Im Geiste von Auguste Rodin – Was im Klingerjahr 2020 auf die Leipziger zukommt

Von Daniel Thalheim

Ein Rechtsstreit öffnet den Blick für die Leipziger Kunst vor 1945

Ein Rechtsstreit um zwei Skulpturen aus der Zeit des deutschen Sezessionimus sorgte seit 2015 für Öffentlichkeit. Der Vorgang öffnet aber wieder den Blick auf ein Leipziger Kunsttreiben, das vor dem Ersten Weltkrieg stattfand. Der Sohn des früheren Direktors des Leipziger Zoologischen Gartens, Johannes Gebbing, wollte sie per Klage aus dem Besitz der Stadt Leipzig entreißen. Nun bleiben „Jason und die Stiere des Aietes“ von Walter Lenck sowie der „Athlet“  von Max Klinger im Besitz der Stadt und an ihren Standorten im Leipziger Zoo. Denn der Kläger hat seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision vor dem Bundesgerichtshof zurückgenommen. Mit diesem Rückzug ist das zweitinstanzliche Urteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 26. Oktober 2018 und das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Leipzig vom 18. Mai 2018, nach denen die Stadt Leipzig als Beklagte gegen die Herausgabeklage bereits obsiegt hatte, rechtskräftig. Der Weg ist so auch frei für eine Leistungsschau über einen Künstler und sein Umfeld geworden. 2020 jährt sich der Tod des Allrounders Max Klinger zum hundertsten Mal. Er verband, wie andere Sezessionisten in Europa um 1900, Architektur, Malerei und Grafik zu einem Gesamtkunstwerk. Das Museum der bildenden Künste geht anlässlich seines Todes in die Tiefen seines Gesamtschaffens und hebt einige Schätze, die ein umfassendes Bild des Leipziger Netzwerkers und Förderers zeichnen sollen als bisher getan. Was können Leipziger 2020 im MdbK erwarten?

Klingers Athlet – Sinnbild für künstlerische Ausgewogenheit

Zurück zum Zoo. Beide Kunstwerke, um die sich in der letzten Zeit Anwälte und Gerichte kümmerten, sind nicht nur denkmalgeschützt und wegen ihrer Präsenz allein wertvoll. Die Bronzen sind auch kunsthistorisch sehr interessant. Sie stehen wegen ihres Einfrierens von Kraft, Bewegung und Ausdruck ganz dem Geist des französischen Bildhauers Auguste Rodin nahe. Er gilt als ein Bildhauer, der „impressionistisch“ arbeitete, Skulpturen auch mal unvollendet ließ. 

Klingers "Athlet" existiert in zwei Versionen. Die des knieenden Athleten ist die zweite Fassung. (Foto: Screenshot by Artefakte 2019)
Klingers „Athlet“ existiert in zwei Versionen. Die des knieenden Athleten ist die zweite Fassung. (Foto: Screenshot by Artefakte 2019)

Das Unfertige und Unvollendete erhob Auguste Rodin zum künstlerischen Prinzip und findet v.a. in der Skulptur Max Klingers seine Entsprechung. Klingers, vielleicht entstandenes 1901 und 1932 durch den Zoo Leipzig erworbenes, Werk – eine Bronze-Studie eines Athleten – gilt in der Kunstwissenschaft als Fixierung einer Skizze. Noch viel stärker trifft dieses Urteil auf sein Erstlingswerk zu, das heute im Besitz des Museums der bildenden Künste ist und einen stehenden Athleten zeigt, der beide Hände im Nacken ineinanderfaltet und so eine „Bodybuilder-Pose“ einnimmt.

In der 2007 erschienenen Schrift „Max Klinger: auf der Suche nach dem neuen Menschen“ wird die These aufgestellt, Klingers Athletenbüsten um 1900 seien Darstellungen von Kraft und Schönheit. Bekannt ist, dass der Künstler mit athletischen Modellen arbeitete und sie auch die Kunstwerke begutachten ließ. In einem 1919 erschienenen Buch von Willy Pastor wird sogar davon gesprochen, Klinger habe lediglich ausgefeilte Erfahrungen als Bildner weiblicher Akte besessen, nicht des männlichen Körpers. So wären demzufolge alle seine Athletenskulpturen „Beispiele unvollendeten Könnens“. 

