Ans Licht geholt – Der wiederentdeckte Bauhaus-Künstler Karl Hermann Trinkaus

Von Daniel Thalheim

Es gibt Menschen, deren Geschichten erst Jahre nach ihrem Ableben an die Öffentlichkeit gelangen. Plötzlich wird einem bewusst, wie wichtig, wie stark oder auch wie schwach sie gewesen sind und wie sie das gesellschaftliche Leben Leipzig einst prägten. So eine Biografie kam von dem Leipziger Bauhaus-Künstler Karl Hermann Trinkaus ans Licht. Die Umstände seiner Wiederentdeckung erzählen wiederum von anderen Schicksalen. Das Museum der bildenden Künste nimmt sich dem 1965 verstorbenen Grafiker an und will 2019 eine Ausstellung über ihn veranstalten.

Unsichtbares wird sichtbar – von einem vergessenen Nachlass eines Leipziger Künstlers

Karl Hermann Trinkaus (*18.04.1904 Leipzig, † 25.12.1965) gehört nicht unbedingt zu den Bauhaus-Künstlern, die man in einem Atemzug mit Laszlo Moholy-Nagy, Paul Klee, Josef Albers und Wassily Kandinsky nennt. Der Leipziger Grafiker und Collagist führte zeitlebens eher ein unauffälliges Leben, wenn er auch – mit Unterbrechungen – stets künstlerisch tätig war. Zu seinen Lebzeiten blieben Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen aus – und damit auch die nötige Anerkennung für seine Kunst. Zeitgenössische Schriften und Artikel über sein Werk schlugen sich während seines Schaffens nicht nieder. Karl Hermann Trinkaus war bis zur Bauhaus-Ausstellung 2009 im New Yorker Museum Of Modern Art, wo eine seiner Arbeiten zusammen mit anderen Arbeiten weiterer Bauhauskünstler gezeigt wurde, unsichtbar. In Leipzig-Dölitz schlummerte über 50 Jahre lang unterdessen sein Nachlass, zumindest das was davon übrig blieb, einen Dornröschenschlaf. Über 200 seiner Arbeiten wurden 2017 von der Erbgemeinschaft in einen Werkkatalog zusammen gefasst. Zuvor wogte ein Hin und Her über die Echtheit des künstlerischen Nachlasses durch den Online-Blätterwald und Rechtsanwaltstuben. Eine lückenlose Provenienz entkräftet jedoch die in den Raum gestellte Behauptung einer Berliner Kunsthistorikerin, dass einige an internationalen Kunstauktionshäuser angebotenen Collagen Fälschungen seien. Fast schon wie die unbestrittene Provenienz der Werke zu untermauern wird – anlässlich auch des Bauhaus-Jubiläums 2019 zu Trinkaus’ Nachlass im Museum der bildenden Künste in Leipzig eine Ausstellung vorbereitet, wobei auch die ausgestellten Arbeiten auf ihre Materialechtheit überprüft werden. Die Erben des Trinkaus-Nachlasses können aufatmen. Denn einen Teil des Nachlasses wollen sie Auktionshäusern anbieten, verkaufen können sie aber nichts. Es gibt keine Angebote dafür. Der Grund: zwei Beiträge zweier großer Nachrichtenportale verbreiten seit 2013 und 2015 die Information, dass Trinkaus-Collagen laut Einschätzung einer Berliner Kunsthistorikerin womöglich Fälschungen sein könnten. Angeblich sei der Bauhaus-Stempel, den Trinkaus als Schüler am Bauhaus Dessau zwischen 1927 und 1928 nutzte, nicht fälschungssicher. Außerdem hätte sich seine Signatur über die Jahre geändert. Ihr Urteil stützt sich lediglich auf das Sichten von Online-Bildern, heißt es hingegen von den Erben. Sie habe nie die Originalcollagen und -zeichnungen in ihren Händen gehalten. Die Erben wollen mit dem Verkauf einiger Arbeiten aus dem Nachlass die Anwalts- und Verfahrenskosten ausgleichen, die während des jahrelangen Streits mit der Berliner Kunsthistorikerin entstanden sind. Hinzu kommen gesundheitliche Probleme. Vom Ärger mit den daraus folgenden Untersuchungen des Berliner Landeskriminalamts ganz zu schweigen, heißt es von den Erben weiter, die nicht öffentlich genannt werden wollen. Erst mit der Ausstellung im MdBK würde, so hoffen die Erben, die Reputation des Trinkaus-Nachlasses wieder hergestellt. 2017 wurden 35 künstlerische Arbeiten aus dem Nachlass durch die Erben der Bauhaus-Stiftung in Dessau übergeben. 

 

Wer war Karl Hermann Trinkaus?

