Unser Lied: Midnight Blue beim „foreigneten“ Konzert

Auch ohne Konzertglotzen volle Wiesen beim Foreignerkonzert (Foto: W.E. Wilcox)
Auch ohne Konzertglotzen volle Wiesen beim Foreignerkonzert (Foto: W.E. Wilcox)

Ich war überrascht, dass Foreigner wieder in Leipzig ist. Spontan machte ich mich mit Mimi zum Clara-Zetkin-Park auf. In Leipzig ist es schon Tradition, dass vor der Bühne außerhalb des Auditoriums der Parkbühne sich die Leipziger gemütlich machen. Perfektes Grillwetter war auch. Bis ein Gewitter alle heimsuchte. (Von W. E. Wilcox)

„Protaitor?“, schallte die Stimme einer guten Freundin in meinem Ohr. Wir telefonierten. Ich erzählte ihr, dass Mimi und ich uns auf die Wiese vor die Parkbühne legen werden, um zwei Stunden Classic Rock vom Feinsten zu genießen. „Ist das ein Trickfilm?“, fragte die gute Freundin. Nennen wir sie mal Selma. „Nein“, antwortete ich, „F-o-r-e-i-g-n-e-r heißt die Truppe – weißt doch, … die Rocker mit den Pudelfrisuren aus Großbritannien und USA. Aus den Achtzigern, verstehste…?“
„Ach Foreigner!“, sagte Selma. Der Groschen ist gefallen. „Ja“, murrte ich, „Ich bin froh, dass du nicht an Retro Trull gedacht hast.“ Lachen ertönte aus dem Telefonlautsprecher. Selma macht manchmal Scherze. Ich blickte zu Mimi, die die Spielsteine für ein Rummikub-Spiel setzte. Unsere Decke hübsch auf der Wiese drapiert, umringt von Trupps aus Gleichgesinnten, die mit Kühltaschen, Grillzeug und Bier die Wiesen rund um die Parkbühne wie ein großes Biwak aussehen ließen. Kleine Lagerfeuerchen prasselten. Rauchschwaden breiteten sich zwischen den Laubkronen der Bäume aus. Noch hat das Konzert nicht begonnen. Das Parkbühnenrund schien aber gut gefüllt zu sein. Immer wieder hörten wir Pfiffe als vermutlich wieder mal ein Roadie über die Bühnenbretter schlich. Ich trank ein Bier von dem Mimi nicht so begeistert war. Pivovar Bohemus ist nicht so ganz ihr Fall. „Pils, … bitter“, habe ich noch als Wortfetzen im Ohr. Als Schwarzbierliebhaberin kann sie die bittere Plörre nicht genießen, das sogar billiger als das billigste „Sterni“ ist.

Ein Gewitter vermochte das Konzert nicht zu unterbrechen, dafür aber die Zaungäste von den Wiesen zu scheuchen (Foto: Mimi D.)
Ein Gewitter vermochte das Konzert nicht zu unterbrechen, dafür aber die Zaungäste von den Wiesen zu scheuchen (Foto: Mimi D.)

Jubel unterbrach unser Spiel. Ein Ansager kündigte Foreigner an. Die Party im Auditorium begann nach diesem heißen Tag seinen eigenen Siedepunkt zu erreichen, noch schneller als die Mittagssonne den Asphalt der Leipziger Straßen erhitzen kann. Nach einer Weile durchfuhr eine Böe die Laubkronen, der Himmel verdunkelte sich und Regen prasselte auf die Griller. Alle, die sich auf einen mückengeplagten Tagesausklang mit Rostbratwurst und Bier freuten, stoben unter die umliegenden Kastanienbäume. Blitze durchzuckten den Himmel, Donner grollte. Im Nu waren die Grillschwaden verschwunden, die Luft wurde von der Geruchsmischung aus verbranntem Fett und schwelender Holzkohle befreit. Der Himmel begann eine unwirkliche, gelbliche Farbe anzunehmen. Die untergehende Abendsonne und die herabfallenden Regentropfen malten das surreale Bild. In der Ferne lugte das Abendrot zwischen den Wolken. Eine Wolkenspitze erstrahlte weiß, als erhob sich der Mount Everest über uns. Ich sagte zu einem Metaller, der mit uns auf der Wiese stand und Bier trank, das wäre das Auge Gottes. Er knurrte lachend und streckte den Mittelfinger in Richtung des Wolkengipfels. Zur Szene schmetterte die britisch-amerikanische Rockband, die von ihrer Ursprungsbesetzung nur noch ein Gründungsmitglied in ihren Reihen hat, ihre Hits: „Cold As Ice“, „Long Long Way From Home“, „Hot Blooded“, „Double Vision“, „Blue Morning, Blue Day“, „Head Games“, „Dirty White Boy“, „Urgent“, „Jukebox Hero“, „Waiting For A Girl Like You“, „I Want To Know What Love Is“, „That Was Yesterday“, „Say You Will“ und und und.
„Unser“ Rummikub-Spiel wurde vom Platzregen arg in Mitleidenschaft gezogen. „Mein Mitbewohner reißt mir den Kopf ab, wenn er das sieht“, sagte Mimi. Ihre großen, blauen Kulleraugen bekamen kurz einen trüben Schleier. Vor ein paar Tagen lud uns ihr Mitbewohner Tom zum Rummikub-Spiel ein. Ist seins. Auf Ordnung und Sauberkeit kommt es ihm an. Nichts darf abgenutzt aussehen, mit Ausnahme des Bestecks, des Geschirrs und der Möbel. Der Karton des Spiels war nun angeweicht. Seine Kanten sahen abgestoßen aus. Oje.

"Midnight Blue" an der Parkbühne (Foto: W.E. Wilcox)
„Midnight Blue“ an der Parkbühne (Foto: W.E. Wilcox)

Wir saßen unter einer Kastanie und beobachteten wie unsere Nachbarn unterm Baum weiter grillten. Unsere Haut wurde feuchter. Mimi hat meinen Rucksack genäht, sah ich jetzt. Sie fotografierte mit meinem Mobilphon Himmelserscheinungen. Ich trank ein weiteres Bier und schwadronierte über Foreigner. Dass Mick Jones das einzige Gründungsmitglied ist, das noch in der Band ist. Der neue Sänger klingt wie Lou Gramm. „Irgendwie fehlt bei den Songs die Power“, meinte einer der umstehenden Metaller. Später sah ich bei den Konzertfotos von dem Auftritt, dass Mick Jones nicht drauf ist. War er überhaupt an dem Abend da? Trotzdem waren sich alle Anwesenden einig, dass Foreigner es noch drauf haben.
Der Himmel verdunkelte sich ein weiteres Mal. Noch einmal überzog uns das Gewitter mit seinem Unbill. Dieses Mal etwas heftiger, noch mehr Wasser ergoss sich über uns. Selbst unterm Baum hatten wir keine Chance mehr. Wir packten unsere Sachen und verabschiedeten uns vom Metaller-Helheim-Grüppchen, das wir vorher im Regen antrafen. Beim Heimweg sahen wir, dass die Wiesen um die Parkbühne wie leer gefegt waren. Mimi meinte nur lachend, dass wir ein ziemlich „foreignetes“ Konzert erlebt hatten. Aber unser Lieblingslied „Midnight Blue“ hatten wir nicht vernommen. Dafür vernahmen wir das Gesumm von Mückenschwaden. Zerstochen sanken wir in den Schlaf.

Hein aus der Tüte: Warum Fehlfarben immer noch aktuell ist

Fehlfarben am 25.09.2012 im Werk 2 (Copyright: Daniel Thalheim)
Fehlfarben am 25.09.2012 im Werk 2 (Copyright: Daniel Thalheim)

Irgendwann war Peter Hein in Leipzig. Solo. Ausgebrannt sah er aus. In seiner Discounter-Tüte ein Manuskript. Das zog er daraus hervor und las vor. Wann das war? 2010 vielleicht. 2009 sogar? Im Rahmen von „Leipzig liest“. Was war die Lektüre? Seine „Wegbeschreibungen“? Oder das Songtexte-Buch? Ich weiß es nicht mehr.

2012 traf ich erneut auf den Mann. Diesmal nicht vor einer Zuschauertribüne sitzend, von wo aus ich auf die Kopfglatzen und Strubbelfrisuren der Besucher schauen konnte. Am 25. September traf ich Peter Hein auf der Bühne im Leipziger Kulturclub Werk 2, das dieser Tage seinen zwanzigsten Geburtstag feiert. Hein, etwas älter aber fitter geworden, stand mit Fehlfarben im Rampenlicht. „Xenophonie“ die neueste Erleuchtung für die Freunde des intelligent gestrickten Punkrock. Beim Konzert war ich nicht allein. Mein alter Freund Sven Rogowski begleitete mich.

Während wir über Gott und die Welt plauderten kam die Band herein und setzte sich an einen der hinteren reservierten Tische in der Werk-2-Kneipe „Connstanze“. „Ganz schön groß der Kerl“, meinte Sven zu mir in einem fürsorglichen Ton. Er erinnerte sich wie er Peter Hein am Rande der Leipziger Buchmesse interviewte. Eine beeindruckende und intelligente Person. Ein verkanntes Genie. Inmitten des immer lauter werdenden Geplauders schrie ein kleines Kind auf. Es wurde umsorgend hinaus getragen. Ein Tischnachbar erklärte inmitten des Gewimmels seinem Begleiter etwas zu Fehlfarbens neuer Scheibe. Ich verstand bei dem Kneipenlärm aus Gesprächen, Gläserklirren und anderen Geräuschen: „Xenophobie erklärt sich von selbst. Das Wort heißt übersetzt ‚Fremdenfeindlichkeit‘. Viele kluge Leute schrieben viele Aufsätze, Abhandlungen und Bücher über das Phänomen, woher die sozial, rassistisch oder religiös motivierte Ablehnung und Ausgrenzung kommt. Ein Wurmfortsatz der Evolution als der Mensch noch seine Jagdreviere abstecken musste, meint zumindest Bert Hölldobler in seinem Buch ‚Die Angst vor dem Fremden: Die evolutionsbiologischen Wurzeln der Xenophobie‘, das 2003 erschien. Klingt langweilig, oder?“

Eigentlich nicht. Sven meinte zu mir blickend nur, dass Fehlfarbens neue Scheibe einfach genial ist. Die heißt aber „Xenophonie“. Die Angst vor dem Klang?, fragte ich mich. Dass aber alle nur „Monarchie und Alltag“ kennen würden, lamentierte er. Für ihn fast schon ein Frevel. Beim Hinausgehen trafen wir auf ein paar Bekannte und traten dann in die Halle D der Kulturfabrik am Kreuz ein. Joey Vaising stürmte aus der Halle. „Das kann man sich nicht anhören!“, sagte er fast schon empört als er an uns vorbeilief. Was war los? Die Vorband war ein Mann mit einer Maschine. Auf die drückte er Tasten, schraubte an Reglern und tanzte unbeholfen hinter dem Ungetüm hin und her. „Wer ist das?“, fragte ich eine Frau am Verkaufsstand. Sie zeigte auf die Auslage, wo neben den vielen Fehlfarben-CDs auch ein kleines Sortiment aus CD, LP und anderen Gegenständen lag auf dem der Name „Mittekill“ gedruckt war. „Aha.“

„Gar nicht mal so schlecht“, bemerkte Sven. Den Unmut des Sonic-Boom-Foundation-Chefs konnte auch ich nur halb verstehen. Aus Mittekills Maschine grollten Bässe, Gitarren, Rhythmen. „Irgendwie Achtziger“, sagte mein Begleiter und fügte hinzu: „Mag ich!“ Ich hörte auch genauer hin. Wirklich, dachte ich, da hat der Mann nicht daneben gegriffen. Aber dann wandelte sich der letzte Teil in ein Spiel aus unflätigen Wörtern, die keine Frau von ihrem Mann hören möchte. „Jtzt wird gfickt“. „Nö, oder?“ Ich warf einen vorwurfsvollen Blick nach vorn. Die Leute standen herum – mit verschränkten Armen. Höflichkeitsapplaus. Dann betrat Peter Hein frisch gestärkt mit seiner Band die Bühne und sang mit „Mittekill“ noch ein Stück. Für den Mann am überdimensionalen Keyboard die liebe Aufforderung, die Bühne zu verlassen. Das machte der Liebling vom Musikmagazin „Rolling Stone“ auch. Irgendwas interessantes zwischen „S.Y.P.H.“ und „Trentemöller“ steht da zu seinem dritten Album geschrieben. Wir verfolgten aber ein anderes Geschehen. Fehlfarben stieg auch erst einmal von den Bühnenbrettern. Umbau.