Die sich im MdbK befindende Zweitfassung des stehenden „Athleten“ ist ein Teil einer Figurengruppe mit einer dazu gestellten Frau, die bereits 1899 von Klinger konzipiert wurde und zum Mittelpunkt einen Zirkusdarsteller hat. Sie wurde 1901 fertiggestellt u.a. auch auf der Großen Sezessionsausstellung 1902 in Wien u.a. zusammen mit dem Beethoven und einer Mädchenbüste gezeigt.

Klinger – der Zweifler

Besaß Klinger eine unterschwellige Homophobie? Oder nahm Klinger lediglich einen um 1900 aufkommenden Trend der Bodybuilder-Wettbewerbe auf, wie es der englische Bildhauer Charles Lewes seinerzeit getan hatte? Die Literatur strotzt nur von Verweisen auf den Bodybuilder-Trend und der Reformidee des Nacktseins in der Natur. Somit löste sich der zart nach Frühling und Sommer duftende Geist des Impressionismus in einer Testosteron geschwängerten Wolke aus Angst vorm Männerkörper, bzw. Unbehagen ihn darzustellen in Mischung mit einer Mode, den von Muskelschwellungen gestählten Männerkörper stärker in den Fokus des Interesses zu rücken. In vielen Kunstwerken des Art Nouveau sehen wir karikaturenhaft geschnittene Muskelberge mit breitem Kinn und scharf gezogenen Gesichtszügen – als würden die dargestellten Männer in Angriff übergehen. Klinger arbeitete verhaltener, überspitzte nur selten und ließ in Leipzig ein wenig den hormongestählten Druck aus seinen Plastiken ab, zeigte in seinen Skulpturen auch die körperliche – und vielleicht auch geistige – Schwäche, die in dem ganzen Image des Körperkultes zugrunde liegt. So gesehen, wäre Klinger ein typischer Vertreter der Klassischen Moderne, der seine Zweifel und Unsicherheiten in seinem Werk zum Ausdruck brachte.

Klingers Grabstätte schmückt noch heute die lebensgroße Bronzeplastik eines knienden Athleten – ein Pendant des Standbildes im Leipziger Zoo. Für die Figur soll nach Angaben des MdbK der Berufsathlet Lionel Strongfort Modell gestanden haben, der zu jener Zeit als „moderner Herkules“ mit kraftakrobatischen Vorführungen weltweit in Varietés auftrat. Um den Jahreswechsel 1900/01 hatte er auch im Leipziger Krystallpalast Station gemacht, einer der größten Vergnügungsstätten in Deutschland.

Die Bronzefigur dieses knienden Athleten und weitere Athletendarstellungen ließen Klinger in eine neue Schaffensphase treten, in der er sich als Bildhauer, wie Auguste Rodin vor ihm auch, intensiv mit der lebensgroßen Aktfigur auseinandersetzte. Ein zentraler kulturhistorischer Aspekt der Lebensreformbewegung um 1900 war die Herausbildung eines neuen Verhältnisses zum Körper, das sich einschneidend auf künstlerisch-ästhetische Fragen auswirkte und diese mit der griechisch-antiken Mythologie verknüpfte.

Lenck, Stuck und Kolbe: Lauter Athletenleiber – Kraft durch Muskeln?