Als der Sohn eines Lithografen gleichen Namens – Karl Hermann Trinkaus (*11.08.1878, † 18.02.1980) – 1904 in Leipzig auf die Welt kam und dort und in Zwenkau aufwuchs, schien er in gut behüteten Verhältnissen gelebt zu haben. Die Familienfotos zeigen eine Familie, die anhand ihrer Kleidung einen bürgerlichen Anspruch vertrat. Karl Hermann Trinkaus jnr. besuchte zunächst von 1910 bis 1912 die Mittlere Volksschule in Zwenkau, danach in Stötteritz die 17. Bürgerschule von der er am 21. März 1918 entlassen wurde. Von 1919 bis 1920 ging er in die Städtische Gewerbeschule in Leipzig und begann eine Ausbildung als Elektroinstallateur. Bis zum Empfehlungsschreiben von Wassily Kandinsky (*16.12.1866, † 13.12.1944) zur Aufnahme in die Bauhaus-Schule in Dessau 1926 klafft wegen Mangels an Quellenmaterial und Nachlassschriften eine Lücke. Vermutlich hat er nach seiner 1919 begonnenen Ausbildung versucht als Elektriker zu arbeiten und nebenher, als Autodidakt, künstlerisch tätig zu werden. Sein künstlerisches Schaffen beginnt 1922/23. Doch erst mit seiner Bewerbung an das Bauhaus in Dessau bescheinigte Kandinsky Trinkaus „schätzenswerte künstlerische Arbeiten“, die der angehende Künstler dem Avantgardisten zur Einschätzung vorlegte. Der Bauhaus-Professor stellte in seinem Empfehlungsschreiben auch heraus, dass Trinkaus ein Mechaniker war, der keinerlei künstlerische Ausbildung genossen hatte. „Seine Arbeiten entspringen einer reichen Phantasie, die eine geeignete, ausdrucksvolle Form findet“, meint Kandinsky. „Es wäre tatsächlich sehr bedauernswert, wenn Herr Trinkaus in seiner künstlerischen Entwicklung nicht genügend unterstützt würde. Er ist mittellos und sollte auf Grund der erwähnten Begabung von offiziellen Stellen wirtschaftlich unterstützt werden.“ 

Die Aufnahme an die Bauhaus-Schule in Dessau erfolgte vermutlich erst für das Wintersemester 1927/28. Sein Studentenausweis weist noch einen Eintrag für das Sommersemester 1928 auf. Er belegte Kurse bei Kandinsky, Joost Schmidt (*05.01.1893, † 02.12.1948), Herbert Bayer (*05.04.1900, † 30.09.1985) und Paul Klee (*18.12.1879, † 29.06.1940), besuchte aber vorrangig die Grundlehrewerkstatt von Josef Albers (*19.03.1888, † 25.03.1976). Trinkaus arbeitete fortan künstlerisch weiter. Die meisten Arbeiten aus seinem Nachlass bewegen sich in dem Zeitraum 1923-35. Dann kam der Bruch mit der Kunst, wenn auch in der Folgezeit immer wieder künstlerische Arbeiten entstanden. Ab 1935 arbeitete Trinkaus als Diplomingenieur im Flugzeugbau bei den Junkers Flugzeug- und Motorenwerken. Womöglich befand er sich von 1939 bis 1945 auch im Kriegsdienst. Von 1945 bis 1950 war der Künstler beim Leichtflugzeugbau Klemm in Böblingen tätig. Ab 1950 war er Mitarbeiter im Museum für Deutsche Geschichte in Berlin. 1953 heiratete er Magda Sendhoff, geb. Müller († 1963). 1964 kehrte Trinkaus nach Leipzig zurück und bewohnte ein Haus im Stadtteil Dölitz-Dösen. 1965 nahm er nach dem Tod seiner Frau und einem Zerwürfnis mit dem damaligen Direktor des Georgi-Dimitroff-Museums (heute Museum der bildenden Künste), Prof. Dr. Hans-Joachim Bernhard (*, †) und mit einem Parteisekretär das Leben. Ab 1965 befand der Nachlass sich in Privatbesitz des Vaters bis zu seinem Tod 1980. Danach ging der Nachlass auf weitere Verwandte über. Das Konvolut aus 234 Collagen, Zeichnungen und Aquarellen, verblieb, testamentarisch nachvollziehbar und nahezu komplett, im Privatbesitz der Erben des Nachlasses und gilt unbestritten als wertvolle Schließung einer reichen und produktiven Zeit von Künstlern der zweiten Reihe nach ihren berühmten Professoren des Bauhaus in Dessau.

 

Wie ist Trinkaus’ Werk einzuordnen?

Als Schüler von Kandinsky, Klee, Albers lehnt sich Trinkaus’ Oeuvre seiner Frühphase an seine Vorbilder an. Sein Schaffen bewegt sich zwischen konstruktivistischen Werken, Übungen zu Farbenlehren und Collagen, auch Zeichnungen und Aquarelle gehören dazu. Seine 1933 entstandene Collage „Das große Spiel“ könnte zentral für sein Schaffen stehen. Die ironische Finesse, wie er auf die sich verändernden politische Verhältnisse reagiert und mit verschiedenen Materialien umgeht, erinnert an die Arbeiten von Raoul Hausmann und John Heartfield. Seine Arbeit blickt zurück in die Bauhaus-Zeit, wo politische Kunst nicht nur Mühen kosten, sondern auch Spaß bedeuten sollte. Die Collage lässt auch tief in Trinkaus‘ Seele blicken, die in seiner Dessauer Zeit frei von Konventionen und Zwängen geprägt worden ist. Sein Oeuvre ist vielfältig, verspielt und besitzt Anspruch. Selbst als er sich in den Dreißiger-, Vierziger und bis in die Sechzigerjahre hinein künstlerisch in ein inneres Exil zurückzog und mit seiner Kunst zusehends unpolitischer wurde, er sogar Landschaftsbilder schuf, stehen vor allem die Prinzipien Ordnung und Harmonie für die Qualität seiner Arbeiten. Dass der Künstler mit den politischen Doktrinen und dem eng gestrickten Kunstverständnis in der DDR seine Schwierigkeiten hatte erklärt auch seine seelische Erosion und zutiefst empfundene Enttäuschung über ein beschworenes Ideal, das keines war und so zu seinem zu frühen Tod führte.