Fehlfarben immer noch aktuell (Copyright: Daniel Thalheim)
Fehlfarben immer noch aktuell (Copyright: Daniel Thalheim)

Sven beschrieb während der Pause, warum Fehlfarben immer noch aktuell ist. „Ihre Texte“, sagte er und fügte hinzu: „Und ihr zeitloser Sound!“ Das neue Album der Soundtrack zur Krise. Welcher, fragte ich. Lebenskrise, Sinnkrise, Eurokrise, Wirtschaftskrise, Kulturkrise, Gesellschaftskrise oder andere medial gehypte und beschworene Konfliktfelder der menschlichen Psyche, Seins und Handels? Es ist seine eigene – existentielle. Ein Pressetext klärte darüber auf, der auf der Werk-2-Homepage klebte, um das Konzert anzukündigen, erinnerte ich mich. Schnell mal das schicke Smartphone hervor gekramt und noch einmal gelesen. Da steht’s! Hein sagte: „Zum einen zehre ich noch immer von meinen Erfahrungen. Der Typus des BWL-Absolventen und des Marktgläubigen hat sich ja in all den Jahren nicht wesentlich geändert. Aber die Schweine haben mich ja entsorgt, auch wenn ich der Zeit nicht nachtrauere. Ich hätte schon gerne da weitergemacht. Ich wäre vielleicht nicht so prekär dran. Aber vielleicht müsste ich heute noch Geld mitbringen, um überhaupt meinen Job machen zu können.“

Klingt nach post-pubertären Frust. Gut, dass der Künstler Hein Kunst macht und Musik hervorzaubert. Die beste Therapie, meinte ich. Kann ich ihn doch verstehen, weil mir ähnliches widerfuhr. Dann Fehlfarben live! Jubel. Sven blickte konzentriert zum Geschehen. Peter Hein tanzte, drehte sich, machte einen Knicks, sprach und setzte zum Gesang an. Seine roten Hosen leuchteten im Scheinwerferlicht. Vielleicht 150 Leute hier, dachte ich. Irgendwie hat das die Band nicht verdient, die doch neben den ganz Großen in der Bundesrepublik auftreten könnte. Fehlfarben drehte auf. Peter Hein nahm einen großen Schluck aus seiner Weißweinflasche, erzählte von seinen Schicksalsschlägen. Die Band fing „Ein Jahr (Es geht voran)“ zu spielen an. Sven meinte als wissender Musikjournalist, dass das Stück lange Zeit nicht von Fehlfarben gespielt wurde. Es wurde stets missinterpretiert. Er wusste auch, dass Fehlfarben die letzte Bastion der echten Neuen Deutschen Welle ist, weil ihre Mitglieder aus Formationen wie „Mittagspause“, „S.Y.P.H.“ und „D.A.F.“ stammen – den Gestaltern der „Neuen Deutschen Welle“ als die Bewegung noch nicht zum Deutschschlagerpop mutierte. Jürgen Teipels Buch „Verschwende deine Jugend“ tauchte vor meinem inneren Auge auf – und der dazugehörige Sampler.

Elf Studioalben brachte Fehlfarben heraus. Im Feuilleton, in den Popmagazinen taucht Fehlfarben aber so gut wie nie auf. Warum nur? Für mich ein Unding, weil Fehlfarben immer noch aktuelle Probleme anspricht – mal direkt, mal versteckt, immer intelligent. Die Musik ist ausgefeilt und klingt modern. Nicht so plump und roh wie die von Rammstein. Feiner, subtiler, aber dennoch mit einer erkennbaren Botschaft. Jubel unterbrach meine Gedanken. Dafür gab es verschiedene Gründe. Drei Zugaben bot Fehlfarben an diesem Abend des 25. September im Werk 2. Die Leute bekamen nicht genug von der Truppe.

Irgendwann muss Schluss sein. Auch wir waren müde, mussten am nächsten Tag wieder etwas schaffen. Vielleicht sieht sich der eine oder andere bei dem Konzert von Sandow im Oktober wieder – einer anderen unterbewerteten Band, die ihr Dasein im Untergrund fristen muss. Schade eigentlich. Gebührt gerade dieser Formation besonders viel Aufmerksamkeit. Wir genossen trotzdem den Abend, dachten an „20 Jahre Werk 2“, das für seine Besucher noch weitere interessante Konzerte bereithält. Dann traten wir in die Nacht und unseren Heimweg an. Es regnete.

::

::

Scharf wie Chilischoten: Rock‘n‘Roll Overdose gibt 2012 wieder Dampf

Starkes Gespann: Veit Valdeig und Miriam Vohla beim Rock'N'Roll Overdose (Copyright: Daniel Thalheim)
Starkes Gespann: Veit Valdeig und Miriam Vohla beim Rock’N’Roll Overdose (Copyright: Daniel Thalheim)

Es ist eingetütet. Das Leipziger Indoor-Festival Rock‘n‘Roll Overdose nimmt wieder Fahrt auf und wirft an einem Wochenende im Leipziger Kulturzentrum „Anker“ seine Seile aus. Die Kapitäne Veit Valdeig und Miriam Vohla entern mit ihrer Crew am 21. und 22. September den geschichtsträchtigen Konzertsaal in Möckern. Mit dabei sind zahlreiche junge und hungrige Bands.

Für das Septemberwochenende will die Overdose-Crew einen besonderen Happen darbieten. Dafür servieren die Smutjes an zwei Abenden jeweils fünf hungrige Rock‘n‘Roll-Frischlinge, die ihre Zutaten in Form von Köpfchen und Instrumenten mitbringen. Dabei entpuppen sich ein paar Äffchen als Speed-Junkies und nicht als Bananenverkäufer. „Vier Leipziger Jungs die mit affenartiger Geschwindigkeit auf die Ankerbühne schwingen, nicht um Bananen zu verteilen sondern mit einer Mischung aus Rock, Pop und punkig angehauchten Rhythmen das Festival eröffnen“, meint Overdose-Admiral Veit Valdeig zu den „Tremendous Speed Monkeys“, der Eröffnungstruppe am 21. September.

::

::

Valdeigs Empfehlungen führen den Freund rockiger Klänge quer durch die Proberäume Sachsens. Beim „Rock‘n‘Roll Overdose“ gleicht kein Jahr dem vorigen. Passend zum rockigen Seegang im „Anker“ schlägt das Trio „Quiet Lake“ aus Chemnitz seine Ruder aus. Die wandeln sich auf wunderbare Weise zu E-Gitarren, die mit Funk und Hard Rock eine spannende Kreation auftischen. Ausnahmesänger wie Lou Reed, David Bowie und Ian Gillan bringt Veit Valdeig den Gästen als Vergleich nahe. Sie sollen verstehen, dass der Groove der Siebziger auch heute noch funktioniert.

„If I Fly“ heißt die EP von Run Pig Run. Die Leipziger taten sich 2011 zusammen und haben sich einen Titel von Queens Of The Stone Age gegriffen. Anstatt die Amis zu kopieren, brät der Vierer sein eigenes Steak. Energiegeladen ganz nach Art des Hauses. Alternative Rock vom Feinsten, sagt Valdeig zu der jungen Combo, die vor der Leipziger Szenegröße Looks That Kill auf die Bühnenbretter steigen wird.

::

::

„Looks That Kill aus Leipzig kochen auch nicht unbedingt auf kleiner Flamme“, empfiehlt der Overdose-Chef im schwarzen Jacket und grauem Strubbelhaar. „Das Abschlusskonzert ihrer bis dato andauernden Tour wird der Ankerauftritt beim Rock´n Roll Overdose Festival sein. Freunde des Glam Rock werden hier voll auf ihre Kosten kommen. Treibende, eingängige Grooves mit einer Portion knirschenden Sand im Getriebe werden das Publikum mitreißen.“

Nicht Leipzig, sondern „Börlin“ führt den ersten Overdose-Abend an. „The Razorquillz bringen dann den Topf endgültig zum überlaufen“, weiß schon jetzt Overdose-Macher Valdeig. Wie das Berliner Gebräu schmeckt, gibt der Chefkoch seinen Gästen auch auf den Weg. Eine dicke Kelle Rock‘n‘Roll mit einem Spritzer Punkrock soll die Sohlen der Overdose-Besucher zum Glühen bringen.

::

::

Die bleiben auch am 22. September heiß, wenn die The Vagabonds aus Leipzig, The Rocket Sausage Dog aus Weimar, Torpedo Dnipropedrowsk aus Leipzig und Fightball aus Berlin kulinarische Kostbarkeiten für die Ohren anbieten. Als Spezialgäste bringt Valdeig den Newcomer Goldstaubwerk ins Overdose. Eine Band, die schon beim diesjährigen Courage-Jugendfestival offene Münder hinterließ. So jung! Und schon Bock auf Rock. Veit Valdeig war jedenfalls schwer begeistert, als im April die Jungen in der Villa Leipzig die Juroren und Gäste beeindruckten.

Der Freund von Rockmusik aus der Region merkt es schon: Das Rock’n’Roll Overdose bietet auch 2012 wieder ein kräftiges Süppchen mit feinen Zutaten gewürzt. Die Vorspeisen sind ebenso lecker zubereitet wie die Hauptspeisen. Saure Gurken gibt es auch dieses Jahr nicht. Obwohl sie zu kräftigen Speisen gut schmecken und auch bei einem deftigen Gulasch für den feinen Geschmack sorgen sollen. Oder auf einem guten Hot Dog. Am 21. und 22. September wissen die Gäste mehr. Ab 20 Uhr geht es los. Der Eintrittspreis wird noch bekannt gegeben.