Wie Walter Lenck gehört Klinger aber auch zu den Künstlern, die die griechische Antike und Mythologie zur Geltung bringen wollten. Lenck, im Gegensatz zum Leipziger Symbolisten, übertrieb seine Ausdruckskraft so sehr, dass sich 1928 der Leipziger Grafiker Max Schwimmer zur Aussage hinreißen ließ, bei der Jason-Gruppe, eine 1927 für 20.000 RM erworbene und 1928 erfolgte Schenkung des Leipziger Händlers Otto Schultz an den Leipziger Zoo, handele es sich um monumentalen Kitsch. Ein Blick in die Dresdner Kunstausstellung 1903/04 und in die Berliner Künstlerbund-Ausstellung 1905 reicht aber schon, woher die intensive Beschäftigung mit dem menschlichen Körper unter den Nazis kam und die Überhöhung des Körpers zwischen 1933 und 1945 so populär war. Vor dem Ersten Weltkrieg war der Männerakt Sinnbild für Kraft und Leben geworden. Künstler wie Franz Metzner, Bruno Heroux, Georg Kolbe, Carlo Fontana, C.A. Niehaus, Franz Stuck und Sascha Schneider stellten das Maskuline in den Mittelpunkt ihres Schaffens, oftmals mit einem Auge in die Zukunft gerichtet. Vieles von dem, was diese Künstler vor dem Ersten Weltkrieg schufen, kam unter den Nazis zu einer neuen Blüte.

Was vom Klingerjahr 2020 im MdbK zu erwarten ist

Klingers plastisches Werk gilt, bis auf wenige Gesamtdarstellungen, in der Fachwelt als nahezu unerschlossen. Einige Werke sind über 20 Jahre alt, andere haben über zehn Jahre auf dem Buckel. Innerhalb dieses Zeitraums sind die Erkenntnisse über sein bildnerisches Schaffen mit Sicherheit gewachsen, wie künftig die große Klingerausstellung im MdbK zeigen wird. Doch nicht nur die Form war für den Künstler interessant. Zum plastischen Werk gehört auch Klingers Experimentieren mit der Farbplastik als Aufgreifen und Weiterentwickeln der griechische Antike. 

Ändern wird sich der Blick auf ihn und sein Gesamtkunstwerk mit der kommenden Ausstellung im Museum der bildenden Künste in Leipzig. Besucher der Klinger-Ausstellung dürfen erwarten, dass der alte Klinger-Saal der ehemaligen Apsis am Vorgängerbau am Augustusplatz vielleicht in digitaler Form rekonstruiert wird und so ein erfahrbarer Ruf aus der Vergangenheit des MdbK ist, als das Museum an der Stelle des heutigen Gewandhauses noch mit Gaslampen beleuchtet wurde, die verzinkten Dächer die Räume im Sommer stark aufheizten und im Winter stark abkühlten. An den 1902 begonnenen Planungen der grün-blau gehaltenen Klinger-Apsis wirkte der Maestro selbst mit und begutachtete die ersten Änderungen und Renovierungsarbeiten kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs bis zu seinem Tod. 

Eine Erweiterung der Apsis für die alleinige Aufnahme der Klinger-Werke war schon bei der Errichtung derselben spruchreif, wurde aber erst 1940/41 ernsthaft betrieben und wegen Kriegsunwichtigkeit eingestellt. Ein 1943 erfolgter Bombenangriff leitete den heißen Abriss des längst baufälligen Museumshauses ein. 

Inwieweit eine Rekonstruktion seines Ateliers sowohl im Vorgängerbauwerks des heutigen Westwerk als auch neben seiner ehemaligen Villa möglich ist, dürfte als Überraschung ebenfalls im Raum stehen. Mit Sicherheit bilden Klingers künstlerische Netzwerke in Leipzig, Berlin und Wien ebenso eine wichtige Rolle wie die Einordnung seines Schaffens in die Sezessionskunst um 1900 in Europa. Klinger als Wandmaler wird ebenso im Mittelpunkt stehen wie die Erschließung seines Werkes im Zug der aufkommenden Bodybuilder-Bewegung. Auch seine künstlerische Vorstellung von der Frau wird in der kommenden Jubiläumsausstellung „Klinger 2020“ behandelt. In welcher Form Klinger sich mit Musik beschäftigte, ihn mit Gustav Klimt und, die über ihre Schülerin Elisabeth Voigt als eine Initiatorin der Leipziger Schule agierende, Käthe Kollwitz nahe stehen ließ und wie ein von ihm bemaltes Treppenhaus im damaligen MdbK ausgesehen hätte, werden 2020 am MdbK ebenso zu behandelnde Stoffe sein. Auguste Rodin wird ebenso aus der Ferne dabei sein. Dass Max Klinger immer noch Bestandteil des künstlerischen Lebens ist, zeigt v.a. der symbolistische Duktus vieler künstlerischer Positionen in dieser Stadt.

