichnamigen Bundespräsidenten Österreichs. Obwohl der Politiker ein Großneffe des Dichters war.

Unsingbare Lieder im traditionspflegerischen Schummerlicht

Körners „Freiheitslieder“ erscheinen heute nichts anderes als polemische Martial-Art gegen den französischen Feind. Seine Trinklieder eigentlich unsingbar. Seine Erzählungen wuchern sprachlich in alle Richtungen. Heute sehen wir in dem jungen Mann, der im Alter von 22 Jahren in einem unbedeutenden Scharmützel im August 1813 fiel, einen Heißsporn, dem die Sturm-und-Drang-Phase von Friedrich Schiller zu Kopf stieg. Vor hundert Jahren sah das Bild von dem schnauzbärtigen Lockenkopf in der schwarzen Uniform der „Lützower“ ganz anders aus. Das von Ernst Julius Hähnel geschaffene Körnerdenkmal in Dresden gibt beredtes Zeugnis ab, wie hoch der Sockel war auf den Körner und sein Werk gestellt wurde. Der Dichter in Militäruniform, wehendem Mantel, mit gezücktem Schwert und Papierrolle bewaffnet. Der Titel seines Gedichtbandes „Leier und Schwert“ verkörpert in der Skulptur seine Person.
In Leipzig erinnern eine Grundschule, eine Kaserne, eine Plakette, ein Platz und eine Straße an den Mann, der von der Leipziger Universität flog, weil er sich mit Adeligen schlagen wollte. Ein Körnergedenkstein am Dittrichring existiert noch, um an sein Kurzaufenthalt in der Messestadt zu erinnern. Ein Körnerhaus im Stadtteil Großzschocher können geschichtsinteressierte Leute noch immer betreten. Bundesweit findet Körner in zahlreichen Gedenkorten seinen Wiedergang. Um 1900 wurden in Vereinen und Burschenschaften noch Körnerfeiern abgehalten. Heute scheint sein Werk noch wenige zu begeistern. In Uniform und mit Lesebüchern bewaffnet werden im Körnerhaus in Großzschocher bei schummrigen Licht die Kampflieder vortragen. Dort, wo Körner einst eine Stippvisite abhielt. An diesem Ort wurde der Dichter gepflegt als er eine Kopfwunde erlitt.