::

::

Grunge rockt Leipzig: Grungopalooza im Bandhaus

The Heroine Whores in der Helheimkneipe Leipzig-Plagwitz (Copyright: Daniel Thalheim)
The Heroine Whores in der Helheimkneipe Leipzig-Plagwitz (Copyright: Daniel Thalheim)

2011 stieg ein erstes Mal das „Grungopalooza“ in der Moritzbastei. Die totgeglaubte Musikrichtung kommt wieder. Pearl Jam gab nie auf, Alice In Chains trat 2009 sein Comeback an, 2012 folgte der Vorreiter Soundgarden. In Leipzig ist es Tarcy Mirinda mit ihren The Heroine Whores, die Grunge zu einer Wiederkunft verhelfen will. Am 14. September nun im Bandhaus in der Saarländer Straße.

Bereits 2010 traten The Heroine Whores mit einem Grunge-Fest Erscheinung. Deswegen an dieser Stelle eine Artikel- und Interviewsammlung zurück zum 30. März 2010, zum 21. Juli 2011, 3. und 4. September 2011. Erschienen sind alle Textbeiträge das erste Mal in der Leipziger Internet Zeitung.

Die Schmuddelkiste des Rock’n’Roll: Leipzigs erstes Grungefestival steigt im Flowerpower

Grunge wurde in den Neunzigern eine neue Schublade genannt. Heißt so viel wie Dreck. Hardrock, Metal und Punkrock fanden zu einer neuen Melange mit dem Markenzeichen: schrammelige Gitarrenklänge, quere Rhythmen und schiefe Gesänge. Gepflegte Depression, schwarze Weltsicht und ein wenig Romantik lag Anfang der Neunziger in der Luft. Doch nichts verschwindet auf ewig, oder?

„The Heroine Whores“ besteht aus Tarcy am Mikro und Gitarre, Hanne am Bass, Martin an der Gitarre und Gesang und Flury an den Trommeln. Der Bandname spielt auf die im Grunge grassierende Sucht nach Heroin an. Kurt Cobain fiel dem zwar nicht zum Opfer, dafür aber „Blind Melon“-Sänger Shannon Hoon, der Frontmann von „Alice In Chains“, Layne Stayley und Sänger Andy Wood von „Mother Love Bone“, aus denen ja bekanntlich „Pearl Jam“ hervor ging. „Heroine“ meint aber auch die Heroin, die Heldin.

Cobain steht immer noch als Identifikationsfigur für die so genannte Grunge-Szene. Mit „Smells like teen spirit“ schufen er und seine Band 1991 einen Welthit sondersgleichen. Ab da war alles anders in der Rockszene. Zahlreiche Glam Rock-Bands wie „Poison“ und „Ratt“ werden rückblickend diese Zeit verfluchen. Verloren sie doch über Nacht ihre Integrität, die sowieso nur glitzernde Fassade war. „Ratt“ startete 2010 ein Comeback. Nirvana lebt irgendwie noch mit Drummer Dave Grohl und seinen Projekten weiter und eben jene „Pearl Jam“ hob 2009 auch wieder sein Haupt.

The Heroine Whores ist den Staub gewöhnt, der in kleinen Clubs auf den Boxen liegt und bereit, diesen ins ‚Nirvana‘ zu pusten. Es lohnt sich und es wird hart am Wind gesegelt. Versprochen!“Und damit die jungen Wilden nicht allein an der Welt verzweifeln, luden sie sich ihre Freunde von „PiXie Meet“ aus dem Bayernlande ein. Denn besonders dort, in den Gefilden des Wohlstands und der eingefahrenen Wege, gibt es immer wieder einen Grund der cleanen Variante Leben etwas Grunge entgegenzustellen.

Das Ganze stieg in direkter Konkurrenz mit „The Blue Van“ in der Moritzbastei, „Disillusion“, „Zen Zebra“ und „Rose Kemp“ in der Theaterfabrik und „Timescratch“ in „Ilse’s Erika“. Damals war an diesem Abend eine gehörige Bandbreite in der Stadt zu haben. Und viel Leipzig. Der Eintritt zum Grunge-Abend war frei.

1. Grungopalooza: Tarcy Mirinda von The Heroine Whores im Interview

Ihr Name ist doppeldeutig. Heroin leitet sich vom englischen „Hero“ ab, was Held bedeutet. Die weibliche Form des Helden ist „Heroin“ – Heldin oder Halbgöttin, so die Übersetzungshilfe. Mit der Betonung auf der ersten Silbe. Der Stoff aus dem meist Albträume sind, wird in der letzten Silbe betont. Insofern kann man bei den Heroine Whores von „verhurten Heldinnen“ sprechen, aber auch von „Heroin Nutten“. Sängerin Tarcy Mirinda erzählt übers Grungopalooza und ihre Plänen mit The Heroine Whores.

Tarcy, was ist das Grungopalooza eigentlich?

Das ist eine Zusammenführung von drei Leipziger Grungebands, die einfach versuchen etwas auf die Beine zu stellen, damit die Leute wieder ein Gefühl von Grunge bekommen. Grunge ist ein Musikstil aus den Neunzigern und ist bis jetzt in Vergessenheit geraten. Wir wollen die Leute daran erinnern, dass es Underground-Musik gibt, die lohnenswert ist zu hören.

Grunge scheint noch eine richtige lebendige, aber kleine Szene zu sein. Früher war Grunge ein musikjournalistischer Begriff für die Sub Pop-Szene in Seattle. Irgendwann ist es zu einer weltweiten Popwelle geworden. Ihr beruft euch aber auf die Frühphase des Grunde Ende der Achtziger, also vorm Durchbruch mit Nirvanas „Nevermind“, richtig?

Genau! Wir mögen auch sehr die alten Bands, die mancher so gar nicht zu Grunge zählen würde wie Melvins, Pixies und Sonic Youth. Die Band, die heute zum ersten Mal überhaupt auftritt, Stiftung Warenpest, bezieht sich sehr auf die Melvins. Das gefällt uns sehr. Wir möchten auch gerne das Alte bewahren. Das, was nach „Nevermind“ kam ist ein Hype gewesen, was viele auch unterstützt hatten, die wahrscheinlich keine Ahnung von den Ursprüngen des Grunge haben. Wir möchten alles zu den Ursprüngen zurückführen. Deswegen breiten wir alles auch deutschlandweit aus. Die Bands aus ganz Deutschland beteiligen sich an der Idee und haben Spaß dran.

Wer den Namen „Grungopalooza“ nicht kennt, der wird sich wundern woher der eigentlich kommt … Wie setzt sich der Name zusammen?

Es gibt ein Festival, wo verschiedene Grungebands spielen. Das heißt „Grungocalypse“, welches seit 2009 in Bayern stattfindet. Dort haben wir das vergangene Jahr gespielt. Grungo ist von diesem Festival entlehnt. Dann hat es noch das legendäre Lollapalooza in England gegeben, wo auch mal Nirvana mal spielen wollten und es aber nicht getan haben. Palooza ist von diesem Festival gekommen. Beide Komponenten haben wir einfach zusammen gebracht.

Der Spagat zwischen Underground und klein wenig Mainstream quasi – wie wird es mit dem Grungopalooza in Leipzig weitergehen, die Fans sind zahlreich erschienen für das erste Mal, … hat das euch überrascht?

Und ob! Sehr positiv! Es ist so, dass Grunge-Konzerte nicht gut besucht sind. Grunge kennen nur wenige Leute, auch was dieser Begriff und diese Musik bedeutet. Aber heute ist es echt sehr schön, dass so viele Leute heute gekommen sind und wissen wollen, was Grunge beinhaltet und darüber mehr erfahren wollen.

Was bedeutet eigentlich Grunge für euch?

Weg vom Mainstream, zurück zu den Wurzeln, zu den unsauberen Sound, einfach die Wut herausschreien, was einen bedrückt und welche Emotionen man damit verbindet. Das ist der Gegensatz zur herkömmlichen Popkultur. Uns ist das sehr wichtig, weil viele Menschen nur Radio hören, TV schauen und dort kommt Grunge nicht vor. Wir wollen einfach die Alternative sein.

Wie vor zwanzig Jahren eigentlich auch schon. Wie alt warst Du vor zwanzig Jahren?

Ich bin 1991 geboren. Ich bin zwanzig Jahre alt. (Lacht)

Hey, du bist im Prinzip so alt wie Nirvanas „Nevermind“!

(Lacht)

The Heroine Whores ist eine Leipziger Grungeband. Wann fing das eigentlich an mit euch?

Mai 2009 war der Start. Da waren wir komplett. Zuerst waren wir vier Leute und haben uns letztes Jahr auf drei reduziert. Unser Drummer ist damals ausgestiegen.

Die klassische Grunge-Besetzung.

Seit Juni 2010 sind wir zu dritt, Hanne am Bass, Martin am Schlagzeug und mich als Sängerin und Gitarristin.

Gibt es was neues von euch?

Wir haben jetzt in Bayern ein Album bei Marko „Heino“ Heinrich aufgenommen. Releaseparty wird am 3. September in der Helheimkneipe sein. Weitere Gigs kommen dann ab Ende September wie in Stuttgart. Das jetzt weiter auszuführen wäre ein bisschen lang… (lacht). Zwei Tage haben wir für unsere Aufnahmen im Studio gebraucht. Dabei haben wir 15 Songs aufgenommen, die wir am dritten Tag abgemischt haben. (einen Großteil der neuen Songs spielten The Heroine Whores schon beim 1. Grungopalooza in der MB, wo das Interview auch stattfand, Anm. d. Verf.) Es gibt ältere Songs von 2009, aber auch sehr viele neue Titel. Solche Songs zu schreiben, dauert bei mir beispielsweise ungefähr zehn Minuten. (Lacht)

Da bist Du ja genauso schnell wie Lemmy Kilmister …

(Lächelt) Ich habe einfach nicht die Geduld, so lange an einem Songs zu schreiben. Mir kommt ein Riff in den Kopf, das spiele ich einfach, dann Text dazu und fertig. Es geht nur darum, die Gefühle, die man in sich trägt, direkt und ungefiltert nach draußen zu tragen. Unser Schlagzeuger schreibt auch Songs, weil er früher bei uns Gitarrist war und versteht, worum es geht.

Dann zertrümmert die Bühnen der Welt mit eurem Stoff und lasst nichts übrig. Vielen Dank für das Interview.

Menschen in Flanellhemden: Das 1. Grungopalooza lockte in die Moritzbastei

Eigentlich sollte dieser Musikstil „Sub Pop“ heißen. Das ist der Name des Labels in der amerikanischen Metropole Seattle gewesen, wo Gruppen wie Tad, Nirvana und Soundgarden ihre ersten Gehversuche unternahmen. Irgendein Musikjournalist entdeckte diese Gruppen und fand sofort einen Begriff für die verwaschenen, punkig angehauchten Klänge: Grunge.