Leipzig um 1900 – Warum das Schiller-Denkmal zu neuem Leben erweckt wird

Derzeit wird in Leipzig ein Denkmal restauriert, das womöglich zur späten Blüte des Leipziger Sezessionsstils gehört. Was es dabei auf sich hat, wer der Bildhauer Johannes Hartmann war und wie das Schiller-Denkmal einzuordnen ist, versucht folgender Beitrag ein wenig zu beleuchten.

Von Daniel Thalheim

Die Stadtverwaltung von Leipzig weiß, was dem Schiller-Denkmal im vergangenen Jahr angetan wurde. Die 1914 von August Schmiemann nach Entwürfen von Johannes Hartmann geschaffene Skulptur aus Laaser Marmor wurde Opfer von Vandalismus. Schiller stand nun da, verschmiert und ohne Nase. Dank der Bereitstellung von Fördermitteln der Landesdirektion Sachsen, eingegangener Spenden und Mitteln der Stadt Leipzig kann das Jugendstil-Meisterwerk seit Anfang Juli 2018 restauriert werden. Die Gesamtkosten der Maßnahme betragen nach Auskunft des Leipziger Kulturamts rund 12.000 Euro. Die Maßnahme soll schon im Oktober desselben Jahres beendet sein.

Ergebnis einer bürgerlichen Stiftung – Das Schiller-Denkmal in Leipzig

1905 war das 100. Todesjahr des zweiten großen Dichterfürsten neben Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832). Friedrich Schiller (1759-1805) gilt als der zweite Hauptvertreter der Literatur des Sturm und Drang und der Weimarer Klassik. Anlässlich dieses Ereignisses wurden auch in Dresden und Leipzig Schiller-Denkmäler in Auftrag gegeben und errichtet. Zwar wurden bereits vor dem Ereignisjahr schon Schiller-Denkmäler, mal Solo und mal mit Goethe, auf den Sockel gehoben. Zum Einhundertsten scheint so eine skulpturale Huldigung doch schon etwas besonderes zu sein.

Das Schillerdenkmal in Leipzig, historische Postkartenaufnahme (Copyright frei)
Das Schillerdenkmal in Leipzig, historische Postkartenaufnahme (Copyright frei)

In Dresden befand sich schon zu diesem Zeitpunkt ein Denkmal aus zwei sitzenden Figuren von Ernst Friedrich August Rietschel (1804-1861). Doch der Wunsch, in Dresden-Neustadt ein Solo-Denkmal für Schiller zu errichten, war 1905 groß. Hat der Dichter aufgrund des Mäzenats des Schriftstellers und Herausgebers Christian Gottfried Körner (1756-1831) eine sorglose und glückliche Zeit in direkter Nachbarschaft, in Dresden-Loschwitz, verlebt. Ein Schillerhäuschen zeugt noch von seinem Aufenthalt von 1785 bis 1787.
Auch in Leipzig hielt Friedrich Schiller sich 1785 auf. Im Vorort und heutigen Stadtteil Gohlis schrieb er das Gedicht „An die Freude“, das der Komponist Ludwig van Beethoven (1770-1827) für seine 9. Sinfonie verwendete und so zur weltweiten Berühmtheit wurde. Der klassizistische Bildhauer Johann Friedrich Dannecker (1758-1841) schuf zwischen 1793 und 1805 mehrere Schiller-Büsten. Seine Arbeiten und die Totenmaske des Dichters dürften die Hauptquellen für die Skulpteure der Jahrhundertwendezeit gewesen sein, auch für die in Leipzig. In Jena steht eine Bronzekopie von einer seiner Arbeiten.
Nach der Ausschreibung des Denkmals 1905 gründete der Leipziger Germanist und Literaturforscher sowie Vorsitzender des Leipziger Schillervereins Georg Witkowski (1863-1939) 1906 einen Denkmalsausschuss. Für das Leipziger Denkmal stand ein Stiftungsgeld von 20.000 RMk (heute rd. 271.000 EUR) bereit. Ein, mit einer Ausstellung begleiteter, Wettbewerb, dem der Leipziger Sezessionskünstler Max Klinger vorstand, wurde 1912 durchgeführt. 33 Einreichungen gelangten in die Hände der Jury. Das Modell des Leipziger Bildhauers Johannes Hartmann (1869-1952) wurde aus den anderen Entwürfen prämiert. Ausgeführt wurde die Skulptur allerdings vom in Leipzig lebenden Münsteraner Bildhauer August Schmiemann jnr. (vermutl. 1846-1927). Bis zum 9. Mai 1914 konnte das Denkmal fertiggestellt und im Leipziger Lenné-Park aufgestellt werden. Georg Witkowski hielt die Weihe-Rede. Das Denkmal selbst sorgte aber wegen der nackten allegorischen Figuren für eine Kontroverse, die jedoch im Ersten Weltkrieg unterging. Die Skulptur wurde, wie das zeitgleich in Dresden entstandene Werk, aus Laaser Marmor geschaffen. Die Konkurrenz zu Johannes Hartmann bildete das Who-Is-Who der Leipziger Bildhauer.