Heute ist Grunge nur noch eine Nische, gilt manchem als Einsteigermusik für Teenager. Auch am 28. Juli beim 1. Grungopalooza in der MB, das Grunge-Sängerin Tarcy Mirinda mit ihren Freunden angeleiert hat. Viele von den heute Anwesenden waren noch gar nicht geboren, als Flanellhemden und Kurt-Cobain-Frisuren durch die Musikwelt schwappten. Grunge war vor zwanzig Jahren das Ding.Kaum fünf Jahre später, also gegen 1996 bis 1997 war dieser Musikstil schon ein Fall für die Geschichtsschreibung. Derer Gründe gibt es viele. Hauptsächlich haben die großen Major-Plattenfirmen zum Ausverkauf der Szene beigetragen. Als der Klamottenhersteller „C&A“, später auch „H&M“ karierte Flanellhemden und zerrissene Jeans anboten und mit einem „Summer of love“ warben, war es eigentlich schon vorbei. In Seattle hingegen hatten die Musiker der ersten Stunde ihre Klamotten noch im Baumarkt gekauft, oder im Second Hand.

Ob diese Leute Bands wie Wipers, Mission of Burma und Hüsker Dü gehört haben und sich sagten, ‚Hey, lass uns auch so was machen“, kann man diskutieren. Kurt Cobain galt jedenfalls als Verehrer dieser Garage-Rock-Heroen. Musik von The Velvet Underground, Melvins und Neil Young waren, neben dem damals handelsübliche Underground-Metal, wohl auch einflussgebend für Gruppen wie Tad, Nirvana und vielleicht auch Pearl Jam. Trockener und metallischer klangen eher Gruppen wie Alice in chains und Soundgarden. Das war Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger als noch Glamrock-Bands wie Bon Jovi, Cinderella, Mötley Crüe und Guns’n’Roses die Charts beherrschten.Schon 1989 schlug die Seattle-Szene kleine Wellen. Da kannten Metalfans gerade mal Gruppen wie Queensryche und Sanctuary, die rein gar nichts mit Grunge zu tun haben. Selbst als 1990 Alice in chains mit ihrem Debütalbum in Erscheinung traten, war von „Grunge“ keine Rede. Erster Schmuddel-Stoff geriet von Tad und Mudhoney in die europäischen Independent-Radios.Jetzt im Jahr 2011 scheint Grunge nur noch ein Ding für Nerds und Sammler. Und doch – zwanzig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung erscheint Nirvanas Szene-Entzünder schlechthin „Nevermind“ in einer umfangreich mit Bootlegs und Demos erweiterten Neuauflage. Als das Album ein erstes Mal erschien, ist Sängerin Tarcy Mirinda der Leipziger Grunge-Band The Heroine Whores gerade mal auf die Welt gekommen. Sie erzählt, wie es zum Festival gekommen ist: „Grungopalooza ist ein Treffen von drei Leipziger Grungebands, die versuchen etwas auf die Beine zu stellen, damit die Leute wieder so ein Gefühl von Grunge kriegen. Dieser Musikstil ist sehr in Vergessenheit geraten. Wir wollen die Leute daran erinnern, dass es eine lohnenswerte Musik ist.“

Die Szene lebt, viele der Bands verneigen und verbeugen sich vor dem Sound von Tad, Melvins, Mudhoney und frühen Nirvana. Auch was Aussehen, Stimme und Mimik angeht. Tarcy und ihre Musikerkollegen berufen sich auf diese frühe Phase, bevor Grunge zur Popwelle mutierte. „Beispielsweise zählen wir auch die Melvins zu den Grungebands“, weiß Sängerin Tarcy und ergänzt auch Sonic Youth und The Pixies zu den großen Einflussgebern von Kurt Cobain & Co. „Stiftung Warenpest, die gerade spielt, beziehen sich sehr auf die Melvins, was uns sehr gefällt“, fügt Mirinda hinzu. „Grungopalooza“ – der Name für das kleine Leipziger Festival sei eine Wortneuschöpfung aus dem legendären Loolapalooza-Festival und dem noch aktiven Grungocalypse.

Stiftung Warenpest hat im Übrigen ihren allerersten Gig überhaupt hingelegt und das in Leipzig. Total Blizz – der Name einer weiteren Formation des Abends, die mit ihrer Mischung aus Tad und frühen Nirvana die meisten Fans in die Tonne locken konnte. Altersdurchschnitt der Gäste 18 bis 20. Dann wurde es offenbar zu spät für sie und mussten The Heroine Whores vor rund zwanzig Hanseln fast alleine lassen. Dabei haben sie etwas Erstaunliches verpasst. Trotz dass Drummer Martin ausschaut wie ein kleiner Bruder von Kurt Cobain, um nicht zu sagen wie ein Sohn, Sängerin Tarcy ein wenig Vergleiche zu dessen Ehefrau Courtney Love von der Band Hole zulässt, hat die Band vom Sound her wenig gemein mit einem üblichen Spiel mit den Vorbildern.Eigenständig, rotzig und ruppig der Sound von The Heroine Whores, der auch sehr gefühlvoll in die Ohren brettern kann. Ein Geheimtipp noch, aber diese Band kann sich wirklich sehen lassen. Zum Hüpfen haben sie auch einige Leute gebracht. Zumindest kletterte Total Blizz-Sänger Kris K. nochmal auf die Bühne und schrie mit Tarcy um die Wette.Den Leuten gefiel es und werden mit Sicherheit im nächsten Jahr beim 2. Grungopalooza vorbeischauen. Die Idee, Konzert mit kleiner Vorstellungsrunde, Szeneüberblick, Geschenke-Aktion und Moderation anzureichern ist jedenfalls sicher ein richtiger Ansatz für so einen Abend. Grungopalooza ist für Menschen in Flanellhemden schon jetzt nicht mehr aus der Leipziger Konzertlandschaft weg zu denken. Mal sehen, wann die Kreiselbewegung der Musikstile auch im Falle von Grunge wieder die Massen packt. Auszuschließen ist es keinesfalls.

The Heroine Whores ganz krachig mit erstem Album

Es ist schwarz, ruppig und laut. Die Leipziger Grunge-Band The Heroine Whores kam in die Spur und veröffentlichte im September 2011 sein erstes Album. Ganz in der Tradition von Tad, Hole und Nirvana wummern 15 Titel aus den Boxen. Ganz ohne Flower-Power-Ambitionen.

Tarcy Mirinda von The Heroine Whores (Copyright: Daniel Thalheim)
Tarcy Mirinda von The Heroine Whores (Copyright: Daniel Thalheim)

Als 1989 „Bleach“ von Nirvana erschien, interessierte das niemand. Dabei war das erdbebenartige Brummen in Schwarz der Auftakt zu etwas Größerem. 1991 war das Klagelied auf die Welt namens „Nevermind“ geboren und alle Welt redete von Grunge. Seattle war das Ding bis 1994/96 überhaupt, das mit Kurt Cobain und Layne Staley schnell gestorben schien. Es rumort unterm Beerdigungsteppich weiter. The Heroine Whores ist nur ein Beispiel, dass die Generation nach „Grunge“ immer noch was für die Mischung aus Punk, Folk und Metal übrig hat – und damit auch The Heroine Whores, die 1991 zum Teil noch gar nicht auf der Welt war.

Mein Gott – ist das schon so lange her, als man „About A Girl“ gut fand? Diese substantielle Schwärze in „Negative Creep“, brachiale Wut gepaart mit schäumender Folk-Lyrik hat niemand so roh und unverfälscht auf einen Tonträger gebrüllt-gegossen wie Nirvana. Soundgarden – nun ja, haben eher auf die Siebziger geschielt und auf Metal, wollen 2012 wieder in Erscheinung treten. Alice In Chains hauten in dieselbe Kerbe – nur depressiver, Pearl Jam irgendwie wütender aber auch soft. Ein großer Teil der Musiker hing an der Nadel und verstarb auch an den Folgen ihrer Sucht. Liebevolle Schlachthymnen der Moderne haben nun The Heroine Whores mit 15 Titeln durch die Nadel gepresst. Selbsthass, Verzweiflung und Schwarzseherei auch auf „Caution – Contains Confusing Calm“ Ausdrucksmittel für drückend-brütende Töne. Sängerin Tarcy Mirinda hat genügend rostige Nägel gefressen, um wie eine Chimäre von Courtney Love und Kurt Cobain zu klingen, nur leider ohne von deren vielfarbigen Kehlklängen zu schöpfen. Doch auf dem „Caution: Contains Confusing Calm“ kommt etwas anderes zu tragen: der eingefressene Zorn des Melancholikers, der in Stücken wie „Sheep“ zum Tragen kommt, sich aber auch in ruhigeren Liedern wie „Age Battery“ niederschlägt.

1989 war Nirvana Underground, ebenso eine andere Gruppe namens Tad. Und beide waren 1989 und 1990 alles andere als berühmt. Damals noch hand- und hausgemacht – ohne große Vertriebe, Plattenfirmen und Kommerzrummel. Dass The Heroine Whores ihre Scheibe selbst produziert und gestaltet hat, zeigt dass echter Untergrund noch von der punkigen Do-It-Yourself-Attitüde lebt und nicht auf das Internet-Digital-Gebrumm angewiesen ist. So steht aktuell eine deftige Platte ins Haus an. „Caution – Contains Confusing Calm“ verteilt statt Handküsse eher Ohrfeigen, schleift sich mit krachigen Feedback-Orgien langsam ins Gedächtnis ein und hat durchaus genügend Basis, um mit dem nächsten Album an die großen Helden aufschließen zu können.

Dazu braucht es aber auch an kompositorischer Tiefe, wie sie Kurt Cobain & Co. an der Akustikgitarre zu schreiben vermochten. Trotz aller Kritik ist The Heroine Whores mit „Caution – Contains Confusing Calm“ eine eigenständige Grunge-Platte gelungen, die aufmüpfig genug ist, um in der einst vom Mainstream geschluckten und nun klitzekleinen Szene Wellen zu machen.

The Heroine Whores: Brachiales Wohnzimmerkonzert mit Trommelschaden im Helheim

Es war ein beherzter Sprung. Dann war ein „Trommelfell“ gerissen. Fans feierten am Samstagabend im Helheim ausgelassen das erste Studiowerk der Leipziger Grunge-Band The Heroine Whores. Mit dabei die Metalband Janice, viele selbstgefertigte T-Shirts und signierte CDs. „Caution: Contains Confusing Calm“ lockte ein feierwütiges Publikum an.

Es sind echte Fans, wenn sie nach einer Stunde ausdauerndem Herumspringen schwitzend vor der Helheim Kneipe stehen und noch ganz aufgeregt sind von den Klängen, die The Heroine Whores am Abend lieferten. Leadsängerin Tarcy Mirinda und ihre Mitstreiter Hanne und Martin haben alles gegeben, um ihre Fans zufrieden zu stellen. Zuvor aber hatte die Metalband Janice ihren umjubelten Auftritt zwischen Kachelofen und Ledercouch hingelegt und viele Leute angelockt.

Doch der Fokus lag am Samstagabend auf The Heroine Whores und einer kleinen Verlosungsaktion aus der Ramschkiste von Tarcy Mirinda. Am 3. September erschien die Whores-Scheibe via Projektil Records, einem kleinen Indielabel aus Leipzig, das mit Toxic Society, Star Roxx und Die Barracudas drei weitere Bands unter Vertrag hat. Geschäftsführer Andy Freyer ist mit seiner Plattenfirma noch ganz am Anfang und im Aufbau begriffen, ist sichtlich stolz auf die Scheibe von The Heroine Whores. Deshalb zückt er gleich ein paar CDs aus dem Verkaufskarton, um sie gegen ein Geldscheine zu tauschen. Nebenan wummern Tarcy & Co. ihre Lieder von „Caution: Contains Confusing Calm“ zu denen die Fans ohne Pause zu machen ganz schön abhotten.

Dann ein beherzter Sprung eines Fans ins Drumkit von Janice, die aber den Schaden von einem Grunge-Fan sofort ersetzt bekamen – ein Fell war gerissen. Der Rest war stabil genug und The Heroine Whores sichtlich froh, dass sich alle gütlich geeinigt hatten und fingen fleißig an die frisch verkauften CDs zu signieren. Der Abend war gegen Null Uhr lange nicht zu Ende – gefeiert wurde lang. Die Band zuversichtlich angesichts des Zuspruchs aus der kleinen Grunge-Szene Leipzigs. Von Kritik lassen sich die drei nicht beirren, wollen sich weiter entwickeln und sind guter Dinge, dass bald neue Songs folgen werden.

Ostdeutsche Musiker anders porträtiert: Filmemacher Daniel Günter Schwarz über ein spannendes Filmprojekt und Klein-Paris

Unloved 2012 (Copyright: Daniel Günter Schwarz)
Unloved 2012 (Copyright: Daniel Günter Schwarz)

Daniel Schwarz ist ein junger Filmemacher, der in Leipzig seine Ziele umsetzt. Mit seiner Arbeit will andere Menschen erreichen und Geschichten über Leute erzählen, die man sonst nicht sieht. 7 x 7 x 7 Geschichten entstanden bei seiner Reise quer durch den Osten der Republik. Daniel Schwarz blickt mit seinem Projekt 7.7.7 tief.

Daniel Schwarz, du arbeitest an deinem Filmprojekt auch zu Bands in Ostdeutschland. Du kommst aus Bayern nach Leipzig. Was hat dich zu dem Projekt bewogen. Gibt es in Bayern keine Musiker? 

Oh, doch, die gibt es durchaus. In dem beschaulichen Rothenburg ob der Tauber, in dem ich zur Schule ging, musiziert es an jeder Ecke. Bis ich siebzehn Jahre alt war, hatte ich verschiedenste Instrumente im Ansatz gelernt und mich in diversen musikalischen Konstellationen versucht. Schon damals war ich von der Kraft guter Lieder beeindruckt. Menschen trauen sich hier, ehrlich über sich zu sprechen. Wenn nicht durch den Text, dann auf jeden Fall durch die Musik. Dies ist er Hauptgrund, warum ich wollte, dass aus jedem der sieben Orte in meinem Film ein Song ein Song gespielt wird.

Warum Ostdeutschland?

Zum Studium lebte ich vier Jahre in Paris und drei Jahre in Hamburg. Dann erst kam ich zum ersten Mal nach Leipzig. Seit vier Jahren lebe ich hier. Ich musste feststellen, dass mir diese andere Hälfte von meinem Land völlig unbekannt war. Ich war sechs, als die Mauer fiel, und in den nächsten elf Jahren meiner Schulzeit wurde mir nichts über den Osten vermittelt. Weder über die Geschichte der DDR, noch über den Alltag damals oder gar heute. Meine Lehrer sahen nicht, dass das neue Deutschland, abgesehen von seiner geographischen Veränderung, einen riesigen Erfahrungsschatz gewonnen hat, den es einzuarbeiten gilt. Ich beschloss also, meinen ersten Langfilm hier zu drehen und das alles besser zu verstehen.

Was kannst du zu deinem filmischen Konzept schildern?

Sieben Geschichten drehte ich an sieben verschiedenen Orten, aus denen je ein Song von einer örtlichen Band zur Verfügung gestellt oder sogar geschrieben wurde. Es gab kein Drehbuch. Nur eine Art Konzept. Die Orte fand ich, indem ich mit der Regionalbahn herumreiste. Es wurden: Leipzig, Eisenhüttenstadt, Görlitz, Altenburg, Buckow, Wittenberge und Boltenhagen. An jedem Ort fing ich wieder von null an. Ich wohnte drei Monate in der Stadt, lernte wunderbare Menschen kennen, die mir Einblick in ihre Welt gaben. Ich versuchte, meine Geschichten so zu schreiben, dass sie das Gefühl vermittelten, welches der Ort in mir erzeugte. Für den Dreh kam dann das Team angereist, zusammen mit einem der beiden Hauptdarsteller. Alle anderen Figuren wurden mit Menschen vor Ort besetzt, die sich selbst spielten.

::

::

Wen hast du auf deiner Reise ins Blaue angetroffen?

Auf der einen Seite traf ich Bürgermeister oder Vorstände der örtlichen Unternehmen, die mir bei der Finanzierung des Projektes halfen. Auf der anderen Seite saß ich abends in Kneipen und hörte mir die Geschichten aus einer anderen Perspektive an. Meine Begegnungen kamen immer durch mein ganz persönliches Interesse für die Menschen zu Stande. Ich wollte von Anfang an ein subjektives Bild einer Stadt zeichnen. Ich in der Stadt, zusammen mit Einheimischen, die mir einen Spiegel vorhalten. In allen Geschichten habe ich versucht, meine aktuelle Gedankenwelt einzubauen und diese anschließend dem Schauspieler in den Mund zu legen.

Also geht es bei deinem Film nicht um Musik allein, sondernum die Menschen hinter der Kulisse „Indie Pop“?

Den Begriff Indie Pop würde ich in diesem Zummenhang lieber nicht benutzen. Im Film kommen unterschiedlichste Musikstile zur Sprache. Da gibt es Hip Hop, akkustische Guitarrenmusik, neue klassische Musik, punk, deutsche Singer-Songwriter… Ich bat die Musiker, mir ein Stück zur Verfügung zu stellen, das auf der einen Seite ihren Ort beschreibt und auf der anderen Seite auch inhaltlich zu meiner Geschichte passt. Die Lieder haben eine ganz eigene Rolle in dem Film. Fast immer sind die Musiker im Bild zu sehen, der Betrachter hat Zeit, die Musik zu verinnerlichen.

Was hast du festgestellt, als du mit deinem Projekt bei verschiedenen Leuten vorstellig wurdest – Skepsis, Ablehnung, Offenheit?

In allen der sieben Städten bin ich auf sehr große Offenheit gestoßen. ich hatte mir das anfangs schwerer vorgestellt. Schließlich hatte ich kein Drehbuch, kam von der Kunsthochschule und wollte einen Film machen, der nicht in den Bereich der Komödie oder des Actionfilms einzuordnen ist. Die Menschen waren viel offener, als ich gedacht hatte. Obwohl viele von ihnen nicht viel über die Filmkunst wussten, konnten sie mit dem Projekt erstaunlich viel anfangen. Das hat mir großen Mut gemacht, meinen Weg so weiterzugehen. Sie haben mir geholfen, die fünf Jahre am Ball zu bleiben.

So unter uns als Bayer und Sachse – was macht Leipzig aus deiner Sicht so lebenswert?

Ich wohne im Leipziger Westen. Hier brodelt es. Viele Menschen probieren Dinge aus, entwickeln Ideen, frei, ohne großen finanziellen Druck – Dank der günstigen Mietpreise. Das zieht immer mehr interessante Menschen an, auch aus anderen Ländern. Heute muss ich meinen französischen Freunden nicht mehr erklären, warum ich von Paris nach Leipzig gezogen bin. Die kleinstädtische Ruhe und der „Jeder kennt jeden“ Effekt gibt mir schnell ein Gefühl von Heimat.

Also ist Leipzig doch ein „Klein-Paris“. Wir hoffen weiter auf spannende Filmprojekte von dir. Wie sieht deine filmische Zukunft aus?

Ich freue mich so sehr auf die erste Vorführung des Filmes. Wir arbeiten gerade am letzten Feinschnitt. Dann wird der Ton ordentlich gemacht. Als nächstes Projekt wird ein 70-minütiger Filmessay erscheinen über meine Reise nach Kiew, sieben Jahre nach der Orangenen Revolution. Mein nächster Spielfilm ist auch schon in Planung. An Ideen mangelt es mir nicht. Ich stecke volle Tatendrang und habe viel zu sagen.

Viel Erfolg und Dank.

Mehr zu Daniel Günter Schwarz und sein Film 777 Online:

www.danielguenterschwarz.com

www.777film.de

::

::

Leipziger Proberäume: Eigeninitiative ist gefragt

Wohin geht es mit den Bandproberäumen in Leipzig? (Foto: Daniel Thalheim)
Wohin geht es mit den Bandproberäumen in Leipzig? (Foto: Daniel Thalheim)

Musikerdasein ist ein hartes Brot, aber voller Träume. Dazu gehört auch ein Proberaum als Ort der persönlichen Entfaltung und Freiheit. Seit über zehn Jahren schwinden die Proberaummöglichkeiten in Leipzig. Die Lage für die Musiker verschärfte sich als 2010 im Hupfeld Center der Besitzer wechselte und die Mieten stiegen. 2012 gab es Querelen um das Proberaumzentrum in Leipzig-Reudnitz. Von der Agra verschwinden auch die Proberäume. Ein Projekt des Kulturhaus e.V. scheiterte ebenfalls vor kurzem.

Am 19. Juli 2012 fand in der VILLA Leipzig eine Podiumsdiskussion statt, die sich über die Leipziger Proberäume drehte. Die Leipziger Stadtratsfraktion DIE LINKE schrieb unter Federführung von Stadträtin Juliane Nagel einen Antrag, der die Kulturverwaltung in Bezug auf die Vermittlung von städtischen Liegenschaften für Proberaumprojekte in die Pflicht nehmen will. Für rund 250 Bands, die VILLA-Projektleiter für Musisches in der VILLA, Dirk Tschentscher-Trinks genannt Beck angibt sind zu wenig Möglichkeiten für Proberäume vorhanden. Womöglich existieren mehr Bands in Leipzig. Glissa-Managerin Sonja Zierow erzählte von der Odyssey ihrer Leipziger Popband von dem kürzlich geschlossenen Objekt in der Pittlerstraße hin zu einer Metallbaracke in Eutritzsch, wo inzwischen auch „Die Prinzen“ proben sollen.

Kulturbürgermeister Michael Faber forderte mehr Eigeninitiative von den Leipziger Musikern. Der Leipziger Kulturdezernent gab in der mäßig besuchten Podiumsdiskussion an, dass sich die Leipziger Ämter nach einer gemeinsamen Verständigung nicht auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen konnten. Städtische Liegenschaften kämen wegen der hohen Brandschutzvorschriften nicht für Proberaum-Zentren in Betracht. Auf Nachfrage eines Musikers im Publikum zeigte sich Faber offenherzig als es um Freiräume auf Betriebsgeländen der Stadtwerke und anderen kommunalen Unternehmen geht. Eine Überlegung, die er mit in sein Büro nahm, war auch das von ihm offensichtlich vergessene Projekt des ehemaligen Postbahngebäudes an der Brandenburger Straße. Der anwesende Investor kritisierte Faber und holte sein Projekt wieder in die Erinnerung des Kulturbürgermeisters. Das Objekt ist wieder im Rennen für die Entwicklung eines Band-Zentrums.