Von der Idee des Schillerhains im Lenné-Park und warum Leipzig vor hundert Jahren am Puls der Kunst war

Unter den 33 Einreichungen befanden sich viele Ideen, die scheinbar den Gedanken eines Andachthains für den Dichterfürsten aufgegriffen hatten. Wir wissen, dass neben dem prämierten Entwurf noch vier zweite Preise verteilt wurden. Programmvorschriften und Ideenkonkurrenz soll es nicht gegeben haben. So erblickten die Leipziger während der Wettbewerbsausstellung 1912 auf eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie der Abschnitt, wo das heutige Schiller-Denkmal steht, zu gestalten sei. Der konventionelle Typus des Schillerstandbilds auf einem Sockel als Ganzfigur trat dabei zurück.
Stattdessen blickten die Leipziger auf entworfene Schiller-Anlagen aus Brunnen, Tempeln und Säulen. Offenbar versuchten die untereinander konkurrierenden Künstler eine Art Gedenkstätte zu schaffen, wo der Betrachter gern verweilen will. Dass dies wohl dem späteren Klinger-Nachlassverwalter Johannes Hartmann gelungen ist, scheint auch an seinen Fürsprecher Max Klinger gelegen haben. Hartmann entwickelte ebenfalls das von Max Klinger entworfene und anfangs geschaffene Postament des Richard-Wagner-Denkmals weiter, das der 2013 verwirklichten Skulptur von Stephan Balkenhol als Basis dient. Schon damals war das Wagner-Denkmal als Kolossalskulptur in den Parkanlagen zwischen dem Neubau des „Alten Theaters“ und der Matthäi-Kirche auf einem Stufenaufbau geplant – so ist es auch heute. Auch dass das Leipziger Kulturamt für die Restaurierung des Schiller-Denkmals für private Gelder wirbt, zeugt noch vom Geist der bürgerlichen Idee, die Messestadt aktiv zu gestalten.
Dass das seit über 100 Jahren bestehende Schiller-Denkmal im Lenné-Park die Umgebungsnatur der Parkanlage für einen Schillerhain geschaffen hat dürfte das Ansinnen von Max Klinger und Johannes Hartmann gewesen sein. Nicht nur damals war der Ort ein Magnet für Leipziger und auch für Touristen. Heute gilt die Arbeit von Johannes Hartmann und August Schmiemann als wichtiges Werk der Leipziger Sezession, die in Bezug auf Innenraumgestaltungen und Bauplastiken noch starke Bezüge zum französischen Art Nouveau aufweist, aber auch – wenn es um das von Johannes Hartmann entworfene Möbeldesign dieser Zeit geht – Entwicklungen der englisch-schottischen Arts & Crafts-Bewegung im Sinne der Werkbundbewegung aufgreift und eine für Leipzig typische Ausprägung in die Moderne weiterführt. Leipzigs Künstler legten ihre Finger an den Puls der damaligen Zeit. Internationale Kunst der Klassischen Moderne war bei den Leipziger Jahresausstellungen vertreten. An der damaligen Kunstakademie kursierten japanische Farbholzschnitte und dürften so auch grafisch und malerisch einen großen Eindruck hinterlassen haben. Die Medailleurs- und Skulpteurskunst stand hoch im Kurs, die grafischen Disziplinen und die ex-libris-Kunst erlebten ihre Blüte. Doch seltsamerweise scheint die Kunst bis auf wenige Ausnahmen dieser Zeit aber auch bis 1945 in einer konservativen Starre verharrt gewesen zu sein.