Konkret legte Faber auf den Tisch, dass ab 2013 für die Leipziger Bandcommunity eine Verdoppelung ihrer institutionellen Förderung auf 66.600 Euro erfolgt. Auch zur Schaffung einer Koordinierungsstelle für Leipziger Proberäume, wie es von ihm hieß. Dazu müsste aber die Bandcommunity stilistisch breiter aufgestellt sein, meinte Mourning-Rise-Bassist Jürgen Kasek. Aber es gibt in Leipzig genügend andere Initiativen, die ihr „eigenes Ding durchziehen möchten“. Eine Ansicht bei der die Beteiligten auf dem Podium zustimmten.

Kasek schlug vor, dass ein weiteres Zentrum für Leipziger Bands erforderlich ist, um den kompletten Bedarf abzudecken. Eine Überlegung, die sich Tschentscher-Trinks gen. Beck, Sonja Zierow und Juliane Nagel anschlossen. Dabei führte die Diskussion ein wenig weg von der Proberaumproblematik und zeigte das Potenzial, das so ein Zentrum regional haben dürfte, wenn dort Aufnahmestudios und -technik untergebracht würden, sowie weitere kommerziell arbeitende Gewerbe wie Merchandising- und Vertriebsfirmen, Musikinstrumentenverkauf und Musikmedien. Erkennt Leipzig das Wirtschaftspotenzial eines Zentrums für Proberäume und Popkultur?

Das sind aber Fragen, die die Musiker in Initiativen und Vereinen an die Verwaltung der Stadt Leipzig herantragen müssten. Anfragen von einzelnen Musikern könnten aber vom Kulturamt nicht beantwortet werden. Am besten wäre es laut Faber, wenn solche Initiativen bereits Konzepte und Objekte in der Tasche hätten. Dass zur Findung solcher geeigneten Objekte auch weitere Ansprechpartner, Verbände und Vereine wie „Wächterhaus e.V.“ angesprochen werden können, sendete Faber als Botschaft an die Leipziger Musiker. Auch die kreativwirtschaftlichen Netzwerke und Angebote der Stadt dürften als Ansprechpartner dienen. Die Vermittlung an die geeigneten Gesprächspartner müsse laut Faber dann die Bandcommunity als kommunaler Partner übernehmen, ebenso die Suche nach geeigneten Proberäumen in entsprechenden Objekten.

Kasek warf ein, dass diese nicht in Misch- und Wohngebieten liegen dürfen und alle Bedürfnisse der Bands unter einem Dach vereinen müssten. Dazu gehören auch Auftritts- und Workshopmöglichkeiten. Juliane Nagel wird entsprechend der Ergebnisse ihren Antrag überarbeiten und zum gegebenen Zeitpunkt beim Stadtrat einreichen. Kritisch sieht sie, dass sich die Leipziger Ämter aus der Verantwortung entziehen, direkte Unterstützung für die Suche von geeigneten Orten für Proberäume zu leisten.

So ganz ergebnissoffen verlief die Podiumsdiskussion nicht. Anregungen und Ideen nahm jeder aus der Diskussion mit. Die Initiative liegt jetzt aber ganz bei den Leipziger Bands. Faber zog Beispiele aus anderen europäischen Städten wie London heran, wo Bands lange Strecken in Kauf nehmen würden, um zu ihren Proberäumen zu gelangen. Warum sich nicht auch im Leipziger Umland umschauen und vielleicht auch ein wenig von der Initiative der Leipziger Jazzer abschauen wie sie sich in der Leipziger Härtelstraße ganz ohne Fördermittel ein Musikerzentrum aufbauen. Das ist aber für die Anwesenden nur eine Ausflucht und weicht dem Problem in Leipzig nur aus. Generell braucht es in Leipzig ein weiteres Band-Zentrum – und das nicht nur für Metal-Bands.

Turn it up: Karl-Heinz Gerstenberg möchte Erfahrungsaustauch anregen

Am 24. Januar können Musiker und alle, die mit Musik zu tun haben, die „Turn it up“ besuchen. Im Werk II finden Podiumsdiskussionen statt, die eher Fragen an die Leipziger Musikerszene stellen und Angebote aufzeigen möchte. Grünen-Abgeordneter des sächsischen Landtags und paralamentarischer Geschäftsführer der Fraktion Karl-Heinz Gerstenberg über die Idee der „Turn it up“. Ein Interview vom 17. Januar 2011 für die Leipziger Internet Zeitung.

Herr Gerstenberg, wann wurde „Turn it up“ ins Leben gerufen, von wem und warum?

Wir wollen als Grünen-Landtagsfraktion mit dieser Veranstaltung unsere sachsenweiten Initiativen zur Unterstützung von Kulturschaffenden und der Kreativwirtschaft fortsetzen. Die Musikszene ist für uns wichtig, weil sie Motor und Ausdruck kulturellen Lebens ist. Musik ist ein Sprachrohr in unserer Gesellschaft und fördert die soziale Integration. Musiker und Musikunternehmen erbringen auch wirtschaftliche Leistungen.

Wenn man all diese Funktionen sieht, ist es nur schwer verständlich, warum die Szene momentan in Sachsen so wenig Unterstützung erfährt. Es ist also Zeit, das Thema wieder in die Öffentlichkeit zu bringen und politisch zu handeln.

Welche Erwartungen knüpfen Die Grünen an diese Veranstaltung?

Es wird nicht darum gehen, dass wir ein fertiges Konzept vorstellen und nur noch um Zustimmung werben. Vielmehr sind wir darauf angewiesen, dass die Beteiligten uns ihre Erfahrungen schildern: Wie ist die Situation aus Sicht der verschiedenen Akteure? Wo liegen die Probleme? Welche Formen von Förderung und Beratung sollten sinnvollerweise auf- oder ausgebaut werden?

Deshalb hoffen wir, dass möglichst viele Interessierte am 24. Januar kommen und sich für ihre Belange einsetzen, ob aus Pop, Rock, elektronischer Musik, Jazz oder auch Klassik, ob einzelne Künstler, Produzenten, Labelmacher, Veranstalter oder Akteure aus Musikmedien und Musikbildung. So soll die Veranstaltung Akteure miteinander vernetzen. Nur wenn sich die Szene organisiert und konkrete Forderungen an die Politik richtet, kann sie etwas bewegen. Die Ergebnisse wollen wir in unserer politischen Arbeit aufgreifen.

Welche Impulse braucht speziell die sächsische Musikszene?

Vor allem muss die öffentliche Debatte angestoßen und darauf hingewirkt werden, dass die Musikszene in ihrer kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung ernst genommen wird. Weiterhin werden konkrete Vorschläge gebraucht, was sich ändern muss.

Bei der Frage der finanziellen Förderung geht es zum einen um die Kulturförderung, die immer knapper ausfällt. Das hat sich mit dem aktuellen Landeshaushalt und der Kürzung der Kulturraummittel durch die CDU/FDP-Koalition noch verschärft. Probleme bereiten häufig die bürokratischen Verfahren und auch, dass vieles aus dem freien Musikbereich durch das Raster fällt, weil in erster Linie Einrichtungen oder Events gefördert werden. Hier sollten die Musikschaffenden und deren spezifische Bedingungen stärker in den Fokus genommen werden.

Wir müssen im Freistaat Sachsen zum anderen auch der wirtschaftlichen Seite mehr Bedeutung beimessen. Zwar darf man die Musikszene nicht nur auf das Ökonomische reduzieren, man muss aber zur Kenntnis nehmen, dass auch Musiker oder zum Beispiel kleine Labels am Wirtschaftskreislauf teilnehmen, selbst wenn sie nicht primär kommerzielle Erfolge anstreben. Das fängt schon beim Kauf von Instrumenten an. Für Aufnahmen, Promotion, etc. werden Leistungen nachgefragt und es werden Leistungen angeboten, bei Auftritten und beim Verkauf.

Die Branche steht zudem prototypisch für den Wandel der Arbeitswelt: Hier schaffen Menschen ihren eigenen Arbeitsplatz und regen eine Wertschöpfungskette mit weiteren kleinteiligen Gewerben an. Wir wollen, dass mehr Menschen in Sachsen von Musik leben können, dass sie Kreativität und wirtschaftliche Aktivität verbinden können. Dieses wirtschaftliche Potenzial muss man auch gegenüber der Wirtschaftspolitik klar machen, damit Förderungen von Musikern und Musikunternehmen endlich als sinnvolle Investitionen verstanden werden.

Die Teilnehmer erfahren am 24. Januar, welche Förderungsmöglichkeiten derzeit bestehen. Es soll aber auch diskutiert werden, welche spezifischen Förderinstrumente für Selbstständige und kleine Unternehmen im Musikbereich angemessen wären, denn die gängigen, an der Industrie orientierten Förderinstrumente greifen hier nicht. In anderen Ländern wird zum Beispiel mehr mit Mikrokrediten oder gezielten Förderungen für Produktionen und Tourneen gearbeitet. Die Branche muss die Chance haben, sich zu entwickeln, zum Beispiel neue Absatzwege jenseits von CD-Verkäufen zu erproben, die Musikern einen finanziellen Erwerb verschaffen. Bei den finanziellen Leistungen muss man überlegen, wie man die gesamte Kette von Nachwuchsförderung, Produktion, Vertrieb, Promotion gezielt fördern kann, was wiederum die freie Musikkultur im Gesamten beleben kann.

Über die finanzielle Unterstützung hinaus braucht die sächsische Musikszene eine bessere Beratung und Vernetzung. Wir fragen deshalb nach dem Stand der Dinge: Welche Beratungsangebote gibt es vor Ort? Wie kann man diese stärken? Wichtig wird es sein, Strukturen auf Landesebene zu schaffen. Seit Längerem wird eine Anlaufstelle gefordert, die Aktivitäten koordiniert, Weiterbildung anbietet, Szenetreffen organisiert. Ihre Leistungen müssen den Bedingungen im Musikbereich gerecht werden.

Aus bislang mit Musikern geführten Interviews ist ersichtlich, dass es eine gewisse Skepsis, aber auch Neugier zur Veranstaltung gibt. Kann Politik tatsächlich eine Vermittlerrolle einnehmen, einen Dialog mit Musikern und Musikschaffenden führen?

Wenn Politik sinnvolle Konzepte entwickeln und umsetzen will, dann muss sie mit den Menschen ins Gespräch kommen, die das politische Handeln betrifft. Uns ist natürlich klar, dass die Impulse vor allem aus der Szene selbst kommen müssen. Wichtig ist, dass sich die Szene organisiert und ihre Interessen bündelt. Wir wollen daher Akteure zusammenbringen, ihnen Raum zum gegenseitigen Austausch mit anderen Musikschaffenden und Musikunternehmern aus Leipzig und Sachsen eröffnen.

Bei „Turn it up!“ können sich die Beteiligten auch über verschiedene praktische Angebote informieren, zum Beispiel Bandcoachings, günstige Produktionsmöglichkeiten, Kooperationspartner in der Kreativszene oder Beratung für Kleinst- und Kleinunternehmen im Musikbereich. Dazu werden Initiativen und Unternehmen ihre Projekte und Angebote präsentieren und für Fragen offen stehen, darunter die Leipziger Bandcommunity, die Initiative Kreatives Leipzig und das SAE Institute Leipzig.

Mit welchen Erkenntnissen und Vorkenntnissen geht „Turn it up“ am 24. Januar im Werk II über die Bühne?

Die Diskussion setzt selbstverständlich an den Erfahrungen aus früheren Förderprogrammen und bestehenden Netzwerken an. Die Strukturen in anderen Bundesländern kann man sich anschauen, inwieweit sie auf Sachsen übertragen werden können. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Aspekte vermittelt der erste sächsische Kulturwirtschaftsbericht von 2008 zumindest eine gewisse Vorstellung davon, welche Chancen und welche Hürden es für die sächsische Musikbranche gibt. Die Handlungsempfehlungen fielen darin ja eher dürftig aus. Seitdem ist aufseiten der zuständigen Ministerien für Wirtschaft und für Kunst auch nichts Wesentliches mehr passiert.

Gibt es eigentlich statistische Erhebungen zur Netzwerkbildung von Musikern untereinander?

Uns liegen dazu keine empirischen Ergebnisse vor. Das wird natürlich auch schwer zu erfassen sein, weil viel Bewegung in der Szene ist. Im Gespräch mit einzelnen Musikern wird aber häufig das Gefühl geäußert, dass man in Sachen Vernetzung viel mehr machen kann. Außerdem wird diese in einzelnen Szenen unterschiedlich ausgereift sein. Sicherlich könnte man dabei viel voneinander lernen.

Emergenza, Bessere Zeiten und vieles mehr: Welche Ergebnisse liegen vor, was die Wirkung von Wettbewerbsteilnahmen von Bands angeht?

Wir wissen, dass Wettbewerbe nicht alles sein können. Sie können einzelnen Bands kurzfristig große Aufmerksamkeit verschaffen. Für den Bereich elektronischer Musik gibt es ähnliche Veranstaltungen übrigens noch viel zu selten. Besser ist aber eine Verknüpfung verschiedener Maßnahmen: beispielsweise Musikercoachings, Probe-, Aufnahme- und regelmäßige Auftrittsmöglichkeiten, Weiterbildung in Sachen Musikrecht oder Existenzsicherung.

Was wird mit den Ergebnissen geschehen, wenn die Podiumsdiskussionen und Workshops ausgewertet sind?

Wir wollen das Thema ausgehend von den Erfahrungen und Positionen der Beteiligten wieder auf die Tagesordnung des Landtages setzen. Die Politik muss auf die Defizite aufmerksam gemacht werden. Wir wollen eine politische Diskussion, welche Forderungen wie umsetzbar sind, und werden uns für Maßnahmen einsetzen, die sich an den Bedürfnissen der Szene ausrichten.

Vielen Dank für das Interview, Herr Gerstenberg.

Turn it up: Interview mit Uwe Küffner, Bandmanager der Leipziger Metalband Arranged Chaos

Es geht um Proberäume und Jugendförderung - Uwe Küffner, Manager von Arranged Chaos (Foto: Daniel Thalheim)
Es geht um Proberäume und Jugendförderung – Uwe Küffner, Manager von Arranged Chaos (Foto: Daniel Thalheim)

Uwe Küffner betreut „seine Jungs“ schon seit Jahren. Als Manager von Arranged Chaos weiß er aus seiner Sicht, wie es für die Leipziger Band läuft. Die Grünen-Veranstaltung „Turn it up“ interessiert ihn. Er wird auch vor Ort sein, wenn Ideen und Konzepte zur Musikerförderung auf dem Podium des Werk II am 24. Januar ausgetauscht werden. Ein Interview vom 14. Januar 2011 für die Leipziger Internet Zeitung.

Uwe, als Manager von Arranged Chaos, beschreibe doch bitte deine Lebensituation – ist Musikmachen wirklich so rosig wie das Resultat auf CD glänzt?

Von rosigen Zeiten sind wir als Metalband weit entfernt. Selbst bei den deutschen Topacts müssen fast alle Leute einer regulären Beschäftigung nachgehen, um ihre Brötchen zu verdienen. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Bands wie wir, werden trotz Plattenlabel und international erschienenem Album so schlecht bezahlt, dass es gerade so zur Deckung der Kosten reicht. Wenn einmal etwas übrig bleibt, freut sich die Bandkasse, um mal eine Reserve zu bilden oder Shirts drucken lassen zu können. Es gibt also nichts zu verteilen.

Kosten werden gemeinsam getragen, Equipment jeder selbst – es ist und bleibt ein beinahe luxoriös zu nennendes Hobby. Eines soll aber auch einmal deutlich gesagt werden: Musik machen ist nicht nur Hobby – es ist in erster Linie harte Arbeit und jede Menge Einsatz an Zeit und Engagement. Viele Musiker teilen das Schicksal derer, die trotz Arbeit von Ihrem Job nicht leben können. Demzufolge könnte – auch bei der geringen Anzahl an Gigs – keiner von uns ohne staatliche Hilfe oder normaler Arbeit vom „Muggen“ leben. Ausnahme: Unser Basser spielt in einer professionellen Rock-Coverband – der kann davon leben. In diesem Bereich gibt es noch reichlich gut bezahlte Gigs.

Ist es dann nicht gut, wenn schon soziolkulturelle Musikerangebote zusammengestrichen werden, dass es noch Bundesfördermittel gibt, die Musikern „helfen“ könnten?

Wir leben in der Marktwirtschaft. Wofür sollte der Bund uns Fördermittel geben? Können wir Fördermittel bekommen, um beispielsweise einen Bandbus zu kaufen? Wenn es sowas gibt, ist das gut – wird für uns aber wohl eher nicht relevant sein.

Förderung heißt für Bands wie uns Kontakte und soziale Netzwerke zu schaffen, Nachwuchswettbewerbe zu bespielen und sich nach Möglichkeit von Profis bei der Weiterentwicklung helfen zu lassen. Meistens kostet sowas aber auch Geld, was wir nicht haben.

Was qualifiziert einen Berufsmusiker?

In Leipzig gibt’s ja alle Möglichkeiten sich zum Profi ausbilden zu lassen. Der Unterschied zwischen einem beispielsweise an der Hochschule ausgebildetem Musiker und einem Amateur sind schon gravierend. Wer die Möglichkeit hat, soll es tun – ob man anschließend davon leben kann, ist eine andere Sache. Neuerdings können junge Amateure sich auch an der Theaterfabrik zum Profi ausbilden lassen. Das kostet aber wieder einige hundert Euro im Monat. Auch schwierig.

Verdienen Musiker nicht mit Auftritten und CD-Verkäufen genug, über die Runden zu kommen? 

In Deutschland wohl eher nicht, zumindest nicht im Metalbereich. In anderen Genres mag das schon gehen, aber da sind die Fleischtöpfe wie überall auch verteilt. Den Rest habe ich schon erklärt.

Warum sollte Kultur aus deiner Sicht politisch und finanziell unterstützt werden? 

Es ist sinnvoll. Inbesondere Kinder und Jugendliche sollte jede nur denkbare und machbare Unterstützung bekommen sich kulturell zu beschäftigen. Das bereichert jeden Einzelnen und unsere Gesellschaft. Es kann auch nicht nur die Aufgabe von ehrenamtlichen Vereinen sein Talente zu fördern, da sind auch Staat und Politik gefragt. Mittel kürzen und sinnvollen, guten, wertvollen Einrichtungen das Überleben unmöglich zu machen, ist der falsche Ansatz.

Turn it up: Nadine Maria Schmidt von Frühmorgens am Meer über neue Wege

Was mich antreibt ist die Liebe zur Musik und zu den Menschen, die sich von ihr berühren lassen. - Nadine Maria Schmidt von Frühmorgens am Meer.
Was mich antreibt ist die Liebe zur Musik und zu den Menschen, die sich von ihr berühren lassen. – Nadine Maria Schmidt von Frühmorgens am Meer.

„Turn it up“ heißt die politische Veranstaltung der Landtagsfraktion der sächsischen Grünenam 24. Januar im Werk II. Inzwischen haben Joey A. Vaising und Jürgen Kasek ihre Meinungen zur Diskussionsrunde mitgeteilt. Nadine Maria Schmidt von Nylonsaiten & Saitenstrümpfe denkt auch über die Lebenswirklichkeit von Musikern nach und beschreitet mit ihrer Band neue Wege. Ein Interview vom 13. Januar 2011 für die Leipziger Internet Zeitung.

Was denkst Du über so eine Veranstaltung wie das „Turn it up“?

Prinzipiell stehe ich solchen Veranstaltungen immer erst einmal offen gegenüber. Weil es ist ja schon mal viel wert, wenn es Menschen gibt, die ein Defizit feststellen und darüber reden wollen. Immerhin! Vorher schon drüber zu meckern, dass hinterher auch wieder nur nichts bei rauskommt, finde ich fehl am Platz. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlicher weise zu Letzt. Aber dennoch sollte das Ziel sein den Worten, Taten folgen zu lassen.

Nadine, als Musikerin, beschreibe doch bitte deine Lebensituation – ist Musikmachen wirklich so rosig wie das Resultat auf CD glänzt? 

Erst einmal dahin kommen, dass da überhaupt was rosig auf einer CD glänzt. Schon das allein ist eine große Hürde, gerade wenn man kein Grundkapital zu Verfügung hat. Ich bin Studentin und lebe noch von Bafög und Nebenjobs. Aber mit Bafög ist es dann ab Oktober auch vorbei und ich hab noch keine Ahnung wie es dann weitergeht. Ab und zu höre ich von anderen: „Na Du kannst doch bestimmt schon von der Musik leben!“ Pustekuchen! Das Projekt trägt sich mit Ach und Krach selbst. Oft zahle ich aber auch immer noch drauf.

Wo früher die Plattenbosse zu güldenem Ross anritten und junge Musiker mit in ihr Schloss nahmen, reitet heute eine weinerliche Gestalt, die verbittert auf die mp3-Generation blickt und keinen Cent mehr für unbekannte Musiker ausgeben möchte und kann. Zu groß sind die Einbußen in den CD-Verkäufen.

Was heißt das für uns? Der Musiker von heute kann nicht nur Musiker sein und das tun , was er wirklich kann. Nein! Sein und damit auch mein Hauptarbeitsort ist der Computer mit facebook, myspace und Co. Man muss nicht nur seinen Musiker stehen, sondern überwiegend auch seinen Marktwirtschaftler, Booker, Layouter, PR-Journalist, Manager, Webdesigner, Programmierer, Web/Print/Radio- Promoter, Arrangeur, Produzent, und natürlich nicht zu vergessen seinen Geldranschaffer. Zwischendurch schreibt man dann Magisterarbeiten und Abschlussprüfungen und macht mal eben eine Tour, die Dich dann fast noch mehr Zeit und Geld beim Booken und vorbereiten kostet als die eigentliche Tour dann dauert. Aber das soll hier nicht wie Jammern klingen! Nein! Ich liebe diesen Job! Ich kann mir nichts besseres vorstellen! Es ist genau das, was ich machen möchte! Zuhörer und treue Fans geben einem das, was man mit Geld nicht kaufen kann. Nur der Fakt, dass ich was in meinen Bauch brauche, ein Dach übern Kopf und meine Krankenversicherung bezahlen muss, macht die Sache ab Oktober ungemütlich. Und als Student ist nichts mit ALG II.