Leipzig um 1900 – Jahresausstellung und Sezession

Von Daniel Thalheim

Das ausgehende 19. Jahrhundert und der Beginn des 20. Jahrhundert war geprägt von Brüchen und Verwerfungen innerhalb der Kunst und Architektur. Sezessionskunst kehrte in das Alltagsleben der Menschen ein. Was das heißt, zeigen heute noch immer die verschiedenen Ausprägungen der Art Nouveau in Mittel- und Westeuropa. Der Zeitraum zwischen ca. 1880 bis 1914/16 wird auch Fin-de-Siècle genannt und fällt auch mit der Entstehung der Bewegung der Les arts decoratifs in Paris zwischen 1882 und 1901 zusammen. Sie bedeutet einen Bruch mit Traditionen in Design, Architektur und Kunst. Was Architekt später als Verschmelzung dieser Disziplinen zu einem Begriff, das Bauen, verstand, wurde bereits in den letzten beiden Dezennien des 19. Jahrhundert definiert: die Verknüpfung von Herstellung, Handwerk, Industrie, Kultur, Design und Architektur. Auch in Leipzig hat es eine Sezession gegeben.

Der 1992 neu gegründete, heutige, Verein der Leipziger Jahresausstellung hat eine gleichnamige Vorgängerin. Der 1927 aufgelöste Verein verfolgte noch sezessionistische Ideen, die ihren Anfang bereits vor dem Ersten Weltkrieg besaßen. Es war im Mai 1913, als die erste Internationale Baufach-Ausstellung in Leipzig auf dem heutigen Alten Messegelände seine Toren öffnete. Im Fokus standen damals die Messehallen, wie das Monument des Eisens von Bruno Taut (1880 – 1938) und Franz Hoffmann (1884 – 1951), die Hallen für Raumkunst und Baustoffe, der Hof der nachgebauten Pleißenburg. Welche zur selben Zeit durch den Bau des Neuen Rathauses verschwand. Auch das Gebäude des Rumänischen Weinrestaurants, ein Musterdorf mit Schule und Kirche sowie die Betonkuppelhalle von Wilhelm Kreis (1873 – 1955) waren Blickpunkte 1913. Selbst das als „Monstrum“ wahrgenommene Völkerschlachtdenkmal muss unter dem Gesichtspunkt „sezessionistisch“ bzw. Jugendstil, neu bewertet werden. Spätere Ausläufer eines Architekturstils mit redundantem Bauschmuck und Bauformen finden wir überall an den Fassaden und in den Treppenhäusern Leipziger Wohnhäuser, die bis in die Zwanzigerjahre hinein gebaut wurden. Auch die zwischen 1922 und 1927 geplante und 1938/39 zerstörte Trauerfeierhalle auf dem Neuen Israelitischen Friedhof in Leipzig muss unter diesem Gesichtspunkt, in Berücksichtigung des in Sachsen weit verbreiteten Werkbund- und Reformarchitekturstils, betrachtet werden.

Gleichzeitig konnten im selben Jahr realisierte Bauprojekte, wie die – erst durch die Leipziger SPD-Fraktion initiierte – Gartenstadt Marienbrunn, das benachbarte Völkerschlachtdenkmal, die Brücke zwischen den Ausstellungshallen präsentiert werden. Etwas im Abseits organisierten die bildenden Künstler zum selben Zeitpunkt die „Leipziger Jahresausstellung“. Sie bot zusammen mit einem Pavillon für die Karikaturenausstellung damals einen Überblick über das künstlerische Schaffen zeitgenössischer Künstler der letzten 30 Jahre.