Aber als Band versuchen wir gerade neue Wege zu gehen, die zur derzeitigen Lage der Musikindustrie besser passen. Plattformen wie „sell a band“ machen es uns vor. Wir suchen jetzt „Die Besten-Fans-der-Welt“, die unser Album schon vor der Produktion bezahlen und Sponsoren, die á la Crowdfunding in uns und damit auch ihr Unternehmen investieren. So hoffen wir einen Anteil über Hilfe von außen zu finanzieren und das alles noch mit dem Hippigedanke: Alle zusammen! Hau ruck! Für Privatpersonen denke ich mir gerade auch noch ein paar Schmankerl aus. Das ist unser Weg. Wo er hinführt, dass wissen wir nicht. Aber das wäre ja auch langweilig!

Was mich antreibt ist die Liebe zur Musik und zu den Menschen, die sich von ihr berühren lassen.

Ist es dann nicht gut, wenn schon soziolkulturelle Musikerangebote zusammengestrichen werden, dass es noch Bundesfördermittel gibt, die Musikern „helfen“ könnten?

Na klar wäre es gut, ein Traum für jeden Musiker. Man könnte sich viel mehr auf die Musik konzentrieren, weil man nicht immer daran denken muss, wie man über den nächsten Monat kommt. Man könnte intensiver an den Songs arbeiten und wirklich mal Musiker sein. Auch einfach die Anerkennung, dass Musiker genauso ein Job ist wie jeder andere, wäre toll. Viele denken immer Musik ist nur ein Hobby. Sie sehen nicht wie viel Arbeit, Zeit und Geld dahinter steckt. Ich werde oft gefragt:

„Und was machst Du dann nach dem Studium? Unterrichten? Journalistisch arbeiten?“ Verdammt! Nein! Musik!

Was qualifiziert einen Berufsmusiker?

Ich würde da zweierlei Unterscheidungen machen. Zum einen gibt es da die wohl gängigste Erklärung: Ein Berufsmusiker ist der, der sich mit der Musik seine Brötchen verdienen kann. Und zum anderen die zweite Sparte: Berufsmusiker ist der, der Musik atmet, Musik schmeckt, Musik riecht, Musik schafft, es ist der der Musik nicht nur liebt, sondern auch lebt. Er ist Musik!

Beruf und Berufung sollten, meiner Meinung nach, die selbe Bedeutung tragen. Verdienen Musiker nicht mit Auftritten und CD-Verkäufen genug, über die Runden zu kommen? Ich denke, wenn man das Vollzeit macht und nicht noch arbeiten und studieren muss, dass es durchaus möglich ist. Kommt drauf an, was man für Ansprüche hat. Bei vielen KollegInnen, die davon leben, sehe ich, dass sie die Monate durchtouren, 30 Tage am Stück. Ich weiß nicht, ob das am Ende der Musik nicht mehr schadet als nützt. Vom Menschen, der jeden Tag wo anders ist und nie zur Ruhe kommt, gar nicht zu reden. Und CDs verkauft man überwiegend auf Konzerten, also wenn man noch in so Kinderschuhen steckt wie wir. Keine Ahnung wie das ist, wenn man bekannter ist. Ich denke das wichtigste ist: Durchhalten und tun, was man liebt!

Warum sollte Kultur aus deiner Sicht politisch und finanziell unterstützt werden?

Kultur, hier speziell die Musik, sollte gefördert werden, weil Musik gebraucht wird. Oft geht es nur darum immer mehr zu besitzen, immer irgendetwas darzustellen und zu erreichen, den Schlips zum Ersticken eng zu schnüren, zu funktionieren und am besten alle Schwächen zu verleugnen. Viele werden dann hart mit sich und ihrer Umwelt. Da setzt Musik an. Musik ist Therapie. Musik berührt und besinnt uns ganz oft wieder auf das Wesentliche: Mensch zu sein. Wir lieben, wir hassen, wir tun Gutes und Schlechtes, wir zweifeln, wir haben Angst, Wut, sind traurig und glückselig.

Wir sind. Keiner mehr, keiner weniger. Musik ist ein Auffangbecken für jedes Gefühl und für jeden Menschen, vielleicht einer der wichtigsten Orte wo man man selbst sein darf und mal nichts muss. Vielleicht auch ein Ort, wo man wieder neue Kraft für seine Arbeit und sein Leben schöpft. Und die Zufriedenheit der Menschen sollte doch Zentrum jeder Politik sein oder?

Turn it up: Jürgen Kasek von Mourning Rise – „Für die Aufnahmen nehmen wir den Jahresurlaub“

Jürgen Kasek ist Bassist bei Mourning Rise aus Leipzig (Foto: Daniel Thalheim)

Am 24. Januar ist eine gesellige Runde angesagt, wo Jürgen Kasek als Moderator mitmischen wird. Es geht um Musikerförderung in Zeiten der Geldkürzungen in den Bereichen Kultur, Jugend und Soziales. Davon sind natürlich die musikpädagogischen Angebote der soziokulturellen Zentren betroffen. Wie geht’s weiter? Der Mourning Rise-Basser und Sprecher der Leipziger Grünen mit einigen Antworten. Ein Interview vom 11. Januar 2011 für die Leipziger Internet Zeitung.

Jürgen, als Musiker, beschreibe doch bitte Deine Lebensituation – ist Musikmachen wirklich so rosig, wie das Resultat auf CD glänzt?

Nun wir in der Band, also Mourning Rise, haben den ähnlichen Vorteil, wie Legion of the Damned, wir müssen nicht von Musik leben, wir investieren unsere Zeit und einen Großteil des Geldes in die Band. Das sichert uns zwar einen umfassenden kreativen Freiraum, den auch unser Label (SCR) akzeptiert, schränkt aber zugleich die Möglichkeit Musik zu machen ein, da wir durch unsere Jobs stark zeitlich gebunden sind.

Bedeutet, dass wir für die Aufnahmen unseren Jahresurlaub nehmen müssen und Konzerte, die von uns aufgrund der eigenen Philosophie ohnehin nicht im Vordergrund stehen, fast nicht zu koordinieren sind. Auf der anderen Seite sind wir mit vielen Bands befreundet, die genau das machen – von Musik leben, oder es zumindest versuchen. Bei vielen läuft das darauf hinaus, dass noch der ein oder andere Nebenjob erfüllt werden muss oder Praktika, einige geben Unterrichtsstunden am Instrument oder arbeiten nebenher als Producer. Aber reich ist keiner und mitunter ist die finanzielle Decke so dünn, dass man auch im Sommer friert.

Ist es dann nicht gut, wenn schon soziokulturelle Musikerangebote zusammengestrichen werden, dass es noch Bundesfördermittel gibt, die Musikern „helfen“ könnten?

Die Grundfrage ist doch, will sich diese Gesellschaft unabhängige Künstler und Musiker leisten, ja oder nein. Einen Großteil der Politiker scheinen noch nicht begriffen zu haben, dass die Freiheit zur Kunst eine aufgeklärte Gesellschaft auszeichnet. Bei den Fördermitteln ist es doch so, dass ein Großteil der Bands und Musiker nicht von den Fördermitteln profitiert. Entweder weil der Eigenanteil zu groß ist, die Erfahrungen fehlt oder die Programme schlicht und ergreifend nicht zielgruppengerecht ausgerichtet sind.

Einige Musiker leben von ALG II und werden auch noch durch das System der Agentur für Arbeit (seit Anfang 2011 „Jobcenter“ / Anm. d. Red.) behindert, indem Sie immer wieder in nicht zielführende Programme gesteckt werden oder durch die Sanktionsdrohungen in ein Euro Jobs versauern. Der Zustand insgesamt ist unbefriedigend. Man darf dabei auch nicht vergessen, ein Großteil der Musik Schaffenden hat in erster Linie auch nicht pekuniäre Ideen im Hinterkopf und will sein kreatives Potential ökonomisieren. Dass heißt auch die Verengung auf reine Wirtschaftlichkeitsüberlegungen sind Gift für künstlerisches Potential.

Was qualifiziert einen Berufsmusiker? 

Das kann man unterschiedlich sehen. Man kann eine wissenschaftliche Definition nehmen und würde formulieren, dass Berufsmusiker all diejenigen sind, die Musik umfassend gelernt/studiert haben und nunmehr versuchen davon zu leben. Das würde aber meines Erachtens das ganze zu sehr einengen. Sagen wir es so Berufsmusiker sind all jenen, die sich so intensiv mit Musik auseinandersetzen, dass Sie versuchen davon zu leben. Qualifiziert wenn man es so nennen möchte, ist Mensch entsprechend dadurch, dass ein Großteil der Zeit dafür aufgewendet wird, etwas zu schaffen, dass einem selbst gewählten künstlerischen oder anders gearteten Anspruch standhält und dem Bereich der Musik zugeordnet werden kann. Dabei ist dieser Anspruch nicht temporär begrenzt sondern auf etwas längeres Dauerhaftes ausgerichtet.

Verdienen Musiker nicht mit Auftritten und CD-Verkäufen genug, über die Runden zu kommen? 

Klare Antwort: Nein. Zumindest die Meisten werden diesen Status nicht erreichen. Als Musiker bekommst du Anteile an den CD und Merchandise Verkäufen, die aber verschwindend gering sind, im Vergleich zu dem Verkaufspreis. Bedeutet, dass selbst eine Zahl von 10.000 verkauften Alben nicht ausreicht um davon leben zu können. Leben kann davon vielleicht eine Band wie Polarkreis 18, die aufgrund ihrer Größe und Bekanntheit genügend Umsatz generiert. Und bei den Auftritten kann das dann funktionieren, wenn du eine ausreichende Anzahl spielst.

Nimm eine durchschnittliche Band mit fünf Leuten in der Band plus ein Roadie. Rechne die Auftrittsgagen im unteren Segment ein, also zwischen 300- 800 Euro und du stellst fest, dass dafür schon verdammt viele Konzerte gespielt werden müssen. Und es ist auch dauerhaft kein angenehmer Zustand, ständig auf das Geld achten zu müssen.

Warum sollte Kultur aus deiner Sicht politisch und finanziell unterstützt werden? 

Kultur ist die Grundlage einer aufgeklärten Gesellschaft. Sie gibt Denkimpulse, greift Entwicklungen auf und regt Menschen zum Reflektieren an. Sie funktioniert auch als Bindeglied zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Schichten und hat damit auch eine Funktion für den Zusammenhalt einer zunehmend individualistisch geprägten Gesellschaft, deren Zentrifugalkräfte immer stärker zunehmen. Kultur nimmt auch einen Bildungsauftrag wahr.

Und schlussendlich nimmt Kultur auch am Wirtschaftskreislauf teil und trägt zur Wertschöpfung bei. Die Frage ist also nicht welche Kultur wollen wir uns leisten, sondern welche Kultur müssen wir uns leisten. Die finanzielle Unterstützung ist damit aus meiner Sicht unabdingbar.