1913 trat die Leipziger Jahresausstellung nicht zum ersten Mal in Erscheinung. Bereits 1910 veranstaltete der Verein Bildender Künstler Leipzig im Städtischen Kaufhaus die als „Sezession“ genannte erste große Schau. Am 15. Januar 1912 gründete der Verein den Verein Leipziger Jahresausstellung e.V. Max Klinger (1857 – 1920), Wilhelm Schulze-Rose (1872 – 1950) und der Bildhauer, sowie der Nachlassbetreuer Max Klingers, Johannes Hartmann (1869 – 1952) hatten den Vorsitz inne. Im Städtischen Handelshof in der Grimmaischen Straße stellten im Jahr 1912 über 200 deutsche und europäische Künstler Malerei und Plastik aus.

Bekannte Künstler wie Ernst Barlach, Max Beckmann, Käthe Kollwitz, Claude Monet, Max Liebermann, Henri Matisse, Max Pechstein, Pablo Picasso und Auguste Renoir nahmen mit einem oder mehreren Werken an dieser Ausstellung internationalen Ranges teil. Nahezu sämtliche Künstler der Klassischen Moderne waren vertreten. 1921 kamen Namen wie Lyonel Feininger (1871-1956) und Kurt Schwitters (1887-1948) dazu.

Heute wollen die Ausstellungsmacher mit ihren jährlich im Westwerk veranstalteten Kunstschauen einen Überblick in die zeitgenössische Kunstentwicklung der Messestadt geben. Die Organisatoren möchten so unterschiedliche Leipziger Kunstpositionen bündeln und auch weniger bekannten Malern, Grafikern, Fotografen und Bildhauern die Chance geben, dass ihre Arbeiten einem großen Publikum nahe gebracht werden. Das heutige Bestreben der Ausstellungsmacher unterscheidet sich demnach kaum von der ursprünglichen Vereinsidee von 1910. Gastkünstler haben ebenfalls Gelegenheiten, hier Anschluss zu finden, sofern sie mit Leipzig Berührungspunkte in Formen von Wirkungsstätte, Wohn- oder Studienort finden.

Das große Kunstlexikon von Peter W. Hartmann erklärt unter „Sezession“ die Wortbedeutung, welche aus dem Lateinischen entlehnt ist. „Secessio“ bedeutet nichts anderes als „Abspaltung“ und „Trennung“. Der Lexikonartikel fasst zusammen, was im 19. und frühen 20. Jahrhundert unter Sezession verstanden wurde. In München, Berlin und in Wien wurden „Secessionen“ gegründet. 1910 hieß es in Leipzig: „Die Sezession hat es sich zur Aufgabe gemacht, alljährlich in Leipzig eine Jahresausstellung zu veranstalten. Durch diese Ausstellung bezweckt der Verein, für die Förderung der idealen und wirtschaftlichen Bestrebungen Leipziger Maler, Bildhauer und Grafiker einzutreten, andererseits auch für die Ausgestaltung unserer heimischen Kunst tätig zu sein und damit auch Leipzig im deutschen Kunstleben eine bedeutsame Stellung zu sichern. Die Ausstellung, die nicht nur Werke Leipziger Künstler enthält, sondern in der Künstler aller deutschen Kunststädte vertreten sind, zeigt, in welcher anerkennenswerten Weise das Unternehmen der Leipziger Sezession in der auswärtigen Künstlerschaft und nicht minder bei dem Leipziger Künstlerverein und dem Leipziger Künstlerbund Beachtung gefunden hat.“

1892 wurde in München die erste Sezession gegründet. Von dieser Vereinigung spalteten sich später weitere Ableger ab. 1897 wurde von Gustav Klimt (1862 – 1918), Koloman Moser (1869 – 1918) und Josef Maria Olbrich (1867 – 1908) die Wiener Sezession gegründet, die vornehmlich baugestalterische und architektonische Formensprachen zusammenzufassen versuchte, welche wir heute als Jugendstil oder Wiener Sezessionsstil kennen. 1897 wurde Max Klinger Mitglied der Wiener Sezession. Im selben Jahr wurde der Künstler Professor an der Akademie der graphischen Künste in Leipzig.

Über die Leipziger Sezession ist wenig bekannt. Doch deutlich ist heute, dass Max Klinger das künstlerische Zentrum in Leipzig war. Neben ihm waren der Grafiker Alfred Leistner (1887–1950) und vor allem der Maler Eduard Einschlag (1879 – 1945) Gründungsmitglieder. Der von den Nazis zusammen mit seiner Familie deportierte und vermutlich um 1939 im Warschauer Ghetto ermordete führende Künstler der Zwanziger und Dreißiger Jahre von Leipzig war einer der Ausstellungsleiter der „Leipziger Jahresausstellung“ vor einhundert Jahren.

Einschlag war nicht der einzige, in Leipzig ansässige, Künstler, der für die „Leipziger Jahresausstellung mitwirkte und sogar mit eigenen Arbeiten vertreten war. Weitere Jurymitglieder waren der Illustrator und Grafiker Louis Carl Bruno Heroux (1868-1944), der Maler und Radierer Alois Kolb (1875 – 1942) und der Zeichner Karl Ferdinand Lederer-Weida (1863-1946). Jugendstilkünstler und Schöpfer der beiden Figurengruppen „Mephisto und Faust“ und „Verzauberte Studenten“ am Eingang zum Auerbachs Keller in Leipzig und des fünf Meter breiten Ölgemälde „Osterspaziergang“, Mathieu Molitor (1873 – 1929), und der Illustrator und Grafiker Hugo Steiner-Prag (1880-1945) gehörten ebenfalls zum künstlerisch wichtigen Gepräge der Stadt. Ein Nachzittern dieser Klassischen Moderne Leipzigs findet sich im zeichnerischen und druckgrafischen Werk des Bauhaus-Künstlers Karl Herrmann Trinkaus (1904-1965) wieder, dessen Nachlass 2017 eine Wiederentdeckung erfährt und 2019 in eine Ausstellung im Museum der bildenden Künste münden soll.  Sein Schaffen ist insbesondere interessant, weil Fehleinschätzungen es in den Bereich der Fälschungen abdriften ließ. Die Neubewertung des Künstlers und sein Oeuvre dürften zu den spannenden Kapitel Leipzigs gehören, denn, wie auch Elisabeth Voigt (1883-1977), überwarf er sich mit der politischen Linie, die in der DDR der Kunstwelt aufgedrückt wurde. Seine Biografie scheint gebrochen und noch wenig durchleuchtet zu sein. Genauso spannend dürfte auch die Beschäftigung mit der Expressionistin Anna Babette Erkes-Conrady (1894-1986) ausfallen. Auch für sie plant das Museum der bildenden Künste 2019 eine Gesamtschau auf ihr Werk.

Die Leipziger Sezession besaß ein von Buchkunst und Malerei beeinflusstes Gepräge. Man kann sagen, dass das Leipziger Beispiel das Nachbeben einer Kunstentwicklung war, worin zeitgenössische Künstler sich vom vorherrschenden Akademiestil abzusetzen versuchten, aber schon bald von den vielen Künstlergruppen von Expressionisten, Dadaisten und Surrealisten in seiner Bedeutung gemindert wurde.

Dennoch reichte der Einfluss der in der Leipziger Sezession organisierten Künstler weit in die Geschichte der Entwicklung der nach 1945 gegründeten Hochschule für Grafik und Buchkunst bis heute hinein, wobei populäre Begriffe wie Leipziger Schule und Neue Leipziger Schule in eben diesen Entwicklungsstrang einzuordnen sind. Das Selbstverständnis der Leipziger Künstler der DDR und Nachwendezeit ist mit dem Nachklang der Leipziger Sezession eng verbunden.